Der Krampf um die Kohle
Bei den Grünen ist strittig, wann Deutschland sich von dem umweltschädlichen Energieträger verabschieden soll
Zwei Monate vor dem Programmparteitag der Grünen zeichnet sich eine Kontroverse zwischen Basis und Funktionären ab. Letztere lehnen ambitionierte Pläne für den Kohleausstieg ab.
Viele Grüne sind stolz darauf, dass bei ihren Parteitagen oft kontrovers debattiert wird und Rebellen immer wieder kleine Erfolge erzielen können. Doch in den vergangenen Monaten konnte man den Eindruck gewinnen, als nehme die Führung der Grünen den Willen ihrer eigenen Basis nicht mehr sonderlich ernst, wenn er ihr nicht passt.
Anfang dieses Jahres setzte sich die Bundestagsfraktion kurzerhand in Teilen über einen Beschluss des Münsteraner Parteitags vom November hinweg, wonach Deutschland bis zum Jahr 2025 aus der Kohleenergie aussteigen solle und besonders dreckige Altmeiler sofort abgeschaltet werden müssten. Die Bundestagsabgeordneten wollen sich bei diesem Vorhaben deutlich mehr Zeit lassen. Sie meinten, dass der Ausstieg erst innerhalb der nächsten 20 Jahre erfolgen könne. Zugleich versprachen die Parlamentarier aber immerhin, dass bis zum Jahr 2020 rund 20 besonders alte und schmutzige Kohlekraftwerksblöcke mit einer Leistung von 10 000 Megawatt vom Netz gehen sollten.
Der Fraktionsbeschluss wurde in den Entwurf der Parteispitze für das Bundestagswahlprogramm eingearbeitet. Vom Ausstiegsziel 2025 ist in dem Papier hingegen keine Rede. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Führung der Grünen ihre Abstimmungsniederlage von Münster nicht eingestehen will. Dort hatte ihr Vorschlag, den Kohleausstieg bis 2035 zu schaffen, im Unterschied zu ambitionierteren Plänen der Basis keine Mehrheit erhalten.
Einige Grüne wollen das Vorgehen von Fraktion und Parteiführung nicht hinnehmen. Für den Berliner Bundesparteitag Mitte Juni, wo das Wahlprogramm endgültig beschlossen wird, liegen bereits einige Änderungsanträge vor. Einen hat der linke Basisgrüne Karl-Wilhelm Koch aus Rheinland-Pfalz mit Unterstützern verfasst. Sie fordern eine Rückkehr zum Ausstiegsziel in acht Jahren.
Dieses Vorhaben entspricht auch einem Gutachten, das die Umweltschutzorganisation Greenpeace im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben hat. Darin wurde untersucht, was das Bekenntnis der Weltgemeinschaft in Paris, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, für Konsequenzen für die Klimapolitik der Staaten hat. Das New Climate Institute kam in der Analyse zu dem Schluss, dass die Energiewende in Deutschland deutlich beschleunigt werden solle und bis zum Jahr 2025 alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden müssten.
Zahlreiche Funktionäre der Grünen halten diesen Zeitplan für unrealistisch. Denn bundespolitisch wäre er gegen den Widerstand von Union und SPD wohl nicht durchzusetzen. Kohle spielt im Strommix hierzulande noch immer eine wichtige Rolle. Der Anteil von Braun- und Steinkohle lag im vergangenen Jahr bei 23,1 beziehungsweise 17 Prozent. Nach einer Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur vom vergangenen Jahr stehen in Deutschland noch 148 aktive Kraftwerke, deren einziger oder größter Energieträger Braunkohle oder Steinkohle ist. Zehntausende sind in der Kohlewirtschaft beschäftigt.
Der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Reiner Priggen hatte nach dem Beschluss von Münster kritisiert, dass sich so etwas nur Bundesländer ausdenken könnten, wo die Kohleverstromung heute schon nachrangig sei. »In NRW haben wir 76 Prozent Stromerzeugung aus Kohle. Das kann man nicht in acht Jahren abwickeln«, meinte Priggen. Die Grünen in NRW nennen ebenso wie die Bundesspitze das Jahr 2037 als Ziel.
Einen Kompromissvorschlag für den Bundesparteitag im Juni hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Energie vorgelegt. Demnach soll der Ausstieg bis zum Jahr 2025 nur noch »angestrebt« und ab diesem Zeitpunkt einzelne Kohlekraftwerke für eine kurze Übergangsfrist noch als Reserve genutzt werden. Offen ist, ob sich die Protagonisten noch hinter den Kulissen einigen oder ob die Änderungsanträge beim Berliner Bundesparteitag abgestimmt werden.
Bei dem Thema geht es auch um das Image der Partei. Die Führung der Grünen ist darauf bedacht, radikal klingende Forderungen zu eliminieren, um bürgerliche Wähler nicht zu verschrecken. Zudem wollen einflussreiche Kräfte in der Partei, dass die Grünen nach der Bundestagswahl im September für eine mögliche Koalition mit der Union bereitstehen, notfalls auch mit der FDP als drittem Partner. Da ist es von Vorteil, wenn das Wahlprogramm möglichst viele Spielräume für Kompromisse mit den Konservativen lässt.
Einen Hinweis darauf, wie wenig von den Klimaschutzzielen der Grünen in einer Koalition mit der Union übrig bleiben würde, liefert der im vergangenen Jahr unterzeichnete Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg. Dort will sich Grünen-Regierungschef Winfried Kretschmann mit seinen Partnern von der CDU für einen bundesweiten Ausstieg aus der Kohlenutzung erst in ferner Zukunft einsetzen, nämlich bis Mitte dieses Jahrhunderts.