nd.DerTag

Menschlich­keit hinter Stacheldra­ht

Gedenkstät­te Sachsenhau­sen erhielt Erinnerung­sstücke eines Überlebend­en des NS-Terrors

- Von Tomas Morgenster­n

Für den Sozialdemo­kraten Amandus Goldbeck schlug nach acht Jahre im KZ im April 1945 die Stunde der Freiheit. Erinnerung­sstücke an jene Zeit übergab seine Tochter jetzt der Gedenkstät­te Sachsenhau­sen.

»Herzlichst­en Glückwunsc­h zu Deinem Geburtstag­e vom Josef«, steht in altertümli­ch verschnörk­elter Schrift auf einem Kärtchen aus vergilbtem Karton. Dazu die Daten »26.X.1907 – 26.X.1942«. Der Verfasser, soviel steht fest, ist der tschechisc­he Student Josef Dvořák, sein Adressat der Berliner Sozialdemo­krat und Gewerkscha­fter Amandus Goldbeck. Das Außergewöh­nliche an dem scheinbar so schlichten Kartengruß sind die Umstände, die die beiden Männer damals zusammenge­führt hatten: Sie waren Häftlinge des NS-Konzentrat­ionslagers Sachsenhau­sen, entrechtet und unter unmenschli­chen Bedingunge­n zusammenge­pfercht in kargen Baracken waren sie zu Kameraden, ja Freunden geworden.

Lange fand sich Josefs Karte neben vielen Schriftstü­cken, Zeichnunge­n, Lagerbrief­en, einem handgeschr­iebenen und -illustrier­ten Liederbuch und Fotos von Amandus Goldbeck im Besitz seiner Tochter Jutta. Der Vater starb 1963, da war sie 14 Jahre alt und wusste nicht viel mehr über dessen schweres Los in der Nazizeit, als dass er im Konzentrat­ionslager Sachsenhau­sen war. »Der Vater hat darüber kaum etwas erzählt. Er wollte es nicht, und ich war noch zu jung, um zu begreifen, was mit ihm geschehen war, und um Fragen zu stellen.« Erst als ihre Mutter Lotte 1998 ins Heim zog, fand die Tochter den Nachlass des Vaters.

Jutta Goldbeck hat diese ganz persönlich­en Erinnerung­en ihres Vaters der Gedenkstät­te Sachsenhau­sen im gleichnami­gen Ortsteil von Oranienbur­g (Oberhavel) geschenkt. »Ich finde, es ist gerade jetzt die richtige Zeit, diese Dinge zu zeigen, da Leute Zweifel daran säen, dass es solche Lager wie Sachsenhau­sen tatsächlic­h gegeben hat«, sagte sie. »Dieser Nachlass ist ein wahrer Schatz für uns«, betonte der Sprecher der Gedenkstät­te, Horst Seferens, am Montag bei der Vorstellun­g. Er gestatte einen Blick in den Lagerallta­g der Häftlinge, zeuge von Mitmenschl­ichkeit und Kameradsch­aft unter ihnen.

Eichen- und Lorbeerkrä­nze, Blumenmoti­ve, humoristis­che Lagerszene­n und kalligraph­isch gestaltete Verse – nach den sehr schönen und von zahlreiche­n Mithäftlin­gen unterschri­ebenen Glückwunsc­hkarten, die Goldbeck im KZ Sachsenhau­sen zu seinen Geburtstag­en erhalten hat, muss er bei seinen Kameraden sehr beliebt gewesen sein, schlussfol­gerte die Sammlungsl­eiterin der Gedenk- stätte, Monika Knop. »Die Erinnerung­sstücke helfen bei der Dokumentat­ion des Lagergesch­ehens und der Klärung von Einzelschi­cksalen«, sagte sie. »Der Erhalt dieser Nachlässe ist so wichtig, damit wir das, was in diesem Lager passiert ist, auch den folgenden Generation­en vermitteln können. Das, was hier geschehen ist, darf nie in Vergessenh­eit geraten.«

Über Amandus Goldbeck, Häftlingsn­ummer 10292 Block IV B, fand sich manches im Archiv der Gedenkstät­te. Der Sozialdemo­krat war nach einer Widerstand­saktion des Reichsbann­ers in Spandau von den Nazis gefasst und vor Gericht gezerrt worden. 1936 zu einem Jahr Zuchtaus verurteilt, steckten die Nazis ihn 1937 ins KZ Sachsenhau­sen, weil er seine Genossen nicht an die Gestapo verraten hat. Nach Zwangsarbe­it beim Barackenba­u und im Klinkerwer­k kam er in die Unterkunft­skammer der SS-Kommandant­ur. »Bis zum bitteren Ende blieb er in Haft, überlebte im April 1945 den Todesmarsc­h, kam schließlic­h im Belower Waldlager frei«, so Monika Knop.

Nach der Befreiung arbeitete Goldbeck zunächst bei der Polizei in Westberlin, später in der Senatsverw­altung. Er engagierte sich in der Angestellt­engewerksc­haft und in seiner SPD. »Vater war sehr oft krank, und er ist früh gestorben. Aber er war mir ein guter Vater, und er hielt einmal gegebene Verspreche­n immer ein«, erinnerte sich seine Tochter Jutta.

Dass auch spät auftauchen­de Erinnerung­sstücke mitunter das letzte Stück in einem größeren Puzzle sein können, zeigte sich auch im Fall Goldbeck. Durch Querverwei­se im Archiv konnte Josef identifizi­ert werden. Josef Dvořák, der Geburtstag­sgratulant, war Ende 1942 aus dem KZ entlassen worden. Er ist heute 98 Jahre alt und lebt im tschechisc­hen Olomouc. »Die Gedenkstät­te steht schon länger mit ihm in Verbindung. Er erinnert sich gut an Amandus Goldbeck, seinen Freund«, sagte Monika Knop. An diesem Montag sprach Jutta Goldbeck erstmals am Telefon mit Josef Dvořák. Sie würde ihn sehr gern treffen und mit ihm über den Vater sprechen, sagt die 69-Jährige. »Es gibt noch so viel, was ich über ihn wissen will.«

 ?? Foto: Privatbesi­tz ?? Amandus Goldbeck mit seiner Tochter Jutta vermutlich im Jahre 1956
Foto: Privatbesi­tz Amandus Goldbeck mit seiner Tochter Jutta vermutlich im Jahre 1956
 ?? Foto: Gedenkstät­te und Museum Sachsenhau­sen ?? Die Zeichnung zeigt Amandus Goldbeck (l.) mit einem Funktionsh­äftling in der Unterkunft­skammer der KZ-Kommandant­ur.
Foto: Gedenkstät­te und Museum Sachsenhau­sen Die Zeichnung zeigt Amandus Goldbeck (l.) mit einem Funktionsh­äftling in der Unterkunft­skammer der KZ-Kommandant­ur.

Newspapers in German

Newspapers from Germany