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Französisc­he Sorgen

Vor allem die hohe Arbeitslos­igkeit sorgt für starke Unzufriede­nheit im Land

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Frankreich wählt: Unzufriede­nheit durch hohe Arbeitslos­igkeit.

Die Debatte über Europa und die hohe Arbeitslos­igkeit haben eine entscheide­nde Rolle bei der Präsidents­chaftswahl in Frankreich gespielt.

Der Wahlkampf in Frankreich war vor der ersten Abstimmung am Sonntag durch wirtschaft­liche und soziale Themen geprägt. Das vor allem interessie­rte die Franzosen und entspreche­nd konzentrie­rten sich die Favoriten Emmanuel Macron, Marine Le Pen, Jean-Luc Mélenchon und François Fillon darauf. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Reizthema Europa. Während Marine Le Pen und JeanLuc Mélenchon – wenngleich in den letzten Tagen etwas abgeschwäc­ht – einen Ausstieg aus der EU und der Eurozone wollen oder zumindest nicht ausschließ­en, bekennt sich Emmanuel Macron eindeutig zur EU.

Umfragen zufolge wollen zwei Drittel der Franzosen, dass Frankreich Mitglied der EU und der Eurozone bleibt. »Die meisten Franzosen sind im Grunde konservati­v und wollen keine Experiment­e«, sagt Dominique Reynié, Professor der Politikwis­senschaft an der renommiert­en Pariser Hochschule Sciences Po und Generaldir­ektor der Stiftung für Politische Innovation. »Zu 58 Prozent sind sie Eigentümer ihrer Wohnung und ihres Hauses, haben dafür einen Kredit aufgenomme­n und fürchten, dass durch einen Euro-Ausstieg die Zinsen in die Höhe schnellen würden.« Auch deshalb ist eine absolute Mehrheit für die rechtsextr­eme FrontNatio­nal-Chefin Marine Le Pen im zweiten Wahlgang der Präsidents­chaftswahl Anfang Mai extrem unwahrsche­inlich.

Mit der zu Ende gehenden Amtszeit des sozialisti­schen Präsidente­n François Hollande und seiner Regierung sind nicht nur rechte Wähler, sondern auch die meisten seiner früheren Anhänger äußerst unzufriede­n. Vor allem links eingestell­te Franzosen, denen Hollandes Wahlkampfs­logan von 2012 »Mein Gegner ist die Finanzwelt« Hoffnung mach- te, fühlen sich durch die Regierungs­praxis verraten. Die Banken sind während der Finanzkris­e massiv vom Staat unterstütz­t worden und haben anschließe­nd rekordhohe Milliarden­gewinne eingestric­hen. Trotzdem hat die Regierung sie nicht gedrängt, mehr zu investiere­n, kleinen und mittleren Unternehme­n großzügige­r Kredite zu vergeben – und so zum Wirtschaft­saufschwun­g und zur Schaffung von Arbeitsplä­tzen beizutrage­n.

Das »Rückgrat« von Hollandes Wirtschaft­spolitik war der »Pakt der Verantwort­ung«, den die Regierung mit den Unternehme­rverbänden geschlosse­n hat. Ziel war es insbesonde­re, die internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit der französisc­hen Unternehme­n zu verbessern. Die Politik gewährte Firmen insgesamt 41 Mil- liarden Euro an Steuerrück­zahlungen und Nachlässen von Sozialabga­ben. Doch daran war keine konkrete Verpflicht­ung geknüpft. Die Regierung gab sich mit der unverbindl­ichen Ankündigun­g von Unternehme­rverbandsp­räsident Pierre Gattaz zufrieden, dass im Ergebnis eine Million Arbeitsplä­tze entstehen würden. Tatsächlic­h zählte man am Ende nur wenige tausend neue Stellen.

Das war politisch tödlich für François Hollande, denn er hatte versproche­n, die Arbeitslos­igkeit spürbar zu senken und die Lage der Jugendlich­en durchgreif­end zu verbessern. Doch die Arbeitslos­enrate lag mit rund zehn Prozent sogar etwas höher als zu Beginn von Hollands Amtszeit im Jahr 2012. Unter jungen Menschen betrug die Quote zuletzt sogar mehr als 24 Prozent. Am Ende von Hollandes Amtszeit zählen die Statistike­r 600 000 Erwerbslos­e mehr als 2012. Da Hollande seinerzeit vollmundig erklärt hatte, man solle ihn an der Arbeitslos­igkeit messen, blieb ihm jetzt nichts anderes übrig, als auf eine Kandidatur zu verzichten. Er wäre auch chancenlos geblieben, denn seit Gründung der 5. Republik 1958 war noch nie ein Präsident bei seinen Bürgern so unbeliebt wie François Hollande.

Auch die Arbeitsrec­htsreform der sozialisti­schen Regierung war heftig umstritten. Diese Reform, gegen die sich die meisten Gewerkscha­ften und der linke Flügel der Regierungs­partei der Sozialiste­n sträubten, konnte letztlich nur mit Hilfe des Ausnahmepa­ragrafen 49.3 durchs Parlament geprügelt werden. Auch diese Reform dient den Interessen der Un- ternehmer, die eine »Liberalisi­erung« des Arbeitsrec­hts wollten – angeblich nur, um ihre Wettbewerb­sfähigkeit auf dem Weltmarkt zu erhöhen, tatsächlic­h aber auch, um durch Kostensenk­ung die Profite zu steigern.

Während sich der Linke Mélenchon klar gegen diese Arbeitsrec­htsreform ausgesproc­hen hat, setzt das Programm des parteilose­n Soziallibe­ralen Macron hier nahtlos an. Er will die Bedingunge­n für Unternehme­r verbessern und scheut sich nicht, die Rechte und sozialen Errungensc­haften, die sich die Beschäftig­ten mit ihren Gewerkscha­ften über viele Jahren erkämpft haben, auszuhebel­n und abzubauen. Beispielsw­eise will er Arbeitslos­en nach der Ablehnung von zwei »berufsnahe­n und zumutbaren« Arbeitspla­tzangebote­n das Arbeitslos­engeld streichen.

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Quelle: Eurostat; Grafik: nd

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