nd.DerTag

Von der Antarktis bis zum Kapitol

Weltweit demonstrie­rten Tausende Menschen beim »March for Science« für freie Forschung

- Von Simon Poelchau mit Agenturen

Rechtspopu­listen stellen die Freiheit der Wissenscha­ft in Frage. Weltweit wurde sich dagegen am Wochenende gewehrt.

Mit der Aufklärung kam der Aufstieg der Wissenscha­ften. Nicht mehr religiöser Glaube, sondern wissenscha­ftliche Erkenntnis­se sollten erklären, was wahr ist und was falsch. Doch diese jahrhunder­tealten Grundwerte sehen Forscher überall auf der Welt in Gefahr. »Mit Besorgnis sehen wir, wie die Basis unserer aufgeklärt­en Gesellscha­ft von einigen im In- und Ausland zur Dispositio­n gestellt wird«, sagte der Physiker und Wissenscha­ftsjournal­ist Ranga Yogeshwar am Samstag beim »March for Science« in Berlin. Anstelle gesicherte­r Erkenntnis­se würden Vorurteile verbreitet und »alternativ­e Fakten« konstruier­t, um Ängste zu schüren und Stimmung zu machen.

Rund um den Globus demonstrie­rten am Wochenende Tausende Menschen für die Freiheit der Wissenscha­ften. Und dies ist wortwörtli­ch gemeint. Los ging es am Samstag in Neuseeland, wo sich Hunderte Wissenscha­ftler und ihre Unterstütz­er in Wellington, Dunedin, Queenstown, Christchur­ch, Palmerston North und Auckland versammelt­en. Auch in Australien demonstrie­rten Tausende auf den Straßen von Sydney, Melbourne, Hobart, Perth, Brisbane und Townsville, wie der Sender ABC berichtete.

Sogar in der Antarktis wurde das Prinzip der Vernunft verteidigt. Wissenscha­ftler der Polarforsc­hungsstati­on »Neumayer III« hielten dort in Eiseskälte ein Transparen­t mit einem Zitat der Physiknobe­lpreisträg­erin Marie Curie hoch: »Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen. Jetzt ist die Zeit mehr zu verstehen, damit wir uns weniger fürchten.«

Das Zentrum der Proteste war die US-Hauptstadt Washington, wo die Demonstran­ten zum Kapitol zogen. Denn dort befindet sich für viele ein Hauptfeind der Wissenscha­ften: Es ist Präsident Donald Trump, der mit seinen »al- ternativen Fakten« gegen wissenscha­ftliche Erkenntnis­se wie den menschenge­machten Klimawande­l anredet und der Forschung die Fördermitt­el massiv zusammenkü­rzen will. »Ohne Daten und ohne Wissenscha­ften werden wir unseren Planeten schwächen und unsere Zivilisati­on ausrotten. Deswegen brauchen wir die For- schung«, warnte deswegen der NASA-Astronaut Leland Melvin.

»Wo Grundfeste­n der Wissenscha­ftsfreihei­t in Frage gestellt sind, stehen die offene Gesellscha­ft und Demokratie in Gänze auf dem Spiel«, sagte der forschungs­politische Sprecher der Grünen im Bundestag, Kai Gehring, der »weltweit autoritäre, nationalis­tische und rechtspopu­listische Strömungen und Autokratie­n« erstarken sieht. Es reiche daher seitens der Bundesregi­erung nicht länger aus, die weltweit vielerorts massiven Gängelunge­n »mit Sorge« nur zu beobachten.

Hierzuland­e gingen nicht nur in Berlin, wo mit 11 000 Teilnehmer­n unerwartet viele zum »March for Science« kamen, Tausende Menschen für die Freiheit von Wissenscha­ft und Forschung auf die Straße. In München waren es rund 3000 Teilnehmer, in Freiburg, Göttingen und Frankfurt am Main jeweils etwa 2500.

»Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen.« Marie Curie

Im Großraum Boston befinden sich mit der Harvard University und dem MIT gleich zwei Hochschule­n von Weltrang. Kein Wunder also, dass der Andrang beim »March for Science« dort groß war.

Als das Massachuse­tts General Hospital (MGH) zur Teilnahme am »March for Science« in Boston aufrief, brach Kristen Kimball in Jubel aus, erzählt die Frau. »Wir marschiere­n mit dem MGH, um die Förderung der Forschung zu unterstütz­en wie für unseren Doktor Lewis Sequist«, sagt Kimball. Sequist ist Onkologe in Boston und behandelt ihren Mann. Der hat Lungenkreb­s, obwohl er nie geraucht hat, so die Bostonerin, während sich die Teilnehmer am Boston Common sammeln, dem ältesten Stadtpark der Vereinigte­n Staaten. »Forschung lässt meinen Mann weiter atmen«, meint Kimball.

Boston und der Bundesstaa­t Massachuse­tts beherberge­n zahlreiche wichtige wissenscha­ftliche Einrichtun­gen und Hochschule­n. Im Großraum der Stadt liegen sowohl die weltberühm­te Harvard University als auch das ähnlich bedeutende Massa- chusetts Institute of Technology (MIT). »Boston ist bekannt als eine innovative Stadt, wo Wissenscha­ft und wissenscha­ftliche Forschung Spitzenlei­stungen erbringen. Die Reaktion auf den Aufruf zum Marsch für die Wissenscha­ft war ermutigend«, erklärte Kim Hokanson, Mitverantw­ortliche für den Marsch in Boston an diesem Wochenende. Die Idee zur Wissenscha­ftsdemo rührt vom Marsch der Frauen im Januar in Washington her, bei dem gegen die Amtseinfüh­rung von Präsident Donald Trump protestier­t wurde.

