Der Stahl war sein wunderbares Leben
Er war Metallurgieingenieur, Kombinatsdirektor und DDR-Minister: Hans-Joachim Lauck hat seine Erinnerungen veröffentlicht
Er war in der DDR Kombinatsdirektor und Minister. Gerade ist eine Biografie über Hans-Joachim Lauck erschienen – die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg hat ihn jüngst im Gespräch vorgestellt.
»Nein, ich will nicht Minister werden.« Mit diesen Worten seines Helden David Groth beginnt Hermann Kants Roman »Das Impressum«. Ein solcher Impuls dürfte auch Hans-Joachim Lauck bekannt sein. Ihm, dem Sohn einfacher Leute, sei die Zustimmung 1986 nicht leicht gefallen, sagte er jüngst beim Gespräch in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Potsdam. »Es gab Tränen bei meiner Frau.« So verlangte der Karrieresprung vom Kombinatsdirektor des VEB Qualitäts- und Edelstahlkombinat (QEK) zum Minister für Schwermaschinen und Anlagenbau doch von der Familie den Umzug nach Berlin.
Seit dem Ende der DDR vor bald 27 Jahren sind etwa 7500 Erinnerungsbücher über sie erschienen. Ei- ne Gruppe hat sich damit zurückgehalten – das waren die »Industriekapitäne der DDR, Männer, die Konzernboss, Betriebsratschef und Bürgermeister in einem waren«, wie rbbModerator Gerald Meyer einmal über Lauck gesagt hat. Inzwischen hat sich das geändert. Und so hat nun auch Hans-Joachim Lauck seine Biografie vorgelegt: »Edel sei der Stahl, stolz der Mensch« heißt sie. Stahl war sein wunderbares Leben.
Die Oberschule durfte der 1937 in Freyburg/Unstrut Geborene nicht besuchen. Trotz ausdrücklicher Empfehlung sah sich der Vater außerstande, dem Sohn das zu ermöglichen. So begann der 14-Jährige eine Lehre zum Betriebsschlosser in Merseburg, schloss die Ingenieurschule für Walztechnik und Metallurgie in Riesa ab, ging als Ingenieur ins Stahlund Walzwerk Hennigsdorf, übernahm als Direktor den VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg (SWB), wurde 1979 Generaldirektor des QEK, promovierte 1985 zum Doktor der Ingenieurswissenschaften. 1986 folgte die Berufung zum Minister. Mit den Worten »Du übernimmst das schwierigste Ministerium, das wir in der DDR haben«, hat Ministerpräsident Willy Stoph ihn damals empfangen.
Schwierigkeiten haben ihn, wie er sagte, nie geschreckt. Noch immer würde der heute über 80-Jährige locker als 60-Jähriger durchgehen, ein kleiner, beweglicher Mann. Seine Stimme ist klar aber eher leise, die eines zurückhaltenden Mannes. In einem Stahlwerk herrscht ein rauer Ton, da mag man kaum glauben, dass er imstande gewesen sein soll, einen Betrieb mit 10 000 Beschäftigten zu »bändigen«. Doch gerade seine wirkungsvolle Leitungstätigkeit empfahl Lauck für das Ministeramt.
Zeit seines Arbeitslebens hat HansJoachim Lauck aufgebaut. Was das Stahlwerk in Brandenburg/Havel betraf, so lag zunächst vieles im Argen. Er zitiert »Neues Deutschland« von 1970: Die Produktion des Werkes war von enormer Bedeutung für die ganze Volkswirtschaft, doch war das SWB ein notorischer Planschuldner. Der Krankenstand betrug 30 Prozent, Missmut herrschte, die Betriebsleitung hatte das Vertrauen der Belegschaft verloren. In dieser Situation übernahm er den Kombinatsbetrieb, wurde als »Genosse Generaldirektor« schließlich gar verantwortlich für 40 Betriebe, in denen 220 000 Menschen arbeiteten. »Von da an haben wir immer den Plan erfüllt«, sagte er.
Das Umschlagbild seines Buches gibt das Panorama eines nächtlichen Stahlwerks im Glanz des Abstichs wieder. Das ist Laucks Element. Doch er kümmert sich noch um viel mehr. Um die Betriebssportgemeinschaft BSG Stahl etwa, die nicht nur legendären Fußball, sondern auch die Weltklasse-Kanutin Birgit Fischer hervorgebracht hat. Und um Kon- sumgüter: Industriebetriebe der DDR hatten fünf Prozent des Produktionswertes als Waren für den Bevölkerungsbedarf herzustellen. So fertigte »sein« Stahlwerk eben unter anderem Gartenmöbel und Holzspielzeug. Die Wohnwagen Qek Junior und Qek Aero aus eigener Produktion immerhin rollen heute noch über die Straßen im Osten. Lauck weiß, dass es dafür sogar Fanclubs gibt.
Das Jahr 1990 sah ihn als Minister für Maschinenbau unter SED-Ministerpräsident Hans Modrow, später als Abteilungsleiter von Kurzzeit-Wirtschaftsminister Gerhard Pohl (CDU). Lauck leistete seinen Beitrag zur abgeforderten Bewertung der DDR-Industrie: Zu seinem damaligen Urteil steht er heute noch: »Ein Drittel der Betriebe hätte in der Marktwirtschaft bestehen können, ein weiteres Drittel hätte Investitionen benötigt, wäre aber auch dazu in der Lage gewesen. Das verbleibende Drittel hätte man schließen müssen.« Die Liste übergab Lauck höheren Ortes. »Was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht.«
Detlev Rohwedder, erster Chef der Treuhand, betrieb ein Schutzkonzept für die volkseigenen Betriebe. »Aber leider ist er erschossen worden«, erinnerte Lauck. Rohwedders Tod wurde nie aufgeklärt. Seine Nachfolgerin Birgit Breuel verfuhr nach dem Konzept »Privatisieren oder Schließen«.
Die Folgen lassen sich auch in Brandenburg/Havel besichtigen. Die elf machtvollen Schlote des Stahlwerks, die zu DDR-Zeiten als Insignien friedlicher Arbeit das Stadtwappen schmückten, wurden Anfang der 1990er Jahre gesprengt.
In der Stadt, die 1988 fast 100 000 Einwohner zählte, leben heute an die 65 000 Menschen. Nur langsam erholt sie sich vom Geburtenschwund und der Flucht vor allem junger Leute vor Arbeitslosigkeit. Brandenburg zeigt kein Industrie-Grau mehr, ist nett hergerichtet, still und friedlich. »Eine blühende Landschaft, die uns ja versprochen wurde«, so Lauck.
Nach der Wende hat der italienische Riva-Konzern, der schon zu DDR-Zeiten in Brandenburg/Havel und Hennigsdorf engagiert war, wenigstens die Elektrostahlwerke an beiden Standorten übernommen. Modernisiert und abgespeckt, stellen sie heute ausschließlich Baustahl her – mit ungewisser Zukunft.
Hans-Joachim Lauck ist in seine alte Heimat zurückgekehrt. Er lebt wieder in Freyburg, von wo aus er 1951 in seine Welt gezogen war. Von dem Staat, dessen Minister er war und zu dessen Wirtschaftslenkern er zählte, sagt er, dass »139 andere Länder auf der Welt ihn anerkannt hatten«.