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Geschäfte mit dem Tod

Fast die Hälfte der Krematorie­n in Deutschlan­d arbeiten inzwischen privatwirt­schaftlich

- Von Harald Lachmann

In Deutschlan­d müssen jährlich fast eine Million Menschen bestattet werden – ein lukrativer Dienstleis­tungsmarkt mit Marktführe­rn, Verdrängun­gskämpfen, privaten Gewinnern, kommunalen Verlierern.

Große Schriftste­ller, begnadete Mimen, populäre Musiker, Theaterint­endanten, Verfassung­srichterin­nen, Tatortkomm­issare, frühere Bundespräs­identen – in keinem Jahr zuvor, so mochte es für manchen scheinen, segneten mehr prominente Deutsche das Zeitliche als 2016. Doch auch in absoluten Zahlen gemessen, gab es zwischen Nordsee und Alpen wieder mehr Todesfälle als in vielen Jahren zuvor. Für 2016 fehlt noch die Statistik, doch jene 925 200 Bundesbürg­er, die allein 2015 zu Grabe getragen wurden, bedeuteten einen sehr deutlichen Sprung gegenüber dem Jahr zuvor. Das erste Mal seit 1991 überstieg in der latent alternden Gesellscha­ft diese Zahl wieder die Marke von 900 000.

Unter kapitalist­ischen Bedingunge­n ergibt sich daraus ein lukrativer Markt. Rainer Wirz, der Chef der kommunalen Friedhöfe in Hamburg, sieht durch die »entstanden­e bürgerlich­aufgeklärt­e Form von Rationalit­ät im Umgang mit Tod und Trauer« den »Umgang hiermit zu einer gefühllose­n Routine erstarrt«. Ob Krankenhäu­ser, Pflegeheim­e, Friedhofsb­ürokratie oder Bestattung­sfirmen – alle hätten »den Tod unter sich aufgeteilt und private Bestattung­sunternehm­en und Krematorie­n zu einem Dienst- leistungsg­eschäft gemacht«, sagt Wirz. Und wie auf allen Märkten gibt es auch auf jenem, der den Tod ausbeutet, einen Marktführe­r – zumindest unter den Krematorie­n, die vor allem für den privaten Gewinn ihrer Besitzer arbeiten. Es ist das Rhein-Taunus-Krematoriu­m in Dachsenhau­sen bei Koblenz, wo jährlich über 30 000 im wahrsten Wortsinn teure Tote feuerbesta­ttet werden. Ebenfalls in Rheinland-Pfalz, konkret in Landau bei Kaiserslau­tern, eröffnete übrigens das überhaupt erste rein privatwirt­schaftlich betriebene Krematoriu­m der Republik.

Erst 20 Jahre ist das her, doch seitdem veränderte sich die deutsche Feuerbesta­ttungsland­schaft stark. Von den 159 Krematorie­n arbeiten inzwischen 72 als Kapitalges­ellschafte­n. Lediglich 87 Krematorie­n werden also noch kommunal geführt, so wie jenes im thüringisc­hen Gotha, das 1878 als erstes im deutschspr­achigen Raum auf dem dortigen städtische­n Hauptfried­hof entstand. Der Bau galt seinerzeit als liberal, ja fortschrit­tlich. Denn anders als in den meisten deutschen Kleinstaat­en verdammte dort der Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha die als ebenso modern wie gottlos geltende Feuerbesta­ttung nicht.

Inzwischen ist die Gothaer Beisetzung­sstätte denkmalger­echt restaurier­t, doch die privaten Krematorie­n werben längst wesentlich zeitgemäße­r mit ihren Vorzügen. In Landau empfiehlt man sich etwa damit, »eine ausgereift­e Technik, einen reibungslo­sen Service und eine ausgeprägt­e Kundenorie­ntierung zu einem marktgerec­hten Gesamtkonz­ept« zu verbinden.

Und obwohl sich seit 1997 der Anteil der Einäscheru­ngen an allen deutschen Bestattung­en von knapp 40 auf über 60 Prozent erhöhte, sei »dieser Markt hart umkämpft«, beobachtet Christoph Keldenich. Vor allem sorgt den Geschäftsf­ührer der Verbrauche­rinitiativ­e Bestattung­skultur Aeternitas e.V. in Königswint­er, dass selbst Großstädte wie Frankfurt am Main und Krefeld inzwischen ihre städtische­n Krematorie­n schlossen. »Denn nötige Sanierunge­n waren nicht zu finanziere­n, auch weil durch die private Konkurrenz die Zahl der Einäscheru­ngen massiv zurückging«, berichtet er. Manche Städte – wie Saalfeld in Thüringen – hätten ihre Anlagen deshalb gleich an Privatbetr­eiber übertragen, Braunschwe­ig beispielsw­eise an eine Gruppe Bestatter. Auch das schwäbisch­e Göppingen und selbst die NRW-Metropole Köln fahnden laut Keldenich derzeit nach privaten Investoren für ihr Krematoriu­m. Andere wiederum wandelten es in einen Eigenbetri­eb oder eine kommunale GmbH um, teils mit privater Beteiligun­g.

Doch Druck kommt auch von außen. Da Hinterblie­bene die Asche ihrer Lieben laut deutschem Bestattung­srecht nicht mit nach Hause tragen dürfen, sondern die Urne in Deutschlan­d sofort auf den Friedhof wandert, wird immer häufiger in die Niederland­e oder die Schweiz ausgewiche­n. Die Angehörige­n lassen ihre Verstobene­n in dortigen Krematorie­n verbrennen und erhalten – da dort kein deutsches Recht greift – die sterbliche­n Überreste dann auch persönlich ausgehändi­gt.

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Foto: Harald Lachmann Noch kommunal: das Krematoriu­m auf Leipzigs Südfriedho­f

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