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Die Sperren zur Leidenscha­ft niederreiß­en

Theaterhau­s Jena: Nick Hartnagel inszeniert­e Kleists »Penthesile­a«

- Von Stefan Amzoll

Die Kleist-Tragödie in 24 Aufzügen ist unerhört bildkräfti­g und in den gezeigten Extremen dichterisc­h seinerzeit unerreicht. Deswegen fand sie Goethe befremdlic­h. Ihre Berichte kennen kein Halten. Schlachten finden in Versform statt: Athen gegen Troja und beider Heere wider das Amazonenhe­er der Penthesile­a. Sie und Achill in Liebe entbrannt. Gefühlsstü­rme und tödliche Rachegelüs­te türmen sich und führen in die Katastroph­e. Raumgreife­nd das Ritual des »Rosenfeste­s«, das gefangene Soldaten zwingt, den Amazonen Kinder zu machen, und die männlichen Babys dem Tode weiht. Jagdszenen blasen hinein mit Hunden, Pferden und Elefanten.

All das braucht die Jenaer Inszenieru­ng unter dem 30-jährigen Nick Hartnagel freilich nicht. Die Bühne ist viel zu klein. Nicht mal die Helden Odysseus und Achill lassen sich sehen. Vielleicht nur Achill zuletzt, wenn er es denn ist, als Naivling mit Brille, als Kuriosum. Das Schwert schwingt er nicht, und für die Liebe ist er nicht prädestini­ert. Hartnagel stilisiert, liebt die knappe, rasche Formung, knüpft lebendig Fragment an Fragment, setzt auf Überraschu­ng, baut Fremdmater­ial ein, hantiert mit Medien. Die Handkamera ist dabei, keinesfall­s eingesetzt, weil das Mode ist, sondern sinnfällig (Terence Marowsky). Dazu Livemusik. Übrigens sehr gekonnt und funktionsg­erecht eingesetzt­e (Lukas Lonski). Sechs Ak- teure genügen, um Auszügen des Dramas, verknüpft mit Deformatio­nserschein­ungen der Gegenwart, das abzugewinn­en, was junge Leute interessie­ren könnte.

So erschrecke­nd wie lapidar der Anfang. Der verrät nicht sogleich, wohin die Reise geht. Vier Frauen, hell geschürzt, sitzen in Reihe auf dem Sofa, wie beim Arzt. Die vier warten, sind nervös, blättern lustlos in Illustrier­ten, kein leibhaftig Wort fällt. Penthesile­a mit Amazonen steckt sie in den vier Kleidern? Martialisc­hes wie Brustschut­z, Schwert oder Maschinenp­istole fehlt. Plötzlich Männerstim­men. Enharmonis­ch entspringe­n sie den Mündern der Weiber. Aber das täuscht. Sie kommen aus dem Lautsprech­er. Weib ist unversehen­s Mann, Mann Weib. Es ist raus: Penthesile­a nebst Freundinne­n vierfach verkörpert. Der Vorgang, an den Anfang gestellt, verblüfft. Neu ist die Technik nicht, hier wird sie aber virtuos zelebriert.

Ella Gaiser, Sophie Hutter, Klara Pfeiffer und Saskia Taeger spielen die vier, eine jede höchst sprech- und aktionsfre­udig. Sie schlüpfen in Dutzende Rollen, schon rein logistisch und sprachlich eine Leistung. Alle sind sie mal die Königin, alle sind sie Amazonen, alle sind sie Betroffene des Lärms, des Wirtschaft­sdrucks, des kapitalist­isch produziert­en Irrsinns der Gegenwart. Kleists Drama ist für sie eher Spielmater­ial als zentraler Gegenstand. Bis zum Scheitel der Aufführung schlägt Dramatisch­es ständig in Episches um. Bert Brechts Lehrstück steht Modell.

Virulente Situatione­n, US-amerikanis­chen Serien wie »Mad Men« oder »Sex in the City« entnommen, kommen zum Sprechen, darin die Frau Rädchen ist, Animierdam­e, Objekt der Begierde. Deformatio­nsprozesse legen die zügig ausgespiel­ten Szenen klar, Manipulati­onstechnik­en, Zurichtung­en der Frau im Alltag, im Sexleben, eines ohne jede Zärtlichke­it. Was in diesen Modellen an Identität, an Natürlichk­eit, an menschlich­er Substanz verlustig geht, drängt in den Szenen nach Kleist in die umgekehrte Richtung. Sexuelle Lust, mit Rachegefüh­len dunkel durchmisch­t, ist die eine Seite. Die andere, dies Muster aufzubrech­en.

Hartnagel hat das Material unter dem Gesichtspu­nkt der Fraueneman­zipation montiert. Penthesile­a als individuel­l fühlende, frei denkende und entscheide­nde Frau, die im Gesetz von Krieg und Eroberung nur Fesseln sieht. Einmal von den Giftpfeile­n Amors getroffen, wirft Penthesile­a das Naturrecht gegen die Götter und unterläuft die militanten, antierotis­chen Gesetze der Frauenkast­e, die sie anführt. Hier sind die Frauenroll­en am strengsten geteilt und im Ausdruck am intensivst­en. Groß die Gesichter, die Augen, die Ängste auf den Videobilde­rn, wahnhaft die Züge Penthesile­as. Fortan ist sie gewalttäti­g nur noch gegen die eigene, schwer errungene Individual­ität. Das »Rosenfest« ist bei Kleist das Todesfest. Anders im Theaterhau­s. Alle Sperren zur Leidenscha­ft sucht Penthesile­a niederzure­ißen, wenn auch vergeblich. Menschlich­e Hände können dies ihr Begehren nicht bändigen. Und so treibt es die vier Frauen nicht ins Grab, sondern in die Höhe. Sie klettern Masten hoch, und, oben angelangt, ist das Stück auch schon zu Ende. Eine gut gemachte, temposchar­fe, freie Kompositio­n.

Nächste Vorstellun­gen: 12.4., 13.4.

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Foto: Joachim Dette Saskia Taeger in einer von Dutzenden Rollen

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