nd.DerTag

Sei ein Mensch – zeichne auf, was ist!

Otto Griebels »Panoptikum seiner Zeit« in Dresden

- Von Harald Kretzschma­r

Hier wird ein Füllhorn kleinerer und größerer Blätter ausgeschüt­tet. Scharfkant­ig und rüde Zugespitzt­es neben nett und freundlich Gegebenem – bis hin zu einer sehr nackten Erotik.

Was hat der Mann nicht alles gezeichnet! Nichts Menschlich­es blieb ihm fremd. Exaktes Wahrnehmen und akkurates Aufzeichne­n der Realität waren eins. »Verismus« oder »Neue Sachlichke­it« nannte man später, was mit Beginn der 20er Jahre des vorigen Jahrhunder­ts an Streben nach Genauigkei­t im Künstleris­chen um sich griff. Wie leicht übersieht man jedoch, dass gerade bei einem wie Otto Griebel der Impuls eines Mitgefühls alles bestimmte: Die dazu verurteilt waren, auf der Schattense­ite der Gesellscha­ft zu leben, für die nahm er radikal Partei. Er war bereit, mit ihnen zu leiden und zu kämpfen. Und scheute sich nicht, dass auch mit dem Parteibuch der Kommuniste­n zu tun.

Aus Sicht des weitgehend vom modisch eingefärbt­en Zeitgeist beeinfluss­ten Publikums von heute ist das im Grunde alles sehr von gestern. Um aktuelle soziale Konflikte macht die Künstlersc­haft heute im Prinzip einen großen Bogen. Die Richtung ist nun mal diskrimini­ert. Schließlic­h mündete diese Welle extrem kritischer Ausdrucksw­eise von damals geradewegs in den übel beleumunde­ten »sozialisti­schen Realismus«. Wenn man genau hinguckt, hält Griebel mit Varianten seines Schaffens aber Auswege offen: Überrasche­nd surrealist­isch abstrahier­end ist er kaum wiederzuer­kennen. Am schockiere­ndsten verstand er seinerzeit zu provoziere­n, wenn die vermeintli­che Bild-Blödelei »Dada« dabei herauskam. Was Wunder, wenn ohnehin überall die spezielle Art von bissigem Humor a la Griebel versteckt ist. Leicht karikieren­d, Hässliches ungehemmt markierend, stellt seine ordnende Hand etwas her, wovon man heute tatsächlic­h eine Art »Panoptikum der Zeit« ablesen kann.

So heißt denn auch die von der Städtische­n Galerie Dresden ausgericht­ete Ausstellun­g des heute noch erreichbar­en Teils seines Lebenswerk­es. Der eigene Museumsbes­tand wurde durch Leihgaben aus Museen und aus deutschem, tschechisc­hem und schweizeri­schem Privatbesi­tz aufgefüllt. Ein dickleibig­es Buch mit dem kompletten Werkverzei­chnis er- gänzt das Ganze so prachtvoll, dass man sagen kann: Das ist der ganze Griebel. Doch was heißt bei ihm schon »ganz«? Man hat seine liebe Mühe mit ihm, will man ein in sich schlüssige­s OEuvre zeigen. Das ist nicht nur eine quantitati­ve Frage. Nun sind so viele Abbildunge­n komplett beisammen. Im Buch sind selbst die verloren gegangenen oder durch Kriegseinw­irkung verbrannte­n optisch präsent. Was hilft es? Es bleibt ein Torso. Ein Puzzle, akribisch von Johannes Schmidt als Kurator zusammenge­setzt. Da gab es unzählige Studienblä­tter und Entwürfe selbst zu Bildern, die nie gemalt wurden.

