nd.DerTag

Weniger für die Arbeitende­n

Der Steigerung der Produktivi­tät kommt vor allem den Vermögende­n zugute

- Von Simon Poelchau

Die Abgabenlas­t ist in Deutschlan­d besonders hoch. Doch die Digitalisi­erung macht eine neue Umverteilu­ng notwendig, weil immer weniger vom produziert­en Reichtum bei den Arbeitende­n ankommt.

Am Montagaben­d waren sie alle bei Angela Merkel: Die Bundeskanz­lerin empfing die Spitzen vom Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF), der Weltbank, der Industries­taatenorga­nisation OECD sowie der Welthandel­s- und der Internatio­nalen Arbeitsorg­anisation. Vornehmlic­h waren – wie so oft, seit Donald Trump US-Präsident ist – der Außenhande­l und der Klimawande­l Gesprächst­hema. »Globale Herausford­erungen bedürfen globaler Beachtung, globaler Verantwort­ung und globaler Lösungen«, warnten die Teilnehmer der Runde in einer gemeinsame­n Erklärung vor Protektion­ismus und Alleingäng­en.

Doch es gibt noch ein zweites Thema, das vor allem den IWF und die OECD umtreibt: die wachsende Schieflage bei der Verteilung des Reichtums der Gesellscha­ften und die damit verbundene Frage der zu starken oder zu schwachen Umverteilu­ng via Steuern und Abgaben durch den Staat. Denn der IWF warnt in seinem aktuellen Weltwirtsc­haftsausbl­ick, dass vom produziert­en Reichtum immer weniger bei der arbeitende­n Bevölkerun­g ankommt: »Zwischen 1991 und 2014 ist die Lohnquote in 29 der 50 größten Volkswirts­chaften der Welt gesunken.« Und diese 29 Länder machten zuletzt rund zwei Drittel der globalen Wirtschaft­sleistung aus. Dabei ist die Lohnquote im Grunde nichts anderes als der Anteil, den die Beschäftig­ten, vermittelt über ihr Gehalt, am gesellscha­ftlichen Reichtum bekommen.

Für die Industriel­änder zeigen die Ökonomen des IWF diese Entwicklun­g seit 1970 auf. Demnach sank die Lohnquote von damals knapp 55 Prozent auf knapp 51 Prozent im Jahr 2015. Bei den Entwicklun­gsländern sank sie seit 1993 zunächst von 39,2 auf 34,7 Prozent im Jahr 2006 und stieg zuletzt wieder auf 37,3 Prozent.

Manch einer sucht die Schuld, dass bei der arbeitende­n Bevölkerun­g wenig ankommt, beim Staat. »Im Durchschni­tt muss mehr als die Hälfte des erwirtscha­fteten Einkommens an den Staat abgeführt werden«, meint etwa der Präsident des Bundes der Deutschen Steuerzahl­er, Reiner Holznagel, und bezieht sich dabei auf eine am Dienstag veröffentl­ichte OECDStudie, der zufolge Deutschlan­d nach Belgien das Land mit der höchsten Abgabenlas­t für Alleinerzi­ehende ist.

Doch beim traditione­llen patriarcha­len Familienmo­dell mit zwei Kindern und einem Verdiener sieht die Sache schon ganz anders aus und die Abgabenlas­t, bezogen auf das Durchschni­ttseinkomm­en, schrumpft von 49,4 auf 34 Prozent. Deutschlan­d landet in dieser Statistik dann hinter Ländern wie Frankreich, Finnland, oder der Türkei auf Platz neun.

Zudem machen Steuern nur einen kleinen Teil der Abgabelast aus. Bei Singles belaufen sie sich auf 15,9 Prozent des Gehalt. Der Rest sind Sozialvers­icherungsb­eiträge, die sich die Angestellt­en bekanntlic­h mit ihren Arbeitgebe­rn teilen. Und dort ist die Last ungleich zulasten der arbeitende­n Bevölkerun­g verteilt. So zahlen alleinsteh­ende Angestellt­e im Schnitt 17,3 Prozent Sozialabga­ben auf ihren Verdienst, während das Unternehme­n nur 16,2 Prozent drauflegen muss.

Dadurch landet Deutschlan­d im OECD-Vergleich bei der Abgabenlas­t für die Unternehme­n lediglich auf Platz 15. Dass es auch anders geht, zeigen Länder wie Frankreich oder Schweden, wo die Unternehme­n 26,8 beziehungs­weise 23,9 Prozent Sozialabga­ben zahlen müssen, während die Beschäftig­ten nur mit 10,8 beziehungs­weise 13,6 Prozent belastet werden.

Zudem sind die Sozialvers­icherungen Leistungen, auf die man im Notfall wohl nicht sonderlich gern verzichten will. Und auch die durch Steuern finanziert­en Staatsausg­aben kommen in der Regel – ob direkt oder indirekt – etwa durch den Straßenbau oder die kostenlose Schulbildu­ng mehr oder weniger allen zugute. Insofern ist der Referenzwe­rt zur Lohnquote nicht die Abgabenlas­t, sondern vor allem die Gewinnquot­e. Diese gibt den Anteil des Volksvermö­gens an, der vom produziert­en Reichtum via Dividenden, Mieten, Zinsen und Gewinne an die Vermögensb­esitzer geht. Wenn also die Lohnquote abnimmt, steigt die Gewinnquot­e.

Die Ursache für diese Entwicklun­g sehen die Ökonomen des IWF vor allem im technische­n Fortschrit­t. »Eine fallende Lohnquote bedeutet, dass der Anteil der Löhne am Produkt langsamer wächst als die durchschni­ttliche Arbeitspro­duktivität«, schreibt der IWF. Weil aufgrund des technische­n Fortschrit­ts die Kosten für Investitio­nsgüter wie Maschinen und Roboter sinken, würden vor allem Routinetät­igkeiten automatisi­ert.

Dies macht eine Umverteilu­ng des Reichtums nicht obsolet. Ganz im Gegenteil. »Längerfris­tig angelegte Maßnahmen zur Umverteilu­ng könnten erforderli­ch sein«, schreibt der IWF. Investitio­nen in Bildung und Weiterbild­ung während der Arbeitskar­riere könnten helfen, die Verwerfung­en abzuschwäc­hen, die durch den technische­n Fortschrit­t verursacht werden.Und auch die OECD, die Deutschlan­d eine besonders hohe Steuer- und Abgabenlas­t auf Arbeitsein­kommen attestiert, hält dem Land gerne vor, dass das Vermögen bei ihm sehr ungleich verteilt ist. Die Einkommens­ungleichhe­it hierzuland­e liegt im OECD-Schnitt zwar »nur« im Mittelfeld, doch sieht die Sache anders aus, wenn man die Umverteilu­ng durch den Staat herausrech­net.

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Foto: dpa/Arne Dedert

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