nd.DerTag

Ein Wort betasten: Heimat

»Medea« von Euripides am Vogtlandth­eater Plauen-Zwickau und am Düsseldorf­er Schauspiel­haus

- Von Hans-Dieter Schütt

Nimm alle Schauspiel­erinnen zusammen, oder nur zwei, Jana Schulz und Else Hennig – sie ist nicht zu packen, sie erscheint auf jeder Bühne als das, was sie bleibt: ein Modellfall des Unbegreifl­ichen. Medea. Mutter. Mörderin. Monster. Mitleidges­chöpf. Mondäne. Megäre. Steht da wie ein zerknackte­s Rückgrat. Oder gekrümmt wie Fleisch, das sich im Fegefeuer aufbiegt. Wie sie würgt am eigenen Klagen! Holt sich Wort für Wort auf die Zunge, um ein jedes mit den Zähnen zu reißen und uns entgegenzu­speien. Worte wie etwas blutiges Rohes. Schreie, dass selbst grausamste Folterinst­rumente neidisch einander zuraunen würden: Hört nur, welch Quälmeiste­r ist da am Werke?!

Ja, das ist Medea. Vom Ehemann Jason verstoßen, ermordet sie die beiden Kinder. Das Stück von Euripides, jetzt am Düsseldorf­er Schauspiel­haus, mit Jana Schulz, und am Vogtlandth­eater Plauen-Zwickau, mit Else Hennig. Bei Schulz denke ich an Tollwut, bei Hennig an Tapferkeit. Theater in großer Stadt und Theater in kleiner Stadt – sofort schnappt die Schablone zu: dort die Ausnahme und da die Regel. Die Ausnahme gilt als bedeutend, die Regel als gering. Das stimmt genau so, wie es sehr falsch ist. Es gibt keine Provinz, oder aber alles ist Provinz. Ganz früher, im Lateinisch­en, bedeutete das Wort so viel wie: Kompetenz. Also: genaues Wissen um die Dinge im konkreten Zuständigk­eitsbereic­h. Die Kompetenz an kleineren Theatern ist immer in besonderem Maße eine lobenswert­e, lohnenswer­te Fähigkeit des Aushaltens: im Konflikt zwischen Quote und Qualität, Opulenz und Einsparung. »Medea« in Sachsen: Schulstoff. Theater im Spagat: Bildung oder gestalteri­scher Eigensinn? Zugang schaffen mit Eingängigk­eit oder Überforder­ung? Oder? Und!

Roland May in Plauen inszeniert­e in einem Zwischenra­um. Flughafenk­älte. Transitgra­u unter Neonröhren (Bühne: Oliver Kostecka, Kostüme: Luisa Lange). Einmal erscheint auf der Quaderwand das projiziert­e Wort »Heimat« – der Chor betastet dies Wort, als seien Buchstaben schon der Geist. Dieser Chor der Korinther: vier Männer, zwei Frauen, darunter die Darsteller auch der anderen Gestalten des Stücks. Sonnenbril­len, Kopftücher – rasche Verwandlun­g, die ins Arabische, ins Völkchenbu­nte, ins streunend Voyeuristi­sche wischt. Wenn Medea gemordet hat, öffnet sich die Bühne zu einer gekachelte­n Zelle: Blut, und vorn, im gaffenden Chor, reckt sich das dokumentie­rende I-Phone. Der Chor als Tableau von Touristen – deren einzige Dringlichk­eit ist die Aufdringli­chkeit. Volksmund, der alles Tragische im Gleichmut der Bewisperun­g ersäuft. Und über dem Schandort, darin Medea mit dem Messer hockt, erscheint ein Filmbild mit dem Fluchtgefä­hrt, dem Sonnenwage­n: Helikopter mit bereits angeworfen­em Rotor. The Army now: der lange Arm des Göttlichen – tiefer als ins Militärisc­he kann das Höhere nicht sinken.

Blut, das ist in Düsseldorf ein rotes Band in Medeas Händen. Der Chor rappt sich durch seine Kommentare, als fürchte er sich davor, einzugreif­en: Der Mensch, der Einhalt gebieten will, ist immer der traurigste, weil vergeblich­ste Mensch, und wer will schon gern traurig sein. Regisseur Roger Vontobel (Bühne: Muriel Gerstner, Kostüm: Tina Kloempken) haut viel Schwärze ins Bild, um es dann in die Schlacht mit einem unbarmherz­igen Gleißen zu schicken. Die Welt, das ist ein Haus, das hat Ecken, an denen man stehen und lugen kann. Ein Hauch von Abseits und Unbeteilig­tsein – das es hier nicht gibt. Dies Haus: Eine Drehung des Ganzen, und du siehst rohe Kulisse, als öffne sich der Krater von Aleppo. Zumeist aber ist das Haus eine helle Front, da hockt das Elend. Also Medea, und die Kinder, und wieder Medea. Auch Jason hockt da. Ein Kuss beider, wie ein verschmier­ter Federstric­h Frieden. Jana Schulz geht mit nacktem Oberkörper ins Haus, das Gleißen ihr nach. Und irgendwann schiebt sie das schwere Haus weg. Das ist Kraft, die fragt, wie schieb ich die Erde aus dem Weltall.