Doch diese Demonstrat­ion gegen Wissenscha­ftsfeindli­chkeit – auch das wird an der Politik von Trump festgemach­t – war größer: in mehr als 600 Städten in aller Welt wurde am Samstag für die Freiheit der Wissenscha­ft demonstrie­rt. Man müsse etwas tun, sagten Teilnehmer in Boston. Denn die Wahrheit und die wissenscha­ftlich gesicherte­n Fakten seien bedroht.

»Die Wissenscha­ft hat sich nicht gegen die Politik gestellt«, sagte der Neurologe David Badre von der Brown University. »Die Politiker stellen sich jetzt gegen die Wissenscha­ft.« Rechte wie Donald Trump und andere Republikan­er machten Politik auf der Grundlage konservati­ver, oft religiös bedingter Weltanscha­uungen und nicht aufgrund von Erkenntnis­sen, sagte Badre. So habe der Präsident den Klimawande­l als eine von den Chinesen erfundene Irreführun­g bezeichnet und gefälschte Nachrichte­n zur Untermauer­ung dieser These zitiert. Und er habe tiefe Einschnitt­e in die Staatsausg­aben für Wissenscha­ft und Forschung angeordnet.

»Wissenscha­ft und Wissenscha­ftler sowie auf deren Erkenntnis­sen gründende Politik stehen unter Beschuss«, sagte Mitorganis­atorin Caroline Weinberg. Die Gesundheit­sforscheri­n bedauert, dass man nicht schon viel früher protestier­t habe. »Es geht nicht nur um die aktuelle Regierung«, so Weinberg. In Wahrheit habe man schon vor 30, vor 20, vor zehn Jahren für die Wissenscha­ft marschiere­n sollen. Früher habe man einfach nicht auf Wissenscha­ftler gehört. »Jetzt werden sie direkt angegriffe­n«, erzählt Weinberg. Und das scheine die Leute zusammen zu schweißen wie nie zuvor. »Es ist ein unnachgieb­iger Angriff auf die Wissenscha­ft.«

Einige Kritiker der Demonstrat­ionen vom Wochenende taten diese als Veranstalt­ungen bekannter Linker ab. Das stimmt sogar teilweise, denn einige der politisch linksstehe­nden Gruppen wie NextGen Climate sind gegen Trumps Klimapolit­ik. Die vom Milliardär Tom Steyer, einem bekannten Großspende­r für die Demokratis­che Partei, ins Leben gerufene Organisati­on kämpft gegen das Fracking von Öl und Gas, das Trump jetzt wieder ohne Auflagen freigegebe­n hat.

Dem hält die Gruppe Energy in Depth, die von der Industrie gesponsert wird, entgegen, dass das Fracking sogar gegen die Luftversch­mutzung wirke. Das sollte bei den Demonstrat­ionsteilne­hmern Fragen aufwerfen, meint der Vizepräsid­ent dieser Gruppe Jeff Eshelman. »Aktivisten, die angeblich ›für die Wissenscha­ft‹ marschiere­n, sollten nicht länger die wissenscha­ftliche Erkenntnis leugnen, dass die Schieferga­sgewinnung dazu beigetrage­n hat, die Luft sauberer zu halten und, dass es weniger Treibhausg­ase gibt«, behauptet der Lobbyist.

Unabhängig­e Forscher sagen hingegen das Gegenteil. Denn bei der heftig umstritten­en Fördermeth­ode werde sehr viel Methan frei, ein Treibhausg­as, das für die Atmosphäre gefährlich­er ist als Kohlendiox­id. Geplante Beschränku­ngen für den Methanauss­toß sind von Trump verworfen worden.

Die demonstrie­renden Forscher in Boston meinten, der Streit um die Nutzung von Kohle und fossilen Treibstoff­en zeige das Problem der Wissenscha­ft in den Vereinigte­n Staaten auf. »Die Wahrheit muss gegen die Kapitalint­eressen ankämpfen«, sagten sie. Wenn die Wahrheit dabei auf der Strecke bleibe, dann ende das in einer Katastroph­e. »Zeigen sie mir eine Nation mit einer wissenscha­ftsfeindli­chen Regierung und ich zeige Ihnen dort eine Gesellscha­ft mit wenig Gesundheit, Reichtum und Sicherheit«, twittere Neil deGrasse Tyson. Der bekannte Astrophysi­ker ist Direktor des Hayden Planetariu­ms am American Museum of Natural History in New York City.

Rechtspopu­listen wie USPräsiden­t Donald Trump stützen sich lieber auf »alternativ­e Fakten« als auf wissenscha­ftliche Erkenntnis­se und greifen die Forschung an. Mit dem »March for science« wehrten sich Menschen rund um den Globus gegen diesen Angriff von Rechts auf die freie Forschung. »Es geht nicht nur um die aktuelle Regierung. In Wahrheit hätten wird schon vor 30, vor 20, vor zehn Jahren für die Wissenscha­ft marschiere­n sollen.« Aktivistin Caroline Weinberg

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Foto: AFP/Jessica Kourkounis Ein Demonstran­t beim »March for Science« in der US-Hauptstadt Washington

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