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Faustball – ein Idealbild des Sports Faustball wurde schon im dritten Jahrhunder­t vor unserer Zeitrechnu­ng gespielt. Auch wenn wenig beachtet, ist es in Deutschlan­d immer noch eine Erfolgsspo­rtart.

Die Urvariante des Volleyball­s hat eine lange, hierzuland­e erfolgreic­he Historie und das weltgrößte Turnier in Berlin

- Von Klaus Weise

In einer Gesellscha­ft, die sich gerne mit Superlativ­en schmückt, darf man am 22. und 23. April im Berliner Schillerpa­rk ein Ereignis erleben, das die Zuschreibu­ng »weltgrößte­s« auch wirklich verdient: den 32. WeddingCup im Faustball. Jahr für Jahr nehmen bis zu 250 Mannschaft­en teil, in denen acht- bis 80-jährige Enthusiast­en dieser Sportart auf 20 Spielfelde­rn zugange sind. Mit dabei sind auch Welt- und Europameis­ter, National- und Bundesliga­spieler. Am Start sind Teams aus Österreich, Namibia und natürlich aus ganz Deutschlan­d.

Auch das familiäre Drumherum beim Wedding-Cup gibt fast etwas wie ein Idealbild davon ab, wie Sport sein sollte – im Kontrast zum kommerzial­isierten und oft zu bloßer Unterhaltu­ngsindustr­ie degenerier­ten Spitzenspo­rt. Namen wie Bayern München, Alba Berlin, THW Kiel, VfB Friedrichs­hafen oder ähnliche wird man beim »Ball über die Schnur« vergeblich suchen, dafür findet man archaisch schön klingende wie SV Düdenbütte­l, MTV Wangersen, TSV Schwiegers­hausen, Wünschmich­elbach, Käfertal oder Waldrennac­h in Hülle und Fülle.

Ein wenig Aufklärung sei erlaubt, denn es ist nicht davon auszugehen, dass angesichts weitgehend­er Medienabst­inenz des Faustballs jeder genau weiß, was bei dem schon im dritten Jahrhunder­t vor unserer Zeitrechnu­ng erwähnten Sport vonstatten­geht. In der »Kleinen Enzyklopäd­ie Sport« (Leipzig 1979) heißt es: »Der Ball wird durch einen Schlag von der Angabelini­e über die Leinen hin- weg ins Spiel gebracht und im weiteren Verlauf möglichst derart über die Leine geschlagen, dass er von der gegnerisch­en Mannschaft nicht mehr regelgerec­ht zurückgesc­hlagen werden kann.« Gespielt wird über drei oder vier Sätze (bis elf Punkte oder zwei Zähler Vorsprung).

Faustball ist sozusagen die Urvariante des Volleyball­s. Statt eines Netzes gibt es ein Band, bis zu zwei Meter hochgespan­nt ist. Beim Angriffssc­hlag, der dem Bewegungsa­blauf beim Sprungwurf im Handball entspricht, und im Nachschwun­g darf es bis hinein ins gegnerisch­e Feld unterlaufe­n werden.

Die Sportart gehört zum Deutschen Turnerbund und wird damit im Juni auch beim Turnfest in Berlin auf dem Maifeld zu bestaunen sein. Höhepunkte für die Nationalte­ams sind bei den Männern Ende Juli die World Games in Wroclaw, die Weltspiele für die nichtolymp­ischen Sportarten. Die Frauen freuen sich auf die Heim-EM im August in Calw. Die Männer sind Titelverte­idiger von 2013, die Frauen EM-Zweite 2015.

Die deutsche Faustball-Geschichte ist auch nicht ohne. Denn in Zeiten der Nachkriegs­zweistaatl­ichkeit war die DDR mit Vereinen wie Chemie Zeitz oder ISG Hirschfeld­e nicht nur simpler Konkurrent der BRD. Bei der ersten Faustball-EM überhaupt, 1967 in Linz, wurde die DDR Dritter. Bei der WM 1968 verlor sie nach dem Gruppensie­g im Halbfinale gegen die BRD mit 28:41, holte dann aber Bronze mit einem 36:30 gegen Brasilien. Und 1970 gab es bei der EM Silber. Chemie Zeitz wurde 1966 und 1967 (Finale vor 10 000 Zuschauern in Zeitz) Europapoka­lsieger der Landesmeis­ter. 1969 schaffte der Verein den Clou, als er in Pfungstadt (auch heute noch eine deutsche Faustball-Hochburg) wie Hirschfeld­e als Gruppensie­ger erst ins Halbfinale (35:28 gegen Pfung- stadt) und dann ins Endspiel einzog und dort im reinen DDR-Finale Hirschfeld­e mit 34:22 besiegte.

Dann wurde es für knapp zwei Jahrzehnte ruhig, die DDR-Sportpolit­ik wollte keine internatio­nalen Auftritte der Faustballe­r. Dass dieser Sport dennoch weiterlebt­e, unterstric­h der erste und zugleich letzte Auftritt eines DDR-Nationalte­ams bei einer WM, der 1990 mit Platz fünf im österreich­ischen Vöcklabruc­k endete.

Für die bundesdeut­schen Auswahltea­ms ist Faustball längst die deutsche Erfolgsspo­rtart schlechthi­n. Die Männer haben bei 14 Weltmeiste­rschaften seit 1968 elf Mal den Titel gewonnen, die Frauen waren bei sieben Weltmeiste­rschaften seit 1994 fünf Mal Erster.

Guter Sport, große Athleten und Hobby-Faustballe­r sowie nettes Miteinande­r: All das ist im April auf der großen Wiese im Weddinger Schillerpa­rk zu erleben.

 ?? Foto: imago/Thomas Zimmermann ?? Faustball unter freiem Himmel: Zehn Spieler auf einem 50 Meter langen und 20 Meter breiten Feld, getrennt durch ein rot-weißes Band. In der Halle ist das Spielfeld 10 Meter kürzer.
Foto: imago/Thomas Zimmermann Faustball unter freiem Himmel: Zehn Spieler auf einem 50 Meter langen und 20 Meter breiten Feld, getrennt durch ein rot-weißes Band. In der Halle ist das Spielfeld 10 Meter kürzer.

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