Weniger für die Arbeitenden
Der Steigerung der Produktivität kommt vor allem den Vermögenden zugute
Die Abgabenlast ist in Deutschland besonders hoch. Doch die Digitalisierung macht eine neue Umverteilung notwendig, weil immer weniger vom produzierten Reichtum bei den Arbeitenden ankommt.
Am Montagabend waren sie alle bei Angela Merkel: Die Bundeskanzlerin empfing die Spitzen vom Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank, der Industriestaatenorganisation OECD sowie der Welthandels- und der Internationalen Arbeitsorganisation. Vornehmlich waren – wie so oft, seit Donald Trump US-Präsident ist – der Außenhandel und der Klimawandel Gesprächsthema. »Globale Herausforderungen bedürfen globaler Beachtung, globaler Verantwortung und globaler Lösungen«, warnten die Teilnehmer der Runde in einer gemeinsamen Erklärung vor Protektionismus und Alleingängen.
Doch es gibt noch ein zweites Thema, das vor allem den IWF und die OECD umtreibt: die wachsende Schieflage bei der Verteilung des Reichtums der Gesellschaften und die damit verbundene Frage der zu starken oder zu schwachen Umverteilung via Steuern und Abgaben durch den Staat. Denn der IWF warnt in seinem aktuellen Weltwirtschaftsausblick, dass vom produzierten Reichtum immer weniger bei der arbeitenden Bevölkerung ankommt: »Zwischen 1991 und 2014 ist die Lohnquote in 29 der 50 größten Volkswirtschaften der Welt gesunken.« Und diese 29 Länder machten zuletzt rund zwei Drittel der globalen Wirtschaftsleistung aus. Dabei ist die Lohnquote im Grunde nichts anderes als der Anteil, den die Beschäftigten, vermittelt über ihr Gehalt, am gesellschaftlichen Reichtum bekommen.
Für die Industrieländer zeigen die Ökonomen des IWF diese Entwicklung seit 1970 auf. Demnach sank die Lohnquote von damals knapp 55 Prozent auf knapp 51 Prozent im Jahr 2015. Bei den Entwicklungsländern sank sie seit 1993 zunächst von 39,2 auf 34,7 Prozent im Jahr 2006 und stieg zuletzt wieder auf 37,3 Prozent.
Manch einer sucht die Schuld, dass bei der arbeitenden Bevölkerung wenig ankommt, beim Staat. »Im Durchschnitt muss mehr als die Hälfte des erwirtschafteten Einkommens an den Staat abgeführt werden«, meint etwa der Präsident des Bundes der Deutschen Steuerzahler, Reiner Holznagel, und bezieht sich dabei auf eine am Dienstag veröffentlichte OECDStudie, der zufolge Deutschland nach Belgien das Land mit der höchsten Abgabenlast für Alleinerziehende ist.
Doch beim traditionellen patriarchalen Familienmodell mit zwei Kindern und einem Verdiener sieht die Sache schon ganz anders aus und die Abgabenlast, bezogen auf das Durchschnittseinkommen, schrumpft von 49,4 auf 34 Prozent. Deutschland landet in dieser Statistik dann hinter Ländern wie Frankreich, Finnland, oder der Türkei auf Platz neun.
Zudem machen Steuern nur einen kleinen Teil der Abgabelast aus. Bei Singles belaufen sie sich auf 15,9 Prozent des Gehalt. Der Rest sind Sozialversicherungsbeiträge, die sich die Angestellten bekanntlich mit ihren Arbeitgebern teilen. Und dort ist die Last ungleich zulasten der arbeitenden Bevölkerung verteilt. So zahlen alleinstehende Angestellte im Schnitt 17,3 Prozent Sozialabgaben auf ihren Verdienst, während das Unternehmen nur 16,2 Prozent drauflegen muss.
Dadurch landet Deutschland im OECD-Vergleich bei der Abgabenlast für die Unternehmen lediglich auf Platz 15. Dass es auch anders geht, zeigen Länder wie Frankreich oder Schweden, wo die Unternehmen 26,8 beziehungsweise 23,9 Prozent Sozialabgaben zahlen müssen, während die Beschäftigten nur mit 10,8 beziehungsweise 13,6 Prozent belastet werden.
Zudem sind die Sozialversicherungen Leistungen, auf die man im Notfall wohl nicht sonderlich gern verzichten will. Und auch die durch Steuern finanzierten Staatsausgaben kommen in der Regel – ob direkt oder indirekt – etwa durch den Straßenbau oder die kostenlose Schulbildung mehr oder weniger allen zugute. Insofern ist der Referenzwert zur Lohnquote nicht die Abgabenlast, sondern vor allem die Gewinnquote. Diese gibt den Anteil des Volksvermögens an, der vom produzierten Reichtum via Dividenden, Mieten, Zinsen und Gewinne an die Vermögensbesitzer geht. Wenn also die Lohnquote abnimmt, steigt die Gewinnquote.
Die Ursache für diese Entwicklung sehen die Ökonomen des IWF vor allem im technischen Fortschritt. »Eine fallende Lohnquote bedeutet, dass der Anteil der Löhne am Produkt langsamer wächst als die durchschnittliche Arbeitsproduktivität«, schreibt der IWF. Weil aufgrund des technischen Fortschritts die Kosten für Investitionsgüter wie Maschinen und Roboter sinken, würden vor allem Routinetätigkeiten automatisiert.
Dies macht eine Umverteilung des Reichtums nicht obsolet. Ganz im Gegenteil. »Längerfristig angelegte Maßnahmen zur Umverteilung könnten erforderlich sein«, schreibt der IWF. Investitionen in Bildung und Weiterbildung während der Arbeitskarriere könnten helfen, die Verwerfungen abzuschwächen, die durch den technischen Fortschritt verursacht werden.Und auch die OECD, die Deutschland eine besonders hohe Steuer- und Abgabenlast auf Arbeitseinkommen attestiert, hält dem Land gerne vor, dass das Vermögen bei ihm sehr ungleich verteilt ist. Die Einkommensungleichheit hierzulande liegt im OECD-Schnitt zwar »nur« im Mittelfeld, doch sieht die Sache anders aus, wenn man die Umverteilung durch den Staat herausrechnet.