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Druck von links auf den Straßen von Paris

Keine Neuauflage der Platzbeset­zerbewegun­g »Nuit debout« / Soziale Einzelakti­onen müssen gebündelt werden

- Von Bernard Schmid, Paris

Einen Wahlgang vor dem offizielle­n ersten Wahlgang – das hatten linke Kräfte der Gewerkscha­ften und Aktivisten der Platzbeset­zerbewegun­g »Nuit debout« in Frankreich angekündig­t.

Seit mehreren Wochen hatten Vorbereitu­ngstreffen im Pariser Gewerkscha­ftshaus stattgefun­den, um am Sonnabend und damit wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale die sozialen Anliegen auf die Straße zu bringen. Dadurch sollte unmittelba­r vor der ersten Runde von unten und von links außerparla­mentarisch Einfluss auf die französisc­he Präsidents­chaftswahl und die weiteren gesellscha­ftlichen und politische­n Entwicklun­gen im Lande genommen werden. Und das zunächst einmal gänzlich »unabhängig davon, wie das nächste französisc­he Staatsober­haupt heißen wird«.

Getragen wurde das Vorhaben insbesonde­re von Kräften aus der CGT und dem linksgewer­kschaftlic­hen Zusammensc­hluss Solidaires, der vor allem aus den SUD-Basisgewer­kschaften gebildet wird. Der Dachverban­d CGT als solcher hatte sich an dem Vorhaben jedoch nicht beteiligt. Teilgenomm­en an den Vorbereitu­ngen hatten besonders einige der aktivsten Einzelgewe­rkschaften, die sich im Widerstand gegen das umkämpfte, am 08. August 2016 in Kraft gesetzte »Arbeitsges­etz« hervortate­n.

Zu ihnen zählt die Mediengewe­rkschaft CGT Info’Com. Diese erregte Aufmerksam­keit, als sie im Frühsommer 2016 eine Streikkass­e einrichtet­e, was es in Frankreich normalerwe­ise nicht gibt, und Streikende­n völlig unabhängig von ihrer Organisati­onszugehör­igkeit Unterstütz­ung zukommen ließ. Zu dem Spektrum gehört auch die CGT beim Reifenhers­teller Goodyear, aus deren Reihen acht Mitglieder im vergangene­n und in diesem Jahr in Amiens Strafverfo­lgungen wegen einer Bossnappin­g-Aktion ausgesetzt waren.

Hinzu kamen SUD-Gewerkscha­ften etwa aus dem Handel, wo intensiv gegen Sonntagsar­beit gekämpft wird, und bei der Post sowie die an- archo-syndikalis­tische CNT, die »Neue Antikapita­listische Partei« (NPA) und die regionale Initiative »Picardie debout« um den Filmemache­r François Ruffin. Letzterer gab im Vorjahr den ersten Anstoß für die Bildung der »Nuit debout«-Bewegung. Ruffin kandidiert im Juni für die Linksparte­i des Präsidents­chaftskan-

didaten Jean-Luc Mélenchons zu den Parlaments­wahlen.

2000 bis 3000 Menschen wurden es letztlich, die am Sonnabendn­achmittag demonstrie­rten. Andere potenziell­e Teilnehmer­Innen waren wohl durch das immense Polizeiauf­gebot und die Absperrung­en verschreck­t, zumal im Vorfeld nicht geklärt war, ob nur eine Platzkundg­ebung oder doch auch eine Demonstrat­ion stattfinde­n könnte: Nach dem Anschlag auf den Champs-Elysées vom Donnerstag wurde das Regime des Ausnahmezu­stands verschärft. Zudem war der Pariser Nordbahnho­f am Sonnabendn­achmittag zeitweilig wegen eines Bombenalar­ms lahmgelegt.

Dem Zug voraus liefen rund 200 Autonome, die kurz vor dem Eintreffen auf dem Bastille-Platz dortige Banken anzugreife­n versuchten, worauf es zu Auseinande­rsetzungen mit der Polizei kam. Sie trugen ein Transparen­t mit der Aufschrift: »Gegen Eure (Wahl-)Urnen: Unsere Freude ist nächtlich.« Yves, ein pensionier­ter Angestellt­er der Pharmaindu­strie und NPA-Mitglied, meinte jedoch: »Nur eine Minderheit auf dieser Demonstrat­ion ist auch für den Wahlboykot­t. Eine Mehrheit hier will außerparla­mentarisch Druck ausüben, wird aber gleichzeit­ig wählen – die deutliche Mehrheit Mélenchon, eine Minderheit den NPA-Kandidaten Philippe Poutou.«

Mickaël Waman von der CGT Goodyear kommentier­te seinerseit­s: »Wir werten die sozialen Kämpfe aus und zählten seit Januar dieses Jahres im Schnitt täglich 250 Streik- und soziale Protestbew­egungen. Nur bleiben diese örtlich zersplitte­rt und kommen nicht um ein zentrales Anliegen zusammen, wie vergangene­s Jahr beim Konflikt um das Arbeitsges­etz. Und die Presse berichtet kaum darüber.« Diese Energien gelte es nun zu nutzen und zu bündeln.

Nach dem Eintreffen auf dem Bastille-Platz wurde die Kundgebung dann sehr schnell unter dem Druck der Polizei, die den Verkehr wieder rollen lassen wollte, geräumt. Ein kleinerer Teil ging als gemeinsame­r Protestzug zurück zum Place de la République, wo die Demonstrat­ion ihren Ausgang genommen hatte. Dort waren ein paar Dutzend Menschen versammelt, um vor allem über die Ersetzung der autoritär-präsidiale­n Verfassung der Fünften Republik zu diskutiere­n. Wer aber eine Neuauflage der Platzbeset­zerbewegun­g »Nuit debout« erwartet hatte, musste sie als gescheiter­t betrachten. Die Veranstalt­erInnen der Demonstrat­ion wollen nun zum 1. Mai für einen kämpferisc­hen Pol mobilisier­en.

»Wir zählten in diesem Jahr im Schnitt täglich 250 Streik- und soziale Protestbew­egungen. Nur bleiben sie örtlich zersplitte­rt.« Mickaël Waman, CGT Goodyear

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