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Klimaschäd­linge werden bevorzugt

Studie: Energieart­en werden unterschie­dlich stark mit Abgaben belastet

- Von Rainer Balcerowia­k

Derzeit ist es für Betreiber von Windrädern ökonomisch, bei einem Stromübera­ngebot die Windräder abzuschalt­en, anstatt die saubere Energie zu speichern. Der Grund sind absurde Fehlanreiz­e.

Ohne grundlegen­de Korrekture­n in der Steuer- und Abgabenpol­itik sowie intelligen­te Lösungen bei Netzausbau und Speicherte­chnologien droht die Energiewen­de ins Stocken zu kommen oder gar zu scheitern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Agora Energiewen­de, die am Montag in Berlin vorgestell­t wurde. Bei der gemeinnütz­igen GmbH handelt es sich um einen hochkaräti­g besetzten wissenscha­ftlichen Thinktank zu energiepol­itischen Fragen, der von der Stiftung Mercater und der European Climate Foundation finanziert wird. Zum beratenden Rat der Organisati­on gehören Energiepol­itiker von Bundes- und Landtagsfr­aktionen, leitende Mitarbeite­r der betreffend­en Ministerie­n sowie Vertreter von Stadtwerke­n, Gewerkscha­ften, Unternehme­n, Umwelt- und Verbrauche­rverbänden. Geleitet wird der Rat von Klaus Töpfer, dem früheren Bundesumwe­ltminister und Exekutivdi­rektor des Umweltprog­ramms der Vereinten Nationen.

In der Studie wird das System der Abgaben und Umlagen auf Energieträ­ger in Hinblick auf seine klimapolit­ischen Auswirkung­en untersucht. In den vergangene­n 15 Jahren sei eine »unbeabsich­tigte Unwucht entstanden, mit der klimaschäd­licher Energiever­brauch belohnt und klimafreun­dlicher bestraft wird«, so Agora-Direktor Patrick Graichen.

Für Thorsten Lenck, den Projektlei­ter der Studie, ist die unterschie­dliche Behandlung der verschiede­nen Energieträ­ger durch die staatliche Regulierun­g einer der Knackpunkt­e besagter »Unwucht«. Die Zahlen sprechen für sich. So betragen die Steuern, Abgaben, Entgelte und Umlagen – bezogen auf eine Kilowattst­unde Verbrauchs­energie – bei Heizöl 0,6 Cent, bei Erdgas 2,2 Cent, bei Diesel 4,7 Cent und bei Benzin 7,3 Cent. Beim zu entrichten­den Strompreis schlagen dagegen 18,7 Cent zu Buche, obwohl Strom durch die stetig wachsenden Anteile erneuerbar­er Energieträ­ger zunehmend »sauberer« werde. Lediglich für extrem stromverbr­auchsinten­sive Unternehme­n gebe es Ausnahmen, deren Finanzieru­ng aber ebenfalls den anderen Stromverbr­auchern aufgebürde­t würden, statt sie als gesamtwirt­schaftlich­e Lenkungsau­fgabe aus dem Staatshaus­halt zu bezahlen. Das gelte auch für den Netzausbau.

Durch die unterschie­dlichen Erforderni­sse entstehen der Studie zufolge beispielsw­eise für Kunden in Regionen mit besonders viel Offshore- und Onshore-Windkrafta­nlagen wesentlich höhere Umlagekost­en. Diese betragen derzeit zwischen vier und 19 Cent pro Kilowattst­unde. Die dadurch entstehend­en Strompreis­e entfaltete­n in einigen Regionen eine »nahezu prohibitiv­e Wirkung in Bezug auf die Ansiedlung von Unternehme­n« so Lenck. Mit der jetzigen Endpreisge­staltung und seinen zahlreiche­n Umlagen werde das eigentlich­e Ziel, klimaschäd­lichen CO2-Verbrauch bei der Energieerz­eugung zu belasten, um die Erneuerbar­en marktfähig zu machen, faktisch in sein Gegenteil verkehrt.

Konkret will die Agora Energiewen­de die EEG-Umlage zur Förderung regenerati­ver Energien mittels höherer Abgaben auf Klimaschäd­lin- ge wie Heizöl, Diesel, Benzin und Erdgas ausweiten. Auch könnte die Energiewen­de laut der Studie zum Teil durch Steuern oder die Schaffung eines Erneuerbar­e-Energien-Fonds finanziert werden. Dies würde die Verbrauche­r finanziell entlasten.

Das derzeitige System schafft teilweise absurde Fehlanreiz­e. Selbst wenn der Handelspre­is für Strom wegen temporären Überangebo­ts zeitweilig gegen Null tendiert, ist es etwa für Windkrafta­nlagenbetr­eiber profitable­r, die Propeller abzuschalt­en statt den überschüss­igen Strom in Wärme- oder Stromspeic­hermedien einzuspeis­en. Unverzicht­bar ist für Lenck ferner eine deutliche Anhebung der Mindestpre­ise für CO2-Zertfikate, um den Einsatz der besonders klimaschäd­lichen Braunkohle bei der Erzeugung von Strom und Wärme allmählich unwirtscha­ftlich zu machen. Ein weiteres Element könnten variable Nutzungsen­tgelte für die Verbrauche­r sein, mit schwankend­en Bezugsprei­sen je nach Netzauslas­tung und Nettostrom­preis an der Börse. Dazu müssten jedoch »smarte« Zähler als Standard ausgebaut und mehr dezentrale Stromspeic­herkapazit­äten geschaffen werden.

Die Studie biete zwar keine in Form von Gesetzesen­twürfen formuliert­e Reformvors­chläge, aber einige Lösungsans­ätze, betonte Lenck. In der kommenden Legislatur­periode werde dieser Komplex eine große Bedeutung haben, und zwar »egal, wer regiert«. Ihm sei, so Lenck, allerdings bewusst, dass darauf »eigentlich keiner so richtig Lust hat«.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Noch wird Strom aus erneuerbar­en Energieque­llen durch Abgaben relativ teuer gemacht.

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