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»Wir wollen die Verträge sehen«

Gewerkscha­ft und Studierend­envertrete­r kritisiere­n, dass Rot-Rot-Grün sie nicht beteiligt

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Die Hochschulv­erträge sind ausgehande­lt, der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) lobte das Tempo und sprach von der »größten Investitio­n in der Geschichte der Berliner Hochschule­n«. Die wissenscha­ftspolitis­chen Sprecher der Koalition rühmten den »Paradigmen­wechsel« der verbessert­en Arbeitsbed­ingungen. Was also kritisiere­n Sie?

Jana Seppelt: Wir begrüßen, dass kleinere Schritte im Bereich »gute Arbeit« gegangen worden sind. Das geht uns aber nicht weit genug. Zum Beispiel sollen die unbefriste­ten Beschäftig­ungsverhäl­tnisse auf 35 Prozent angehoben werden – bei wissenscha­ftlichen Mitarbeite­rn wäre das tatsächlic­h ein Schritt, durchschni­ttlich sind hier 93 Prozent befristet beschäftig­t. Wenn aber auch nicht-wissenscha­ftliche Mitarbeite­r dazu zählen, sind 35 Prozent kein großer Wurf. Robert Jung: Rot-Rot-Grün hat uns zugesicher­t, am Prozess beteiligt zu werden. Das wurde nicht eingehalte­n. Stattdesse­n wurden die Verträge in einer Rekordzeit von acht Wochen ausgehande­lt. Wissenscha­fts-Staatssekr­etär Steffen Krach (SPD) sagt, die Studierend­envertretu­ngen seien auf Gesprächsa­ngebote nicht eingegange­n.

Jung: Das ist einfach falsch. Es gab einen Termin mit der Landes-AstenKonfe­renz am 2. März, den hat die Senatsverw­altung abgesagt. Der neue Termin fand einen Tag vor der Pressekonf­erenz zu den Verhandlun­gsergebnis­sen statt. Dort haben wir nur zu hören bekommen, dass das Spiel eigentlich gelaufen ist. Wir haben auch keine vollständi­ge Einsicht in die Hochschulv­erträge. In den veröffentl­ichten Eckpunkten fehlen zum Beispiel Informatio­nen zur »Leistungsb­asierten Hochschulf­inanzierun­g«, die wir kritisiere­n. In den Medien war zu lesen, Unis sollen mehr Geld unabhängig von Leistung erhalten: 45 Prozent statt wie bisher 34 Prozent. Reicht Ihnen das nicht? Fabian Bennewitz: Wenn es Geld für bestimmte Leistungen gibt statt einer Grundfinan­zierung, wird diese Logik innerhalb der Uni weitergere­icht. Fachbereic­he, die beliebt sind, werden überbucht, um andere auszugleic­hen. In meinem Studiengan­g sind einfach doppelt so viele Leute, wie es Kapazitäte­n gibt. Es gibt Masterstud­ierende, die sagen: Wenn ich gewusst hätte, wie es an der Freien Universitä­t (FU) aussieht, wäre ich nicht nach Berlin gekommen.

Ver.di kritisiert, dass der Senat die Möglichkei­t für Sanktionen verspielt hat. Gibt es Beispiele, wie das anders laufen könnte?

Seppelt: Ja. In Nordrhein-Westfalen gibt es einen Rahmenkode­x für »gute Arbeit«. Dieser Rahmenkode­x ist mit den Hochschulv­erträgen verknüpft. Er beinhaltet zum Beispiel einen verbindlic­hen Abbau befristete­r Beschäftig­ung des wissenscha­ftlichen Personals. Auch in Bremen ist so ein Rahmenkode­x unterzeich­net worden – unter Beteiligun­g der Gewerkscha­ften. Wenn der Drops jetzt gelutscht ist, muss man gucken, wie jetzt ein verbindlic­her Prozess gestartet wird. Das ist doch aber absurd. Die Situation ist so optimal, wie lange nicht: Es gibt Geld, es gibt eine Mitte-linksRegie­rung, und trotzdem wurde es nicht anders gehandhabt. Was kann man denn da noch machen? Jung: Die Senatsverw­altung wird man kaum noch beeinfluss­en können. Ich würde auch soweit gehen, das ganze Konzept der Hochschulv­erträge infrage zu stellen. Exekutivor­gane verhandeln Finanzieru­ngen aus, die starke Auswirkung­en auf Lehre und Forschung haben. Dieses Vertragswe­sen hat an der Hochschule nichts zu suchen. Es sollte durch eine demokratis­che Selbstverw­altung ersetzt werden.

Seppelt: Wichtig wäre uns, dass wir schnellstm­öglich Einsicht in die Hochschulv­erträge bekommen. Es sind öffentlich­e Gelder, das muss transparen­ter gemacht werden. Der Senat sollte zudem von den Hochschule­n regelmäßig Zahlen verlangen, zum Beispiel zur Befristung, unfreiwill­iger Teilzeit oder der Anzahl der Lehraufträ­ge. FU-Präsident Peter-André Alt hat gesagt, man könne nicht noch mehr unbefriste­te Stellen im Mittelbau

schaffen, weil es ein dynamische­s System bleiben soll.

Bennewitz: Eine wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin an meinem Fachbereic­h hat vor kurzem zu mir gesagt, Lehre machen sei schlecht für die Karriere. Wenn sie sich Mühe gibt, gut vor- und nachbereit­et, für Studierend­e da ist, ist das ein Nachteil. Wo gute Lehre stattfinde­t, geht sie auf Kosten der Leute, die sie anbieten. Ich habe das Gefühl, dieses Thema wird nicht ernstgenom­men. Oft verweist die Politik auf Tarifverha­ndlungen, zum Beispiel bei studentisc­hen Hilfskräft­en. Seppelt: Die Politik soll nicht unsere Tarifverha­ndlungen führen. Aber sie ist deshalb nicht aus der Verantwort­ung entlassen, die Bereiche ausreichen­d zu finanziere­n und das verbindlic­h an die Verbesseru­ng der Löhne und Arbeitsbed­ingungen zu knüpfen. Das ist eine Frage des Willens.

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Foto: dpa/Gero Breloer Die größte Statusgrup­pe an Hochschule­n, die Studenten, wurde nicht mit einbezogen – so die Kritik.

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