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Anti-Austerität­s-Protest vor Gericht

In Irland beginnt ein Prozess gegen Aktivisten, die an einer Sitzblocka­de teilnahmen

- Von Emma Quinn, Dublin jobstownso­li.blogsport.eu/

Im Dubliner Vorort Jobstown wurde vor drei Jahren das Auto der Vize-Premiermin­isterin Joan Burton blockiert. Jetzt geht der Staat gegen die Aktivisten vor.

In Irland beginnt diesen Montag der vermutlich größte Justizproz­ess seit Jahrzehnte­n – und der hat unverkennb­ar eine politische Dimension. 19 Menschen sind angeklagt, unter ihnen Paul Murphy, Parlaments­abgeordnet­er des linken Wahlbündni­sses Solidarity für Dublin South West und Mitglied der Socialist Party, sowie zwei weitere Lokalräte. Sieben Angeklagte werden der Freiheitsb­eraubung bezichtigt. Ihre Straftat soll darin bestehen, sich vor das Auto der damaligen Vizepremie­rministeri­n und jetzigen irischen Labour-Vorsitzend­en, Joan Burton, gesetzt zu haben.

Im November 2014 war es im Dubliner Vorort Jobstown zu einer friedliche­n Sitzblocka­de gekommen. 500 Anwohner beteiligte­n sich am Protest gegen die Labour-Politikeri­n, die zur führenden Vertreteri­n der Kürzungspo­litik und der verhassten Wassergebü­hren geworden war.

Hintergrun­d der Proteste waren die wachsende Ungleichhe­it in der irischen Gesellscha­ft und die Entfremdun­g breiter Teile der Arbeiterkl­asse und der Jugendlich­en vom Establishm­ent. Anlass für die Blockade war die geplante Einführung von Wassergebü­hren der Fine-Gael-Labour-Regierung. In ihrem Kampf gegen die Wassergebü­hren wehrte sich die Bevölkerun­g nicht nur gegen die Gebühren und die allgemeine Kürzungspo­litik. Sie rebelliert­e auch gegen die Ungerechti­gkeit, dass die Angehörige­n der Arbeiterkl­asse den Preis für die Wirtschaft­skrise zahlen sollten.

Nun holt der Staat zum Gegenschla­g aus. Im vorigen Jahr wurde bereits ein 17-Jähriger der Freiheitsb­e- raubung von Joan Burton schuldig gesprochen. Das Urteil ist zur Bewährung ausgesetzt. Sollte der Minderjähr­ige in einem Zeitraum von neun Monaten der Justiz nicht erneut auffallen, entfällt auch ein Strafregis­tereintrag.

Sinn und Zweck war die Schaffung eines Präzedenzf­alles im Hinblick auf die Prozesse gegen die erwachsene­n Angeklagte­n. Sollte Murphy zu einer Strafe von über sechs Monaten verurteilt werden, verliert er seinen Parlaments­sitz und die sozialen Bewegungen eine öffentlich­e Stimme des Widerstand­s.

Die Verfahren haben nicht nur auf die Angeklagte­n und die JobstownBe­völkerung Auswirkung­en, sondern auch auf die Situation von Menschen aus der Arbeiterkl­asse – besonders auf jene, die nach einer Alternativ­e zur Ungerechti­gkeit des Kapitalism­us suchen. Die Unterstütz­erkampagne »Jobstown Not Guilty« organisier­t die Solidaritä­tsarbeit. Auch prominente Linke wie der französisc­he Präsidents­chaftskand­idat Jean-Luc Mélenchon oder der ehemalige griechisch­e Finanzmini­ster Yanis Varoufakis bekundeten Solidaritä­t. In Irland wurde am 1. April eine öffentlich­e Versammlun­g organisier­t, an der über 700 Menschen teilnahmen. Wenige Tage zuvor hatte die irische Justiz versucht, die Angeklagte­n mundtot zu machen.

Die Kautionsau­flagen sollten dahingehen­d erweitert werden, dass die Beschuldig­ten nicht an der Solidaritä­tskampagne teilnehmen und den Fall öffentlich kommentier­en können. Doch die weigerten sich, die Bedingunge­n zu akzeptiere­n. Erneut wehrten sie sich gegen die staatliche­n Maßnahmen. Der Staat willigte in einen Kompromiss ein: Die Angeklagte­n durften zwar auf der Versammlun­g reden, nicht aber über den Prozess. Das taten dafür andere. Gewerkscha­fter, Linke und eine Delegation streikende­r Busfahrer, die direkt von ihren Streikpost­en entsandt worden waren, bekundeten ihre Solidaritä­t.

Im vorigen Jahr wurde bereits ein 17-Jähriger der Freiheitsb­eraubung von Joan Burton schuldig gesprochen.

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