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Brexit vertreibt Akademiker

An britischen Universitä­ten könnte sich der EU-Austritt bald deutlich bemerkbar machen

- Von Peter Stäuber, London

Britische Akademiker sind pessimisti­sch. Sie fürchten, dass wegen des Brexits Forschungs­gelder ausbleiben und Fachleute auswandern. Zudem will die Regierung die Zahl internatio­naler Studenten senken.

Der Austritt aus der Europäisch­en Union könnte die britischen Universitä­ten teuer zu stehen kommen. Das zumindest befürchten zahlreiche Akademiker, Rektoren und Studenten im In- und Ausland. Seit dem EUReferend­um im vergangene­n Juni werden Warnungen laut, dass infolge des Brexit-Votums weniger akademisch­e Fachleute nach Großbritan­nien kommen werden, dass ausländisc­he Studenten ausbleiben, und dass weniger Geld für Forschung zur Verfügung stehen wird.

Alistair Fitt, Rektor der Oxford Brookes University, sagte, dass der Brexit »wahrschein­lich das größte Desaster für den Universitä­tssektor seit vielen Jahren sein wird«. Knapp zehn Monate nach dem Referendum sind noch keine konkreten Folgen spürbar, dennoch gibt es Hinweise, dass solche Befürchtun­gen berechtigt sind.

Laut einer Umfrage der Gewerkscha­ft University and College Union (UCU) ist die Zahl der ausländisc­hen Akademiker, die einen Wegzug aus Großbritan­nien erwägen, seit vergangene­m Juni stark gestiegen; rund ein Drittel der Befragten gab an, Kollegen zu kennen, die eine Abreise bereits ins Auge gefasst hätten. Insgesamt stammen 16 Prozent der Wissenscha­ftler an britischen Universitä­ten aus einem EU-Land.

Auch ist unklar, was mit den von der EU zur Verfügung gestellten Forschungs­geldern passieren wird: Britische Unis erhalten von Brüssel rund eine Milliarde Pfund pro Jahr, was rund ein Viertel der Gesamtsumm­e für die Forschung ausmacht (1,18 Milliarden Euro). Zudem weiß bislang niemand, ob Großbritan­nien nach dem EU-Ausstieg Mitglied im Europäisch­en Forschungs­raum (EFR) bleibt, der die Zusammenar­beit zwischen den europäisch­en Universitä­ten fördert.

Schottland erhält rund zwölf Prozent der britischen EFR-Gelder, und laut Anton Muscatelli, Rektor der Universitä­t Glasgow, würde ein Ausscheide­n aus dem Forschungs­raum nicht nur finanziell­e Konsequenz­en haben, sondern auch die Attraktivi­tät der schottisch­en Unis schmälern: Mehrere ausländisc­he Professore­n, denen Muscatelli in den vergangene­n Monaten eine Stelle angeboten hatte, wollten sich aufgrund der Unsicherhe­it bezüglich des EFR vorerst nicht verpflicht­en, sagte er gegenüber der Tageszeitu­ng »Guardian«.

Ein weiteres Problem ist die Einwanderu­ng: Premiermin­isterin Theresa May will ausländisc­he Studenten zur Gesamtzahl der Einwandere­r hinzuzähle­n – die starke Beschränku­ng der Immigratio­n, auf die es die Regierung abgesehen hat, wird folglich auch die Zahl der Studenten reduzie- ren. Schon das Brexit-Votum hat britische Universitä­ten im Ausland anscheinen­d unbeliebte­r gemacht: Im vergangene­n Jahr begannen 134 000 Ausländer ein Studium in Großbritan­nien, 41 000 weniger als im Vorjahr, und so wenige wie zuletzt im Jahr 2002. Universiti­es UK, der Dachverban­d britischer Universitä­ten, zeigt sich besorgt über diesen Rückgang; er forderte vergangene Woche eine Einwanderu­ngspolitik, die Großbritan­nien weiterhin attraktiv macht für internatio­nale Studenten.

Laut einer kürzlich veröffentl­ichten Umfrage gab der Verband damit die Wünsche der britischen Bevölkerun­g wieder: Knapp die Hälfte der Befragten würde es befürworte­n, wenn die Zahl ausländisc­her Studenten beibehalte­n würde – und ein Viertel will sie sogar erhöhen. Ausschlagg­ebend ist nicht zuletzt deren Beitrag zur britischen Wirtschaft, der sich gemäß einer Studie des Forschungs­instituts Oxford Economics auf 26 Milliarden Pfund pro Jahr beläuft.

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