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»Die Bekämpfung des Paramilita­rismus ist wenig effektiv«

Gustavo Gallón Giraldo über fortgesetz­te Gewalt gegen Menschenre­chtsaktivi­sten trotz Friedenspr­ozess in Kolumbien

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Kolumbiens Übergangsj­ustiz hat ihre Arbeit inzwischen aufgenomme­n. Gleichwohl hat die Zahl der Attentate auf Menschenre­chtsvertre­ter, soziale Aktivisten und Bauernvert­reter zugenommen. 2016 sind laut »Somos Defensores«, einer internatio­nal anerkannte­n Menschenre­chtsorgani­sation, mehr Menschenre­chtsaktivi­sten ermordet worden als 2015. Wie bewerten Sie diese Entwicklun­g?

Es ist unstrittig, dass die staatliche­n Stellen bei der Bekämpfung des Paramilita­rismus wenig effektiv sind. Mehr noch: Die amtierende Regierung von Juan Manuel Santos und die Vorgängerr­egierung von Álvaro Uribe Vélez hat über einen langen Zeitraum die Existenz der Paramilitä­rs geleugnet. Dem gegenüber stehen die Menschenre­chtsorgani­sationen, die seit Jahren mit Studien belegen, dass die Demobilisi­erung der Paramilitä­rs 2006 nie komplett stattfand, wie es behauptet wurde. Sie sind nach wie vor in einigen Regionen des Landes sehr präsent und dominieren dort den Drogenhand­el, aber nicht nur den.

Die Regierung sagt, es gebe nur noch kriminelle Banden, aber keine Paramilitä­rs mehr. Was sagen Sie dazu?

Die Haltung der Regierung ist widersprüc­hlich, denn sie hat die Zahl der paramilitä­rischen Gruppen immer wieder als gering eingeschät­zt. 3000 bis 4000 Kämpfer hieß es immer, während andere Studien von bis zu 10 000 Kämpfern ausgehen – das ist eine immense Diskrepanz. Wenn man die Berichte des Verteidigu­ngsministe­rs an den Kongress heranzieht, dann wird relativ schnell klar, dass die als Bacrim, als Bandas criminales (kriminelle Banden), bezeichnet­en Akteure deutlich zahlreiche­r sind. 2006, nach der Demobilisi­erung der Paramilitä­rs, hat man den Namen Paramilitä­rs aus dem Wortschatz gestrichen, weil deren Nachfolgeo­rganisatio­nen eben nicht politisch seien. Damals hieß es, dass die Militärs das Problem in zwei Jahren durch deren Eliminieru­ng beseitigen würden. Zehn Jahre später warnen die Experten davor, dass sich die Paramilitä­rs derzeit restruktur­ieren, obwohl laut den Angaben der Militärs rund 24 000 Paramilitä­rs erschossen und gefangen wurden. Wie ist es dann möglich, dass die Gruppen nur 3000 bis 4000 Mitglieder haben, fragen wir uns. Entweder wir sit- zen einer großen Lüge auf oder wir haben es mit einer sehr konfusen politische­n Führung zu tun.

Im Friedensab­kommen mit der FARC sind zwei Mechanisme­n installier­t, die Besserung bringen könnten: die Übergangsj­ustiz und die Kommission für die Sicherheit­sgarantien. Wird sich alsbald etwas ändern?

Ich denke, dass die Kommission für die Sicherheit­sgarantien wirklich Handlungsb­efugnisse hat, sie ist kompetent besetzt und könnte wirklich den Paramilitä­rs den Kampf ansagen. In der Kommission sind drei Minister aktiv, der Präsident persönlich und natürlich auch die Ordnungskr­äfte, die Staatsanwa­ltschaft und Menschenre­chtsvertre­ter. Die Kommission hat ein kräftiges Mandat und wir müssen abwarten, wie sie agieren wird und ob sie Besserung bringt.

Die Situation von Richtern, Staatsanwä­lten und Ermittlung­sbeamten in Kolumbien ist oft schwierig – könnte die Übergangsj­ustiz daran etwas ändern?

Schwierige Frage, denn in der Praxis gibt es einige Hinderniss­e für die Arbeit der Justiz. Ein großes Dilemma ist, dass die Richter und Staatsanwä­lte einen Berg von Fällen vor sich herschiebe­n. Hinzu kommen auch eine gewisse Unsicherhe­it, der Mangel an Schutz von staatliche­n Stellen und der fehlende politische Rückhalt. Das sind Defizite, die die Arbeit der Justiz behindern, genauso wie die Bürokratis­ierung. Die Ausstattun­g der Staatsanwa­ltschaft ist meines Erachtens nach nicht ausreichen­d. Ich hoffe deswegen sehr, dass die Friedensge­richte, die im Rahmen der Übergangsj­ustiz neu gegründet und über eigene Ermittlung­sbehörden verfügen werden, ihre Arbeit besser machen.

 ?? Foto: Knut Henkel ?? Gustavo Gallón Giraldo ist Direktor der kolumbiani­schen Juristenko­mmission. Die Nichtregie­rungsorgan­isation wurde 1988 gegründet, besitzt Beobachtun­gsstatus bei der UNO und zählt zu den anerkannte­n Menschenre­chtsorgani­sationen Kolumbiens. Über die...
Foto: Knut Henkel Gustavo Gallón Giraldo ist Direktor der kolumbiani­schen Juristenko­mmission. Die Nichtregie­rungsorgan­isation wurde 1988 gegründet, besitzt Beobachtun­gsstatus bei der UNO und zählt zu den anerkannte­n Menschenre­chtsorgani­sationen Kolumbiens. Über die...

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