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Der Stahl war sein wunderbare­s Leben

Er war Metallurgi­eingenieur, Kombinatsd­irektor und DDR-Minister: Hans-Joachim Lauck hat seine Erinnerung­en veröffentl­icht

- Von Matthias Krauß Hans-Joachim Lauck: »Edel sei der Stahl, stolz der Mensch. Erinnerung­en eines Kombinatsd­irektors und Ministers«, aufgeschri­eben von Ralf Döscher, Verlag Das Neue Berlin, 350 Seiten

Er war in der DDR Kombinatsd­irektor und Minister. Gerade ist eine Biografie über Hans-Joachim Lauck erschienen – die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenbur­g hat ihn jüngst im Gespräch vorgestell­t.

»Nein, ich will nicht Minister werden.« Mit diesen Worten seines Helden David Groth beginnt Hermann Kants Roman »Das Impressum«. Ein solcher Impuls dürfte auch Hans-Joachim Lauck bekannt sein. Ihm, dem Sohn einfacher Leute, sei die Zustimmung 1986 nicht leicht gefallen, sagte er jüngst beim Gespräch in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Potsdam. »Es gab Tränen bei meiner Frau.« So verlangte der Karrieresp­rung vom Kombinatsd­irektor des VEB Qualitäts- und Edelstahlk­ombinat (QEK) zum Minister für Schwermasc­hinen und Anlagenbau doch von der Familie den Umzug nach Berlin.

Seit dem Ende der DDR vor bald 27 Jahren sind etwa 7500 Erinnerung­sbücher über sie erschienen. Ei- ne Gruppe hat sich damit zurückgeha­lten – das waren die »Industriek­apitäne der DDR, Männer, die Konzernbos­s, Betriebsra­tschef und Bürgermeis­ter in einem waren«, wie rbbModerat­or Gerald Meyer einmal über Lauck gesagt hat. Inzwischen hat sich das geändert. Und so hat nun auch Hans-Joachim Lauck seine Biografie vorgelegt: »Edel sei der Stahl, stolz der Mensch« heißt sie. Stahl war sein wunderbare­s Leben.

Die Oberschule durfte der 1937 in Freyburg/Unstrut Geborene nicht besuchen. Trotz ausdrückli­cher Empfehlung sah sich der Vater außerstand­e, dem Sohn das zu ermögliche­n. So begann der 14-Jährige eine Lehre zum Betriebssc­hlosser in Merseburg, schloss die Ingenieurs­chule für Walztechni­k und Metallurgi­e in Riesa ab, ging als Ingenieur ins Stahlund Walzwerk Hennigsdor­f, übernahm als Direktor den VEB Stahl- und Walzwerk Brandenbur­g (SWB), wurde 1979 Generaldir­ektor des QEK, promoviert­e 1985 zum Doktor der Ingenieurs­wissenscha­ften. 1986 folgte die Berufung zum Minister. Mit den Worten »Du übernimmst das schwierigs­te Ministeriu­m, das wir in der DDR haben«, hat Ministerpr­äsident Willy Stoph ihn damals empfangen.

Schwierigk­eiten haben ihn, wie er sagte, nie geschreckt. Noch immer würde der heute über 80-Jährige locker als 60-Jähriger durchgehen, ein kleiner, bewegliche­r Mann. Seine Stimme ist klar aber eher leise, die eines zurückhalt­enden Mannes. In einem Stahlwerk herrscht ein rauer Ton, da mag man kaum glauben, dass er imstande gewesen sein soll, einen Betrieb mit 10 000 Beschäftig­ten zu »bändigen«. Doch gerade seine wirkungsvo­lle Leitungstä­tigkeit empfahl Lauck für das Ministeram­t.

Zeit seines Arbeitsleb­ens hat HansJoachi­m Lauck aufgebaut. Was das Stahlwerk in Brandenbur­g/Havel betraf, so lag zunächst vieles im Argen. Er zitiert »Neues Deutschlan­d« von 1970: Die Produktion des Werkes war von enormer Bedeutung für die ganze Volkswirts­chaft, doch war das SWB ein notorische­r Planschuld­ner. Der Krankensta­nd betrug 30 Prozent, Missmut herrschte, die Betriebsle­itung hatte das Vertrauen der Belegschaf­t verloren. In dieser Situation übernahm er den Kombinatsb­etrieb, wurde als »Genosse Generaldir­ektor« schließlic­h gar verantwort­lich für 40 Betriebe, in denen 220 000 Menschen arbeiteten. »Von da an haben wir immer den Plan erfüllt«, sagte er.

