Von der Antarktis bis zum Kapitol
Weltweit demonstrierten Tausende Menschen beim »March for Science« für freie Forschung
Rechtspopulisten stellen die Freiheit der Wissenschaft in Frage. Weltweit wurde sich dagegen am Wochenende gewehrt.
Mit der Aufklärung kam der Aufstieg der Wissenschaften. Nicht mehr religiöser Glaube, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse sollten erklären, was wahr ist und was falsch. Doch diese jahrhundertealten Grundwerte sehen Forscher überall auf der Welt in Gefahr. »Mit Besorgnis sehen wir, wie die Basis unserer aufgeklärten Gesellschaft von einigen im In- und Ausland zur Disposition gestellt wird«, sagte der Physiker und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar am Samstag beim »March for Science« in Berlin. Anstelle gesicherter Erkenntnisse würden Vorurteile verbreitet und »alternative Fakten« konstruiert, um Ängste zu schüren und Stimmung zu machen.
Rund um den Globus demonstrierten am Wochenende Tausende Menschen für die Freiheit der Wissenschaften. Und dies ist wortwörtlich gemeint. Los ging es am Samstag in Neuseeland, wo sich Hunderte Wissenschaftler und ihre Unterstützer in Wellington, Dunedin, Queenstown, Christchurch, Palmerston North und Auckland versammelten. Auch in Australien demonstrierten Tausende auf den Straßen von Sydney, Melbourne, Hobart, Perth, Brisbane und Townsville, wie der Sender ABC berichtete.
Sogar in der Antarktis wurde das Prinzip der Vernunft verteidigt. Wissenschaftler der Polarforschungsstation »Neumayer III« hielten dort in Eiseskälte ein Transparent mit einem Zitat der Physiknobelpreisträgerin Marie Curie hoch: »Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen. Jetzt ist die Zeit mehr zu verstehen, damit wir uns weniger fürchten.«
Das Zentrum der Proteste war die US-Hauptstadt Washington, wo die Demonstranten zum Kapitol zogen. Denn dort befindet sich für viele ein Hauptfeind der Wissenschaften: Es ist Präsident Donald Trump, der mit seinen »al- ternativen Fakten« gegen wissenschaftliche Erkenntnisse wie den menschengemachten Klimawandel anredet und der Forschung die Fördermittel massiv zusammenkürzen will. »Ohne Daten und ohne Wissenschaften werden wir unseren Planeten schwächen und unsere Zivilisation ausrotten. Deswegen brauchen wir die For- schung«, warnte deswegen der NASA-Astronaut Leland Melvin.
»Wo Grundfesten der Wissenschaftsfreiheit in Frage gestellt sind, stehen die offene Gesellschaft und Demokratie in Gänze auf dem Spiel«, sagte der forschungspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Kai Gehring, der »weltweit autoritäre, nationalistische und rechtspopulistische Strömungen und Autokratien« erstarken sieht. Es reiche daher seitens der Bundesregierung nicht länger aus, die weltweit vielerorts massiven Gängelungen »mit Sorge« nur zu beobachten.
Hierzulande gingen nicht nur in Berlin, wo mit 11 000 Teilnehmern unerwartet viele zum »March for Science« kamen, Tausende Menschen für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung auf die Straße. In München waren es rund 3000 Teilnehmer, in Freiburg, Göttingen und Frankfurt am Main jeweils etwa 2500.
»Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen.« Marie Curie
Im Großraum Boston befinden sich mit der Harvard University und dem MIT gleich zwei Hochschulen von Weltrang. Kein Wunder also, dass der Andrang beim »March for Science« dort groß war.
Als das Massachusetts General Hospital (MGH) zur Teilnahme am »March for Science« in Boston aufrief, brach Kristen Kimball in Jubel aus, erzählt die Frau. »Wir marschieren mit dem MGH, um die Förderung der Forschung zu unterstützen wie für unseren Doktor Lewis Sequist«, sagt Kimball. Sequist ist Onkologe in Boston und behandelt ihren Mann. Der hat Lungenkrebs, obwohl er nie geraucht hat, so die Bostonerin, während sich die Teilnehmer am Boston Common sammeln, dem ältesten Stadtpark der Vereinigten Staaten. »Forschung lässt meinen Mann weiter atmen«, meint Kimball.
Boston und der Bundesstaat Massachusetts beherbergen zahlreiche wichtige wissenschaftliche Einrichtungen und Hochschulen. Im Großraum der Stadt liegen sowohl die weltberühmte Harvard University als auch das ähnlich bedeutende Massa- chusetts Institute of Technology (MIT). »Boston ist bekannt als eine innovative Stadt, wo Wissenschaft und wissenschaftliche Forschung Spitzenleistungen erbringen. Die Reaktion auf den Aufruf zum Marsch für die Wissenschaft war ermutigend«, erklärte Kim Hokanson, Mitverantwortliche für den Marsch in Boston an diesem Wochenende. Die Idee zur Wissenschaftsdemo rührt vom Marsch der Frauen im Januar in Washington her, bei dem gegen die Amtseinführung von Präsident Donald Trump protestiert wurde.
