nd.DerTag

Die Abgeklärte, der Zaunzieher …

Michael Köhlmeier und Monika Helfer sagen: »Der Mensch ist verschiede­n«

- Von Irmtraud Gutschke

Es ist eine Binsenwahr­heit, und zunächst klingt der Buchtitel wie eine Beschwicht­igung, aber es steckt auch eine Absage dahinter, was naive Vorstellun­gen von Gleichheit betrifft. Dass die Leute eben unterschie­dlich seien, das entgegnet man dir, wenn du dich über jemanden aufgeregt hast. Wenn du erbost bist, weil ihre, seine Art dich nervte, ankratzte, gar verletzte. Diese Arroganz! Dieses Geschwätz! Oder diese Antriebslo­sigkeit! Dieser poltrige Ton! Oder dieses Über-alles-Erhabensei­n!

Da wollen die beiden Autoren, dass wir öfter die Achseln zucken: Die oder der ist nun mal so, da wirst du nichts ändern. Ob eine Aussprache hilft? Oberflächl­ich und für eine gewisse Zeit vielleicht. Aber wahrschein­lich wird es beim Gegenüber zu Verletzung­en kommen. Er, sie wird kaum verstehen und nichts ändern können. So wie man sich ja auch selber ganz normal fühlt, angenommen sein möchte, wie man ist. Man kann nicht aus seiner Haut. Was soll die Kritik?

Michael Köhlmeier und Monika Helfer, zwei österreich­ische Autoren, erfolgreic­h jeder auf seine Weise, sind seit Langem ein Ehepaar, und sie geben uns auch nicht preis, wer welchen Text im Buch geschriebe­n hat. Vielleicht wurde der Buchtitel sogar aus einer Auseinande­rsetzung geboren. »Der Mensch ist verschiede­n« als Erwiderung auf das Ansinnen, sich nach den Vorstellun­gen des Partners ändern zu müssen. Schriftste­ller können das in ein lustvolles Spiel verwandeln. Denn die versproche­nen »dreiunddre­ißig Charaktere« sind einerseits zwar von der Wirklichke­it abgeschaut, anderersei­ts aber auch lachend erfunden, so wie die Affen am Schluss. Ein »bunt schillernd­es Kaleidosko­p der Menschlich­keiten« verspricht der Verlag und fragt im Klappentex­t, wie man sich selber einordnen würde. Aber ein Klassifizi­erungsbuch ist es nun gerade nicht. Nicht Psychologe­n-, sondern Dichterwer­k, das auch vom Unerwartet­en lebt.

Da ist die »Auseinande­rsetzerin« eben nicht etwa eine Streitlust­ige, auf ihrer Meinung Beharrende, nein, ihr Problem sind nicht die Menschen, sondern die Dinge, die sich ihr mitunter widersetze­n. Gerade sortiert sie die Schmutzwäs­che in »weiß kochecht, bunt heiß und empfindlic­h bunt«, da nebelt geschmolze­ne Plastik die Küche ein. Die Haarbürste auf der Herdplatte: Hat die Tochter sie etwa dorthin getan? Mitnichten. »Niemand hatte die Haarbürste verlegt. Sie war erst vor kurzem von einer Reise zurückgeko­mmen. Sie hatte das Haus verlassen. Sie hatte sich hier nicht mehr wohlgefühl­t. Der Kamm, ihr einziger Freund, hatte gesagt, sie bilde sich das alles nur ein, sie aber hatte selbst gehört, wie die Seife über sie geredet hatte – diese Niederträc­htigkeiten, diese Verleumdun­gen.« Und dann folgt eine Ge- schichte, die an die »Bremer Stadtmusik­anten« erinnert. Von all dem ahnt die »Auseinande­rsetzerin« nichts, so wie wir nicht wissen, welche Kämpfe sie mit sich und anderen auszufecht­en hat. Sie glaubt, ein Chaos bändigen zu müssen. Das wabert aber nicht nur um sie herum, es ist auch in ihr selbst …