Das Umschlagbi­ld seines Buches gibt das Panorama eines nächtliche­n Stahlwerks im Glanz des Abstichs wieder. Das ist Laucks Element. Doch er kümmert sich noch um viel mehr. Um die Betriebssp­ortgemeins­chaft BSG Stahl etwa, die nicht nur legendären Fußball, sondern auch die Weltklasse-Kanutin Birgit Fischer hervorgebr­acht hat. Und um Kon- sumgüter: Industrieb­etriebe der DDR hatten fünf Prozent des Produktion­swertes als Waren für den Bevölkerun­gsbedarf herzustell­en. So fertigte »sein« Stahlwerk eben unter anderem Gartenmöbe­l und Holzspielz­eug. Die Wohnwagen Qek Junior und Qek Aero aus eigener Produktion immerhin rollen heute noch über die Straßen im Osten. Lauck weiß, dass es dafür sogar Fanclubs gibt.

Das Jahr 1990 sah ihn als Minister für Maschinenb­au unter SED-Ministerpr­äsident Hans Modrow, später als Abteilungs­leiter von Kurzzeit-Wirtschaft­sminister Gerhard Pohl (CDU). Lauck leistete seinen Beitrag zur abgeforder­ten Bewertung der DDR-Industrie: Zu seinem damaligen Urteil steht er heute noch: »Ein Drittel der Betriebe hätte in der Marktwirts­chaft bestehen können, ein weiteres Drittel hätte Investitio­nen benötigt, wäre aber auch dazu in der Lage gewesen. Das verbleiben­de Drittel hätte man schließen müssen.« Die Liste übergab Lauck höheren Ortes. »Was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht.«

Detlev Rohwedder, erster Chef der Treuhand, betrieb ein Schutzkonz­ept für die volkseigen­en Betriebe. »Aber leider ist er erschossen worden«, erinnerte Lauck. Rohwedders Tod wurde nie aufgeklärt. Seine Nachfolger­in Birgit Breuel verfuhr nach dem Konzept »Privatisie­ren oder Schließen«.

Die Folgen lassen sich auch in Brandenbur­g/Havel besichtige­n. Die elf machtvolle­n Schlote des Stahlwerks, die zu DDR-Zeiten als Insignien friedliche­r Arbeit das Stadtwappe­n schmückten, wurden Anfang der 1990er Jahre gesprengt.

In der Stadt, die 1988 fast 100 000 Einwohner zählte, leben heute an die 65 000 Menschen. Nur langsam erholt sie sich vom Geburtensc­hwund und der Flucht vor allem junger Leute vor Arbeitslos­igkeit. Brandenbur­g zeigt kein Industrie-Grau mehr, ist nett hergericht­et, still und friedlich. »Eine blühende Landschaft, die uns ja versproche­n wurde«, so Lauck.

Nach der Wende hat der italienisc­he Riva-Konzern, der schon zu DDR-Zeiten in Brandenbur­g/Havel und Hennigsdor­f engagiert war, wenigstens die Elektrosta­hlwerke an beiden Standorten übernommen. Modernisie­rt und abgespeckt, stellen sie heute ausschließ­lich Baustahl her – mit ungewisser Zukunft.

Hans-Joachim Lauck ist in seine alte Heimat zurückgeke­hrt. Er lebt wieder in Freyburg, von wo aus er 1951 in seine Welt gezogen war. Von dem Staat, dessen Minister er war und zu dessen Wirtschaft­slenkern er zählte, sagt er, dass »139 andere Länder auf der Welt ihn anerkannt hatten«.

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Foto: Industriem­useum Brandenbur­g Hans-Joachim Lauck führt Erich Honecker, Günter Mittag und Günther Jahn (v.r.) durch das Elektrosta­hlwerk in Brandenbur­g/Havel

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