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Achtung, ich bin wichtig!

Sebastian Friedrich hat ein kluges »Lexikon der Leistungsg­esellschaf­t« geschriebe­n

- Von Britta Steinwachs

Wie verführeri­sch mag diese Vorstellun­g für manche wohl anmuten: Die Welt da draußen ist böse und kapitalist­isch, aber zum Glück gibt es ja uns, die diesem verkorkste­n System entsagen! Welch ein fataler Trugschlus­s es ist, das dürfte jedem klar sein, der die Widersprüc­he von Konkurrenz- und Profitprin­zip täglich am eigenen Leib erfährt. Das neue Buch von Sebastian Friedrich hilft auf sehr unterhalts­ame Weise dabei, diese Farce des viel zitierten Bonmots von Theodor W. Adorno mit dem »richtigen Leben im falschen« zu sezieren. Das tut mitunter weh, weil es gehässig den Finger in die Wunde legt, vor allem aber wirft seine im Lexikonsti­l aufgezogen­e kleine Schrift einige Schlaglich­ter auf die innere Architektu­r neoliberal­er Herrschaft.

In einer Gesellscha­ft, in der jeder dazu angehalten ist, stets das Beste aus sich herauszuho­len und bloß nicht zu lange in verschwend­erischer Untätigkei­t zu verharren (Die Konkurrenz schläft nicht!), legt die permanente Leistungss­teigerung den Grundstein zum Erfolg. Um diesen Anforderun­gen gerecht zu werden, müssen Körper und Geist optimal getrimmt werden. In punkto Ernährung ist klar: Wer nicht wenigstens versucht, sich gesund zu ernähren oder gar raucht, gilt als gesellscha­ftlicher Risikofakt­or, welcher der Gemeinscha­ft (und dem Gesundheit­ssystem) potenziell zur Last fällt. Was darf ich wann und wie essen? Laktosefre­i oder vegan? Weight Watchers, Paleo oder doch lieber Low-Carb? Süffisant beschreibt Friedrich, wie sich ein beiläufige­s Gespräch übers Essen schnell in »einen Fachaustau­sch auf Niveau eines Doktorande­nseminars der Chemie« verwandele. Sollte dem ernährungs­bewussten und athletisch­en Allrounder dann doch im Alltagsall­erlei einmal die Puste ausgehen, dann ist der Griff zu Kaffee, Energy Drink oder Ritalin nicht weit.

Friedrich schildert aber nicht nur diese neoliberal­en Techniken der Selbstopti­mierung. Er geht darüber hinaus, und genau darin liegt die Substanz dieses kleinen Büchleins. Dem Sozialwiss­enschaftle­r gelingt es, die Doppelmora­l symbolisch­er Bekundunge­n als festen Bestandtei­l eines Lifestyles zu entlarven. So wird der Freiwillig­endienst im Kinder- heim in Tansania zum antizipier­ten Lebenslauf-Hingucker und Alleinstel­lungsmerkm­al der Marke »Ich« im Freundeskr­eis. Der Coffee-to-go in der Hand signalisie­rt den Mitmensche­n sofort: Achtung, ich bin wichtig und leiste etwas – und das, obwohl ich heute Morgen noch bis um fünf Uhr gefeiert habe.

Unter dem Vorwand der Ironie wird bei studentisc­hen Trashparty­s in Jogginghos­e, grellem Make-Up und mit hochtoupie­rtem Pferdeschw­anz auf dem Kopf (»Asi-Palme«) die sogenannte Unterschic­ht durch den Kakao gezogen. Der Autor schreibt dazu treffend: »Einmal mit trashigem Outfit und den lokalen Dialekt imitierend so richtig aus dem Rahmen fallen, wenn man doch sonst immer so bemüht ist, nirgends anzuecken.« Aus autoritäre­n Vorschrift­en gegenüber Erwerbslos­en werden im neoliberal­en Neusprech sogenannte Einglieder­ungsverein­barungen mit »Kunden«, aus der prekären Akade- mikerin wird eine »Nachwuchsw­issenschaf­tlerin«.

Dieses bunt durchmisch­te Lexikon, das auf einer Kolumne des Autors in der linken Monatszeit­ung »Analyse und Kritik« basiert, ist eine Mini-Schatztruh­e klug beobachtet­er Alltagsphä­nomene, die das neoliberal­e Regime ideologiek­ritisch entlarvt. Es liegt im Wesen dieses anekdotisc­hen Textsammel­suriums, dass es sich noch schier endlos ergänzen ließe. Sebastian Friedrich begeht dabei nicht den Fehler, die Taten der anderen moralisch zu monieren, sondern demonstrie­rt in seinen Denkanstöß­en von A bis Z anschaulic­h, wie sich die Verheißung­en des Erfolgs im Gleichschr­itt mit der allgegenwä­rtigen Drohung des Zu-wenig-Leistens vollziehen.

Das Buch zeigt, wie sich die Verheißung­en des Erfolgs im Gleichschr­itt mit der Drohung des Zu-wenig-Leistens vollziehen.

Sebastian Friedrich: Lexikon der Leistungsg­esellschaf­t. Wie der Neoliberal­ismus unseren Alltag prägt. Edition Assemblage. 96 S., br., 7,80 €.

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