Doch diese Demonstration gegen Wissenschaftsfeindlichkeit – auch das wird an der Politik von Trump festgemacht – war größer: in mehr als 600 Städten in aller Welt wurde am Samstag für die Freiheit der Wissenschaft demonstriert. Man müsse etwas tun, sagten Teilnehmer in Boston. Denn die Wahrheit und die wissenschaftlich gesicherten Fakten seien bedroht.
»Die Wissenschaft hat sich nicht gegen die Politik gestellt«, sagte der Neurologe David Badre von der Brown University. »Die Politiker stellen sich jetzt gegen die Wissenschaft.« Rechte wie Donald Trump und andere Republikaner machten Politik auf der Grundlage konservativer, oft religiös bedingter Weltanschauungen und nicht aufgrund von Erkenntnissen, sagte Badre. So habe der Präsident den Klimawandel als eine von den Chinesen erfundene Irreführung bezeichnet und gefälschte Nachrichten zur Untermauerung dieser These zitiert. Und er habe tiefe Einschnitte in die Staatsausgaben für Wissenschaft und Forschung angeordnet.
»Wissenschaft und Wissenschaftler sowie auf deren Erkenntnissen gründende Politik stehen unter Beschuss«, sagte Mitorganisatorin Caroline Weinberg. Die Gesundheitsforscherin bedauert, dass man nicht schon viel früher protestiert habe. »Es geht nicht nur um die aktuelle Regierung«, so Weinberg. In Wahrheit habe man schon vor 30, vor 20, vor zehn Jahren für die Wissenschaft marschieren sollen. Früher habe man einfach nicht auf Wissenschaftler gehört. »Jetzt werden sie direkt angegriffen«, erzählt Weinberg. Und das scheine die Leute zusammen zu schweißen wie nie zuvor. »Es ist ein unnachgiebiger Angriff auf die Wissenschaft.«
Einige Kritiker der Demonstrationen vom Wochenende taten diese als Veranstaltungen bekannter Linker ab. Das stimmt sogar teilweise, denn einige der politisch linksstehenden Gruppen wie NextGen Climate sind gegen Trumps Klimapolitik. Die vom Milliardär Tom Steyer, einem bekannten Großspender für die Demokratische Partei, ins Leben gerufene Organisation kämpft gegen das Fracking von Öl und Gas, das Trump jetzt wieder ohne Auflagen freigegeben hat.
Dem hält die Gruppe Energy in Depth, die von der Industrie gesponsert wird, entgegen, dass das Fracking sogar gegen die Luftverschmutzung wirke. Das sollte bei den Demonstrationsteilnehmern Fragen aufwerfen, meint der Vizepräsident dieser Gruppe Jeff Eshelman. »Aktivisten, die angeblich ›für die Wissenschaft‹ marschieren, sollten nicht länger die wissenschaftliche Erkenntnis leugnen, dass die Schiefergasgewinnung dazu beigetragen hat, die Luft sauberer zu halten und, dass es weniger Treibhausgase gibt«, behauptet der Lobbyist.
Unabhängige Forscher sagen hingegen das Gegenteil. Denn bei der heftig umstrittenen Fördermethode werde sehr viel Methan frei, ein Treibhausgas, das für die Atmosphäre gefährlicher ist als Kohlendioxid. Geplante Beschränkungen für den Methanausstoß sind von Trump verworfen worden.
Die demonstrierenden Forscher in Boston meinten, der Streit um die Nutzung von Kohle und fossilen Treibstoffen zeige das Problem der Wissenschaft in den Vereinigten Staaten auf. »Die Wahrheit muss gegen die Kapitalinteressen ankämpfen«, sagten sie. Wenn die Wahrheit dabei auf der Strecke bleibe, dann ende das in einer Katastrophe. »Zeigen sie mir eine Nation mit einer wissenschaftsfeindlichen Regierung und ich zeige Ihnen dort eine Gesellschaft mit wenig Gesundheit, Reichtum und Sicherheit«, twittere Neil deGrasse Tyson. Der bekannte Astrophysiker ist Direktor des Hayden Planetariums am American Museum of Natural History in New York City.
Rechtspopulisten wie USPräsident Donald Trump stützen sich lieber auf »alternative Fakten« als auf wissenschaftliche Erkenntnisse und greifen die Forschung an. Mit dem »March for science« wehrten sich Menschen rund um den Globus gegen diesen Angriff von Rechts auf die freie Forschung. »Es geht nicht nur um die aktuelle Regierung. In Wahrheit hätten wird schon vor 30, vor 20, vor zehn Jahren für die Wissenschaft marschieren sollen.« Aktivistin Caroline Weinberg