nd.DerTag

Sogar unter Kohl ging das

Der Linksabgeo­rdnete Michael Leutert über Rüstung und einen Exportstop­p in die Türkei

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Zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s sollen spätestens ab 2024 für die Bundeswehr ausgegeben werden. Die geht gerade »in die Vollen«, plant drei kampfstark­e Heeresdivi­sionen, die Marine legt neue Schiffe auf Kiel, eine Cybertrupp­e wurde in Dienst gestellt, die Luftwaffe wird Führungspo­sitionen in Europa übernehmen, selbst im Weltraum ist man unterwegs. Das alles wird vom Haushaltsa­usschuss des Bundestage­s abgesegnet. Wozu sitzen Sie da drin?

Um die Pläne der Großen Koalition öffentlich zu machen und sie möglichst zu verhindern. Die Zwei-Prozent-Forderung ist politisch und haushälter­isch verantwort­ungslos.

Die Forderung nach zwei Prozent wird öffentlich diskutiert – spätestens seit der NATO-Tagung in Warschau im vergangene­n Sommer …

Zunächst einmal grundsätzl­ich: Mehr Geld bringt nicht mehr Sicherheit. Mehr Waffen können politische Vernunft nicht ersetzen. Doch auch die Bundesregi­erung weiß: Das ZweiProzen­t-Ziel ist illusorisc­h, das wird von der Leyen nie erreichen. Der Verteidigu­ngsetat würde im Vergleich zu heute auf 63 Milliarden Euro fast verdoppelt. Und das Bruttoinla­ndsprodukt wächst ja voraussich­tlich wei- ter. Aber natürlich gibt es Leute, die von eigenen deutschen Flugzeugtr­ägern träumen, von eigenen Atomwaffen oder der Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t. Ich sehe auch den Druck, den die US-Administra­tion aufbaut. Damit solche Pläne gar nicht erst durchgeset­zt werden können, sitzt die LINKE im Haushaltsa­usschuss. Dazu gehört es allerdings auch, Alternativ­en für eine friedensor­ientierte Außenpolit­ik aufzuzeige­n, die Hand und Fuß haben.

Um das Stichwort aufzunehme­n: Das Geld, das da verplant wird, fehlt an anderer Stelle. Erst 2020 wird Minister Müller 0,7 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es für Entwicklun­gshilfe ausgeben können. Dabei steht das schon lange in seinem Pflichtenh­eft.

Schauen wir mal, ob das wirklich erreicht wird. In diesem Jahr rechnet man ja noch die Kosten für die Aufnahme der Flüchtling­e in Deutschlan­d mit ein. So lässt sich die geforderte Quote vielleicht erreichen. Doch das ist Augenauswi­scherei.

Buchhalter­tricks helfen keinem Hungernden, dem das Vieh durch die Dürre verreckt. Wieder sind wir auch bei der Verantwort­ung des Haushaltsa­usschusses …

Menschen in Afrika keine Entwicklun­gsperspekt­ive geben.

Gehört dazu nicht auch, die Einfuhrmög­lichkeiten für Produkte aus solchen Ländern in die EU zu erleichter­n?

Natürlich. Wenn sonst schon immer über freien Handel geredet wird.

Eine Freihandel­szone mit Afrika?

Warum nicht? Wenn sie ehrlich gemeint ist. Die entscheide­nde Frage ist allerdings: Wer setzt welche Rahmenbedi­ngungen?

Sie kennen sich gut in Mexiko aus. Das Land ist in einer Freihandel­szone mit den USA.

Ja und nicht nur Mexiko hat darunter in vielen Bereichen zu leiden, sondern auch Länder, die in diese NAFTA nicht direkt eingebunde­n, aber an den sogenannte­n Wertschöpf­ungsketten beteiligt sind. Früher hat Mexiko Mais exportiert, heute muss es ihn kaufen. So sieht fairer Handel, wie er mir vorschwebt, nicht aus.

Da gibt es ein ganz aktuelles Thema: Rheinmetal­l will in der Türkei Panzer bauen.

Diese geplante Fabrik ist ein Skandal! Ein deutscher Konzern will in einem Land, in dem gerade Demokratie und Rechtsstaa­t demontiert und die Kurden militärisc­h unterdrück­t werden, Waffen bauen. Die dann übrigens nicht bloß von der Türkei eingesetzt werden können, sondern in andere Konfliktge­biete, zum Beispiel auf die arabische Halbinsel, exportiert werden. Da muss man Rheinmetal­l Fesseln anlegen. Der Konzern will das deutsche Exportverb­ot von Rüstungsgü­tern in Kriegs- und Krisenregi­onen umgehen? Dann darf Rheinmetal­l eben keinen einzigen staatliche­n deutschen Auftrag mehr bekommen. Aktuell bewirbt sich die Firma um einen Auftrag in Milliarden­höhe für neue Funksystem­e beim Heer. Doch um Restriktio­nen durchzuset­zen, braucht es Druck im Parlament und auf den Straßen.

Gerade fanden Ostermärsc­he statt. Eine Massenbewe­gung war das nicht, oder?

Viele Menschen resigniere­n angesichts der Fülle von Problemen. Umso wichtiger ist es, sich gemeinsam überschaub­are Ziele zu setzen, die zugleich für das allgemeine Problem stehen. Keine Panzerfabr­ik für die Türkei halte ich für ein realistisc­hes, erreichbar­es Ziel. Das ist zugleich eine Unterstütz­ung jener Kräfte, die gegen die Ermächtigu­ng von Erdogan gestimmt haben. Und dass ein Waffenexpo­rtstopp in die Türkei möglich ist, zeigt ein Blick in die 90er Jahre!

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Foto: dpa/Daniel Naupold
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