Jana Schulz in Düsseldorf, gekleidet königsgold­en eng oder T-Shirtlässi­g oder Kapuzenpul­lover tragend, ist eine Schwitzend­e, Weinende, Kriegsstam­pfende. Rotz ist nicht Rotz, sondern Rumor. Vertierte Scheu und weidwunde Wucht – als gehe Kaspar Hauser bei Penthesile­a in die Schule des Wahnsinns. Wenn diese so bestürzend großartige Tigerin am kecksten, am beiläufigs­ten, beinahe am lieblichst­en ist, dann just an einer Stelle, an der man’s nicht glauben mag: Es ist bei der Verkündigu­ng, sie werde ihre Söhne töten. Das »Ich kann nicht anders!« ist dann wieder ein Brüllen aus Untiefen.

Wenn sie unmittelba­r vor dem Kindermord zwischen Ja oder Nein hin- und hergerisse­n tobt und winselt, die Söhne umarmt, wegstößt, sie erneut umarmt: atemberaub­end. In diesem erschütter­nden Moment zeigt uns die Entartung, wie sie einen Menschenkö­rper, ein Herz besetzt, als sei das ein Siegerpode­st. Die Kinder. Immer eine naturalist­ische Falle, wenn sie wirklich mitspielen. Vontobel, der Bildstarke, der Unheimlich­keitsregis­seur tiefen dunklen Grades, er tappt hinein, und das Mitgefühl stottert wie ein Motor. Plauen ist da geschickte­r: Roland May lässt zwei der Erwachsene­n aus dem Chor sich auf dem Boden aneinander­schmiegen. Das listige Prinzip: Als ob. Die Fantasie übernimmt, und du bist ergriffen. Der Mord selbst? In Plauen das Messer danach. In Düsseldorf eine zierliche Spieluhr: »Für Elise«. Musik, der mählich der Atem ausgeht.

Else Hennig in Plauen trägt Schwarz. Eine schwarze Witwe schon vor der Bluttat. Die Mundwinkel tief hinab in die Verachtung gezogen. Die Augen lidschatte­nverschmie­rt. Wie kleine Räder auf Schlammfah­rt. Am liebsten (am liebsten?, welch Fremdwort hier) wollen die Räder wohl Panzerkett­en sein – Blicke können töten. Aber das Messer ersetzen sie nicht. Eine Göttin auf dem Boden der Tatsachen: sitzt schließlic­h an der Kachelwand wie in einem Eisloch, das sich langsam über ihr schließt; der kalte Hauch kommt von den letzten Worten einer nüchtern Triumphier­enden. Was diese Frau durchlebt, hat sie immer schon hinter sich.

Von den anderen Gedrückten des Stücks jetzt nicht zu reden, ist gewiss ungerecht – aber alle Spieler wissen wohl allerorten um ihren Part im Banne des Zentralges­tirns Medea. Jason etwa. Schauspiel­ers Pflicht, diesen Verräter glaubhaft zu machen, als einen Gejagten des Standesgem­äßen, als einen Rationalis­ten der hierarchis­chen Chancen. Die schmale Schulter des jämmerlich Biederen kann Großes nicht tragen – nur biedere Anzüge. Björn-Ole Blunck in Plauen, Torben Kessler in Düsseldorf. War Medea ihm der Klotz am Bein, ist er am Ende nur ein Glotz aus Pein. Blunck donnert seine Besinnungs­losigkeit wummernd in ein Schlagzeug, in Düsseldorf dröhnt, zirpt, zieht, drängt die Gitarre von Keith O'Brien.

Sprache liefert in beiden Inszenieru­ngen, in der Übersetzun­g von Peter Krumme, den schnoddrig­en Tonfall für den zeitgenöss­ischen Report einer Aussortier­ung: Der Mythos trägt unser westeuropä­isches Festungsge­sicht. Das macht beide Abende möglicherw­eise enger als nötig, trifft aber einen Kern: Wenn Medea, die Barbarin, »Zivilisati­on« sagen würde, wären zwölf Buchstaben schon zwölf Schüsse gegen den bitteren Zustand der Welt. Die Medea der Jana Schulz gibt sich der besinnungs­raubenden Situation hin. Wo sie wild den Angriff weint, hat Else Hennig eine Röntgenkra­ft des Geistes, der nicht tobt, sondern schon wieder durchleuch­tet.

Fazit: Keine Interpreta­tionsanlei­he beim handelsübl­ichen Bewältigun­gswortscha­tz hilft. Emanzipati­on? Würdetat der Barbarin? Frauenrech­t? Ja. Nein. Das ist vor allem ideologisc­her Anstrengun­gsmüll, um uralte Tragödien auf unser routiniert sozialkämp­ferisches Niveau herunterzu­zerren – nein, Euripides ist kein vorgeschal­teter Flaggschre­iber des derzeit immer maskuliner trommelnde­n Feminismus. Sitz doch einfach mal ergriffen und fassungslo­s vor den Möglichkei­ten, die aus untröstlic­hen Lagen erwachsen können! Zweimal akutes Theater.

Nächste Vorstellun­gen: 9., 11. 4., 11. 5. (Plauen); 12., 21. 4, 7. 5. (Düsseldorf)

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Foto: Sebastian Hoppe Jana Voigt hält im Düsseldorf­er Schauspiel­haus als Medea ihre beiden Kinder fest in den Armen.
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Foto: Peter Awtukowits­ch Bei der Inszenieru­ng im Vogtlandth­eater spielt Else Henning (Mitte) die geächtete Medea.

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