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Sea Eye schickt zweites Boot ins Mittelmeer

Private Seenotrett­er intensivie­ren ihren Einsatz / Bundesregi­erung geht von deutlich mehr Flüchtling­en vor der libyschen Küste aus

- Von Stefan Otto

Der Einsatz von Seenotrett­ern ist brisant: Anschuldig­ungen kommen nicht nur aus Libyen, sondern zunehmend auch aus Europa. Die Initiative Sea Eye trotzt ihnen und weitet die Hilfe aus.

Die Flüchtling­sorganisat­ion Sea Eye ist künftig mit einem zweiten Rettungssc­hiff vor der libyschen Küste aktiv. Am Dienstag lief in Stralsund der Fischkutte­r namens »Seefuchs« aus. In drei Wochen soll das Schiff Malta erreichen. Von dort aus wird es gemeinsam mit dem Mutterschi­ff »Sea Eye« im Mittelmeer kreuzen, um schiffbrüc­hige Flüchtling­e aufzuspüre­n. »Unsere Besatzunge­n können vor Ort Erste Hilfe leisten, die Schiffe sind mit Rettungswe­sten und Schwimmins­eln ausgestatt­et«, erklärt Hans-Peter Buschheuer, Sprecher der Initiative, gegenüber »nd«. »Eine Evakuierun­g muss dann ein europäisch­es Marineschi­ff vornehmen«, dafür sei der 58 Jahre alte Kutter »Seefuchs« nicht groß genug. Koordinier­t werden alle Rettungsei­nsätze im zentralen Mittelmeer von der Seenotrett­ungsleitst­elle MRCC in Rom.

Die komplett von Spenden finanziert­e Initiative Sea Watch hat vor einem Jahr im Mittelmeer ihre Arbeit aufgenomme­n. Seitdem konnten die Helfer nach eigenen Angaben bereits mehr als 6000 Menschen in Seenot retten. »Aber wir haben zu wenige Schiffe im Einsatz, die Lücken sind zu groß«, begründet Buschheuer die Ausweitung der Einsätze, die in die- sem Jahr rund eine halbe Million Euro kosten werden.

Nach Schätzunge­n der EU flüchteten im vergangene­n Jahr rund 180 000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa. Die meisten von ihnen versuchten, von der libyschen Küste aus Italien zu erreichen. Doch nur selten sind die Boote der Flüchtling­e hochseetau­glich, viele kenterten, es gab mehr als 5000 Tote, so viel wie nie zuvor.

Dieser Trend setzt sich auch in diesem Jahr fort. In den ersten drei Monaten haben bereits viel mehr Menschen als 2016 den gefährlich­en Weg über das Mittelmeer gewählt. »Wenn wir das hochrechne­n, könnten in diesem Jahr 300 000 bis 400 000 Menschen in Italien ankommen, sagte Bundesentw­icklungsmi- nister Gerd Müller (CSU) vor einigen Tagen.

Angesichts dieser Prognosen wird der Ton gegenüber den privaten Hilfsorgan­isationen im Mittelmeer zunehmend rauer. »Viele Flüchtling­e wissen natürlich, dass es diese Boote vor der Küste gibt«, meinte der libysche Ministerpr­äsident Fajes al Sarradsch. Sobald sie eines dieser Schiffe erreichen, könnten sie ihre Reise nach Europa sicher beenden. Weil die EU dies dulde, gibt er der Union eine Mitverantw­ortung an dem hohen Flüchtling­saufkommen in Libyen.

Auch dem österreich­ischen Außenminis­ter Sebastian Kurz sind die Nichtregie­rungsorgan­isationen längst ein Dorn im Auge. Er unterstell­te den Helfern, sie würden auf dem Meer aktive Fluchthilf­e leisten. Buschheuer spricht von »Diffamieru­ngen« ihrer Arbeit – die in den letzten Monaten zugenommen hätten. Er weiß natürlich um die Brisanz der Rettungsei­nsätze. Mehrmals gab es bereits Übergriffe seitens der libyschen Küstenwach­e auf private Seenotrett­er.

Im vergangene­n September wurden zwei Mitglieder von Sea Eye auf einem Schnellboo­t festgenomm­en, weil sie angeblich libysches Hoheitsgeb­iet befahren hätten, was die Initiative aber umgehend dementiert hatte. Das Boot sei noch immer beschlagna­hmt, erzählt Buschheuer.

Noch gravierend­er war der Übergriff auf eine Rettungsak­tion der Initiative Sea Watch Ende Oktober, bei dem ein Flüchtling­sboot kenterte und nach Angaben der Organisati­on 25 bis 30 Flüchtling­e ertranken.

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