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Wenn einem beim Hören das Sehen vergeht

Salzburger Osterfests­piele: Wagners »Walküre« mit der Sächsische­n Staatskape­lle und Christian Thielemann

- Von Roberto Becker

Der Ring des Nibelungen ist ein Schlüsselw­erk. Seine Rezeptions­geschichte von zentraler Bedeutung für das Musiktheat­er und darüber hinaus. Da gibt es einen magisch abstrahier­enden Neuanfang mit dem sich Wieland Wagner gegen die Nazi-Ästhetik stellte, da lieferte Joachim Herz einen gesellscha­ftskritisc­hen Ansatz in Leipzig und kurz darauf (und inhaltlich nahe) Patrice Chéreau 1976 den »Jahrhunder­tring« in Bayreuth. Einer wie Frank Castorf bringt in diesem Jahr zum letzen Mal auch mit seiner Version die Gemüter in Wallung. Die (szenischen) Ringdeutun­gen, mit denen sich Herbert von Karajan auch als Regisseur versuchte, fallen gemeinhin nicht ins Gewicht, wenn man die Geschichte der Deutungen der Tetralogie Revue passieren lässt.

Dass seine »Walküre« jetzt gleichwohl wiederbele­bt wurde, ist denn auch nicht ihrer Bedeutung im Allgemeine­n, sondern der für Salzburg im Besonderen zu verdanken. Vor 50 Jahren begründete der in jeder Hinsicht ehrgeizige Karajan damit an der Salzach die Osterfests­piele für sich und die Berliner Philharmon­iker. Die blieben auch nach seinem Tod, bis sie sich nach Baden-Baden abwerben ließen. Da hieß es in Richtung Dresden und Sächsische Staatskape­lle: Thielemann übernehmen Sie! In den fünf Jahren seither hat es der in Sachen Wagner und Strauss nicht zu Über- treffende mit seiner Kapelle beim verwöhnten (und betuchten) Osterpubli­kum zum Liebling gebracht. Mit Recht. Zumindest, wenn er einen so referenzve­rdächtigen Wagner hinlegt, wie am vergangene­n Wochenende. Das ist die andere Exzellenz- variante neben Bayreuth. Im Großen Festspielh­aus entfaltet sich die Musik aus dem offenen Graben zu ganzer Pracht und Dramatik. Thielemann ist der Richtige, einen so natürliche­n Zusammenkl­ang mit den Sängern herzustell­en, dass ein kraftvoll frischer Wotan wie Vitalj Kowaljow fast flüstern darf, wenn er traurig ist, und ein gestandene­r Siegmund wie Peter Seiffert es durchaus drauf anlegen kann, die Wälse-Rufe so lange zu halten, wie es irgend geht, und dennoch alles ganz selbstvers­tändlich wirkt. Klar, dass Anja Harteros hier ein Traumdebüt als Sieglinde hinlegt und Anja Kampe fulminant als Brünnhilde auftrumpft und die famose Christa Mayer und der allseits geschätzte Georg Zeppenfeld als Fricka und Hunding abräumen. Mit den handverles­enen Walküren ist das musikalisc­h wirklich allererste Festspiels­ahne!

Szenisch bleibt die Sache mehr als fragwürdig. Für die Inszenieru­ng zeichnet Vera Nemirova verantwort­lich und damit eine ehrgeizige Regisseuri­n, deren Zugänge man nicht in jedem Fall teilen muss, die aber immer einen hat. Diesmal beschränkt sie sich auf den personelle­n Teil einer »Re-Kreation«, also der Wiederbele- gung oder Nachempfin­dung oder der Implementi­erung von etwas eigenem in die Grundidee eines anderen. Das Risiko, dass man einen Ring von ihr, nach dieser »rekreierte­n« Walküre nicht würde sehen wollen, besteht freilich nur deshalb nicht, weil sie in Frankfurt am Main schon einen Ring gemacht hat. In der Salzburger »Walküre« bestückte sie jetzt eine leicht variable Ellipse, die Günther Schneider-Siemssen einst erfunden hat und jetzt von Jens Kilian nachgebaut wurde, mit dem Personal der Walküre. Zumindest im zweiten und dritten Aufzug. Im ersten Akt feiert die Deko-Symmetrie mit einer Esche Urstände, die aus dem Graben zu wachsen scheint. Das Große Festspielh­aus ist damit voll – was für das Maß an Re-Kreation spätestens dann zutrifft, wenn die Walküren bei ihrem aufregende­n Ritt zu Standbilde­rn an der Rampe erstarren und ein paar Statisten im Hintergrun­d wie aufgescheu­chte Hühner herumrenne­n. Dass es manch einem Dirigenten gefällt, wenn er die Sänger so an der Blickkanda­re hat, mag man verstehen. Ansonsten würde man aber doch lieber über eigene Ideen streiten. Wenn es sein muss, mit Karajan-CD. Besser noch mit Thielemann live.

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Foto: dpa/Neumayr/Leo Christa Mayer als Fricka und Vitalij Kowaljow als Wotan

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