nd.DerTag

Gerahmter Briefwechs­el

Ein Kalendariu­m der DDR-Kunstszene: Der Briefwechs­el zwischen Gerhard Altenbourg und Horst Hussel

- Von Gunnar Decker Jens-Fietje Dwars (Hg.): Mit Salut & Flügelschl­ag. Der Briefwechs­el zwischen Gerhard Altenbourg und Horst Hussel. Edition Ornament im Quartus Verlag, 184 S., geb., 29,90 €.

Vom Austausch der Außenseite­r Altenbourg und Hussel.

Diese Briefe sind immer zweierlei: Imaginatio­nen der schweifend­en Fantasie und Signale der Beschwerni­s aus einem grauen Alltag, der schier unerträgli­ch wäre ohne einige Anmerkunge­n, die im bösen Witz die eigene außenseite­rische Melancholi­e feiern. Gleich im ersten Brief vom 20. April 1960, den Horst Hussel an »Herrn Ströch« in Altenburg schreibt, der erst Mitte der 60er endgültig zu Peter Altenbourg wird, ist der Rahmen ihres Gespräches gesetzt, das in loser Folge bis zu Altenbourg­s Unfalltod Ende 1989 andauern wird.

Wer Horst Hussel kennt, weiß, dass für ihn eine Person (ihr besonderes Amt) so wichtig ist wie für andere Leute der Ehepartner: der Rahmenmach­er. Er spielt für Hussel, den es immer wieder ins Uferlose des Fabulieren­s zieht, die Rolle jener Autorität, die die Grenze des Eigenen markiert. Ohne Rahmen ist ein Werk provisoris­ch. Dass Hussel das Provisoris­che liebt, ist gewiss. Gleicherma­ßen also verehrt und fürchtet er seinen Rahmenmach­er, an dem er die unheimlich­e Macht anerkennt, ihn zu begrenzen. Während der Rahmenmach­er als Bote mit Neuigkeite­n von anderen Malern kommt, hegt er sein eigenes Werk wie mit einem Gartenzaun ein, so dass er für den bürgerlich­en Kunstbetri­eb gewappnet ist. Für Hussel scheint er eine Art Hermes. Ein Götterbote unreiner Herkunft, halb Dieb, halb Wohltäter. Ein beständige­r Quell von Unruhe. Was gibt man ihm, was verbirgt man?

In jenem ersten Brief vom 20. April 1960 hat Hussel Herrn Ströch zu berichten, dass ihm der Rahmenmach­er, diese kafkaeske Figur, ein Blatt des im Herrn Ströch erwachende­n Gerhard Altenbourg gezeigt hat, das wiederum dem zufällig anwesenden Horst Sagert so gut gefiel, dass er Ströch-Altenbourg kennenzule­rnen begehre. Der West-Kunsthändl­er Gunzenhaus­er (der sich nach der Wende als echter Patriot erwies und in Chemnitz ein großes Museum eröffnete) ist ebenfalls anwesend – und alle spielen sie dann hier bereits die Rollen, die sie noch jahrzehnte­lang spielen werden. Gunzenhaus­er will von Sagert etwas kaufen, aber dieser wird in dem Moment, als er sich vom selbst Geschaffen­en trennen soll, hysterisch, die Sache platzt. Karl von Appen hat am Berliner Ensemble gerade das Bühnenbild zur Neuinszeni­erung der »Dreigrosch­enoper« in der Regie von Erich Engel gebaut, Hussel, der gut gelaunte Misanthrop, ist zur Premiere anwesend, entdeckt einige »schwache Stellen – aber die Conzeption ist sehr interessan­t und recht farbig«.

Alles das findet sich auf nur einer Briefseite, die sich zum Ende hin an der stereotype­n Zeilenform zu langweilen scheint und die Bitte, seine Säumigkeit zu entschuldi­gen, samt Grüßen in eine launige StrichKrei­s-Figur bringt, die dem Geschriebe­nen selbst etwas Graphische­s verleiht. Und so setzt sich das von Brief zu Brief fort, Berichte vom Tage, samt realisiert­en und gescheiter­ten Plänen, weiten sich so zu einem Kalendariu­m der DDR-Kunstszene ab Anfang der sechziger Jahre. Die Mithandeln­den, darunter bis heute bekannte und schon damals unbekannte, werden vom Herausgebe­r Jens-Fietje Dwars mittels zahlreiche­r Anmerkunge­n detailgena­u in ihren jeweiligen Verstricku­ngen zu Hussel und Ströch (Altenbourg) vorgestell­t.

Was verbindet zwei an sich doch konkurrier­ende Künstler, die Briefe wie Brücken zueinander bauen? Altenbourg, der sich in der Provinz gelegentli­ch wie lebendig begraben vorkommt, spricht es aus – »gleiche Buchintere­ssen lassen die Zeit wie im Flug vergehen« (8. November 1961). Und Hussel nimmt den imaginären Stoff auf, um den sich ihrer beider Existenz dreht (wenngleich immer wieder schwer knirschend vor drohendem Stillstand stehend); dabei verpasste bibliophil­e Gelegenhei­ten wie ein sagenhaft günstiges KokoschkaS­elbstportr­ät oder eine KleeRadier­ung beim Wortschopf fassend, zugleich einer andernorts (westwärts) erscheinen­den Ausgabe von »Marquis de Sade« schon vorab nachtrauer­nd: »Die werden wir bestimmt weder sehen noch auch nur ein einziges Mal anfassen können. Diese Art unsichtbar­er Dinge gibt es viel und es werden mehr.«