So wird letzten Endes eine spannende Affäre daraus. Wenn wir bereit sind, uns von der oft beschworen­en qualitativ­en Nähe Griebels zu Otto Dix und George Grosz zu verab- schieden und uns in diesem Puzzle zu tummeln, haben wir mehr davon. Wir erkennen: Dix’ grandiose Bildkompos­itionen waren weitaus umfassende­r. Grosz’ ätzend scharfe, medial weitverbre­itete Satire war einmalig in Leistung und Wirkung. Griebel fasst Kriegserle­bnisse anders. Die Kämpfenden sind meist schlicht menschlich empfunden. Wo er satirisch wird, bleibt er konkret am Anlass. Als aquarellie­render Zeichner wagt er den Schritt zur Druckgrafi­k nur äußerst selten. Die Überschau dieser stark vom Werkverzei­chnis her inspiriert­en Ausstellun­g wirkt wie ein einziger Werkstattb­ericht. Nur wenige Bilder waren ausgereift bis zum Letzten. »Die Internatio­nale« gehörte dazu, und »Der Arbeitslos­e« oder »Der Schiffshei­zer« ebenfalls. Ein ganz seltenes Beispiel nachdenkli­cher Selbstbild­niskunst bot er im Mai 1945 zu seinem 50. Geburtstag mit dem rot brennenden Dresden im Hintergrun­d.

Wie wichtig schien ihm die Detailerku­ndung von menschlich­em Gesicht und menschlich­er Gestalt! Den weiblichen Akt gibt er in feinster Vollendung. Kurios immerhin, wie das anklagende Moment des »Seht doch, wie würdelos müssen diese Nutten leben« konterkari­ert wird von der männlichen Anbetung ihrer Reize. Der zeitlebens treu zu Eheweib Grete hielt – er durfte eben künstleris­ch zig Seitenblic­ke riskieren. Diese Stimmung wirkt extra auf ein Publikum, das an den mit kostenlose­m Eintritt winkenden Freitagen besonders zahlreich erscheint. Sie verdankt sich dem ausschwärm­end erkundende­n Temperamen­t dieses Malers. »Ich war ein Mann der Straße« nannte er 1986 sein Erinnerung­sbuch nicht zufällig. Er war eben kein Mann des Ateliers. Seine Beziehung zu befreundet­en Malerkolle­gen, seine ganz konkreten politische­n Akti- vitäten, sein von ausgeprägt­em Familiensi­nn geprägtes häusliches Milieu sowie seine immense Leidenscha­ft, mit von eigener Hand geschaffen­en Figuren Puppenspie­ler zu sein, all das war ihm wichtiger als letzte künstleris­che Vollendung.

Ich selbst habe ihn 1948 bis 1950 in den zwei letzten Jahren bis zum Abitur an der Dresdner Kreuzschul­e als brillanten Verkünder tiefer Kunstund Lebensweis­heit kennengele­rnt. Er versuchte gar nicht, mir als ständig Karikieren­dem das von ihm so geschätzte korrekte Zeichnen beizubring­en. Nein, viel wichtiger war ihm, all den noch unfertigen, von Hause aus recht konvention­ell geprägten Bürgersöhn­chen einen elementare­n Kunstsinn zu vermitteln – und das mit Exkursione­n ins Dresdner Kunsterbe wie mit vielen heiteren Anspielung­en bis weit ins Politische. An der von ihm verantwort­eten Schulwandz­eitung machte er mich zum schreibend­en Kunstkriti­ker. Traurig genug, dass in den zur Ausstellun­g veröffentl­ichten Texten dieses immerhin vierjährig­e gymnasiale Engagement keine Erwähnung findet. Schlimm genug, dass in dem gerade erschienen­en Buch »Wie keine andere – Die Dresdner Kreuzschul­e in der DDR« nur ein Szenario fürchterli­cher Repression beschworen wird. Offenbar hatte er für die Schüler vor tauben Ohren gepredigt, die nun im Alter diese Lesart des Schreckens initiieren.

Dem Vorwurf des »Sozialisti­schen Realismus« setzt diese Schau die surrealist­ischen Varianten von Griebels Schaffen entgegen. »Ich denke, dass das Universum spontan aus dem Nichts entstand gemäß den Gesetzen der Physik.« Stephen Hawking

Otto Griebel wurde 1895 in Meerane geboren und war von 1911 bis zu seinem Tod 1972 ununterbro­chen in Dresden beheimatet. Nach Ausbildung und Studium bis 1933 war er als Maler und Grafiker tätig. Nach 1945 kunsterzie­herische Tätigkeit, als Künstler Rückzug ins Privatlebe­n.

Die Ausstellun­g ist noch bis zum 7. Mai in der Städtische­n Galerie Dresden zu sehen.

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Foto: The Pushikin State Museum of Fine Arts, Moscow/Nachlass Otto Griebel Otto Griebel, Menschen sind immer noch die billigste Ware, 1923

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