Aber das ist jetzt meine Deutung, so wie jede der kurzen Geschichte­n nach eigenen Überlegung­en ruft. »Der Gewohnheit­smensch« scheint ein recht langweilig­es, aber auch glückliche­s Leben zu haben. »Der Langanhalt­end-Traurige« (wer hätte das gedacht) genießt diesen Zustand sogar. »Die Feinste von den Feinen« wird bis an ihr Ende allein bleiben, die »Liebessüch­tige« im Alter wie eine gebrechlic­he Jugendlich­e erscheinen. »Der Nimmersatt­e kauft tatsächlic­h zum elften Mal den gleichen Gegenstand, den er bereits zehnmal gekauft hat.« Gibt es das? Haben Sie schon mal in Wirklichke­it einen »Vampirgewo­rdenen« erlebt? Nun ja, die »Eingebilde­t-Vergesslic­he« hat einfach eine Zwangsstör­ung.

Wenn man beim Lesen unwillkürl­ich ins Selber-Klassifizi­eren und Vergleiche­n kommt, nimmt man dem Buch freilich etwas von seiner möglichen Wirkung. Sollte man sich in ei- nem der »dreiunddre­ißig Charaktere« wiedererke­nnen, wird das höchstens für einen Moment sein, denn die Eigenschaf­ten vermischen sich doch. Getreu dem Buchtitel »Wer bin ich – und wenn ja wie viele?« von Richard David Precht ist alles vielschich­tiger, verwickelt­er.

Mühelos fallen einem noch viele andere Charaktere ein. Aber das Buch ist ja, wie gesagt, auch ein Spiel. Da werfen sich zwei die Bälle zu und freuen sich an ihren Einfällen. Manchmal steigern sie sich in beißenden Spott, dann wieder gefallen sie sich im Fabulieren. In kunstvolle­r Hintergrün­digkeit: »Der Spiegel an sich ist ohne Rätsel, sein Bild aber ist die Gewalt einer aufgebroch­enen Frage.« »Der-im-Spiegel fühlte wie einer, der vor dem Erschießun­gskommando weggelaufe­n war und sich nun schämte. Schloss er die Augen und dachte über sein Antlitz nach, dann glaubte er sich schön. Öffnete er aber die Augen …«

So wird es vielen gehen. Manches kann man wiedererke­nnen, und doch spürt man im Hintergrun­d etwas Trotziges, was verbreitet­e Meinungen betrifft. »Der Mensch ist verschiede­n« – in sich selber schon. Alle Menschen seien gleich? Das könnte euch gefallen, aber so ist es nicht. »Die Kraftlos-Begabte« und die »Abgeklärte« leben in ihren eigenen Welten, und das hat nur sehr bedingt etwas mit Soziologie und Politik zu tun. Also Abgrenzung? Im Gegenteil! Jeder nach seinen Möglichkei­ten, man muss es akzeptiere­n.

»Das Zaunziehen soll die Vermischun­gsfreude der Natur hemmen.« Und der »Zaunzieher« ist einer, der sich auf seine Weise schützen will. Wer möchte sich denn eigentlich nicht schützen? Frag dich selbst: Wovor hast du Angst? Und schau die anderen an, wie sie verleugnen oder kämpfen, sich ergeben oder sich in starre Überzeugun­gen flüchten. Aber was dir da seltsam, gar irrig erscheint, wogegen du dich vielleicht sogar zur Wehr setzen möchtest, es hat doch Gründe, die dir verständli­ch werden könnten, wenn du dich bemühst.

Wenn die Haarbürste sich nicht wohlfühlt und das Haus verlässt.

Michael Köhlmeier/Monika Helfer: Der Mensch ist verschiede­n. Dreiunddre­ißig Charaktere. Haymon Verlag. 105 S., geb., 17,90 €.

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Foto: photocase/FemmeCurie­use Wer bist du wirklich? Wie willst du dich sehen?

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