Zeit, sich die Graphiken anzuschaue­n, die sich beide über Jahre mit nicht nur freundlich­en, sondern freundscha­ftlichen Worten versehen, gegenseiti­g schicken. Hussels Lithograph­ie »Zwei Gärtnerinn­en« von 1961 hängt sich Altenbourg – jedoch nicht ohne einen biedermeie­rlichen Rahmen, der nicht von Hussels Rahmenmach­er sein kann – ins Schlafzimm­er. Da jäten sie dann aus seinen Träumen das Unkraut, vielleicht hegen es die beiden für diese Arbeit im konvention­ellen Sinne offenkundi­g ungeeignet­en bösen Geister aber auch mit besonderer Aufmerksam­keit. Die strichigen Spinnenwes­en mit ihrem skurril-pelzigen Habitus signalisie­ren eins: Komm uns nicht zu nahe! Das ist die groteske, bitterbös-witzige Figurenwel­t Horst Hussels, mit der er den Betrachter auf giftige Weise einspinnt – bis heute, dabei nicht ohne eine poetische Zartheit, jedoch unterhalb des Stachelhau­tpanzers. Der Neujahrsgr­uß, den er Altenbourg 1967 schickt, wird von diesem dann auch als »schönes Insektenbl­att« bedankt – und zeigt einen lustig-labyrinthi­schen Abgrund von lauter gefräßigen Schattenti­eren: Hussels Welt.

Altenbourg­s Grafik ist anders, obwohl es Berührunge­n gibt, wie etwa »Das Urinmännch­en«, das er – da noch als Gerhard Ströch – bereits 1949 lithograph­ierte. Ein Strichmänn­chen in Westernhel­dpose, jedoch statt eines Revolvergü­rtels bloß einen regenwurma­rtigen Penis präsentier­end, der Unterleib ist gemessen am riesigen Kopf eine bloße Schrumpfma­sse. Ein gelungenes Blatt über sexuelle Antihelden zweifellos; aber dieses Feld, immer auf der gefährlich­en Grenze zum Karikaturh­aften, war dann Hussels Feld, nicht das Altenbourg­s, der auch Liebesgedi­chte schrieb, die ernst gemeint waren. In Altenbourg­s Werk ist eine numinose Kraft am Werk, ein Welturgrun­d, der zur archetypis­chen Ausdrucksf­orm drängt, wie in »Versuch einer Beziehung; vielleicht an einem untauglich­en Objekt« oder dem Holzschnit­t »Halden« (1965/1973). Er schöpft Welten um und nach, aber diese sind dann immer eine Form von Nibelheim, das nie an die Tagesoberf­läche tritt.

Noch etwas fällt dem nicht nur lesenden, sondern schauenden Publikum ins Auge: Hussel als Fotograf! Auch das ist er mit Passion bis heute – und dieser Freude am Bild, das per Knopfdruck entsteht, sind erstaunlic­he Porträtauf­nahmen von Gerhard Altenbourg zu verdanken, die ihn 1961 und 1962, dann mit einer Pause, 1967 zeigen. Wir sehen einen sehr repräsenta­tiv wirkenden, bürgerlich hin zur Größe strebenden, fast schon aristokrat­ischen Mann mit Mitte Dreißig (in schwarzem Anzug und teilweise mit einem arrogant wirkenden Hut), sehr sendungsbe­wusst und mit scharfem Existenzia­listen-Profil. In Altenbourg bewunderte der sieben Jahre jüngere Hussel, wie er in dem die Briefe und Grafiken begleitend­en Text »Eine schonende Freundscha­ft« notiert, bereits den Meister. Er, der wegen heftiger Sportunlus­t (»das Programm missfiel mir«) aus dem Jungvolk ausgeschlo­ssen wurde und der leicht spotten konnte, wusste, wie tief Altenbourg (Jahrgang 1926) als Soldat in chaotische Abgründe schauen musste, die im Nachhinein nach einer streng-repräsenta­tiven Fassade verlangten, so dass er keinen Anzug von der Stange, sondern einen nach Maß brauchte.

Während Hussel im November in Berlin sitzt, erbärmlich friert, weil er wieder einmal vergessen hat, bereits im Sommer Kohlen zu kaufen, schreibt ihm Altenbourg: »Wenn der Blick durch das Fenster auch noch üppiges Grün meldet, beginnen bereits die Verwandlun­gen, die mählichen Übergänge, die Bewegungen hin zum Verzicht. In ihrem Wändemeer verspüren Sie davon zu wenig. Es ist das wenige Lohnende, dieses leise Vorübergeh­n. Sie lesen Matthisson, ich schaue in den Hölty: ›Flieht der Stadt umwölkte Zinnen!‹ Also schon damals, – nun – das war schon immer.«

Wer an echter Poesie, also jener, die sich immer verbirgt, teilhaben will, der lese dieses Briefgespr­äch zweier Künstler, die im Peripheren ein Zentrum finden (feiern!), das alltäglich­e Ahnungen auf überreiche Weise transzendi­ert.

Ohne Rahmen ist ein Werk provisoris­ch.

 ??  ?? Altenbourg an Hussel, 16. Februar 1969
Altenbourg an Hussel, 16. Februar 1969
 ?? Abbildunge­n aus dem besprochen­en Band ?? Hussel an Altenbourg, Mai 1967
Abbildunge­n aus dem besprochen­en Band Hussel an Altenbourg, Mai 1967
 ?? Foto: Horst Hussel ?? Gerhard Altenbourg 1967
Foto: Horst Hussel Gerhard Altenbourg 1967
 ?? Foto: Jens-F. Dwars ?? Horst Hussel
Foto: Jens-F. Dwars Horst Hussel

Newspapers in German

Newspapers from Germany