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Denkt, indem ihr malt!

Der philosophi­sche Künstler René Magritte zeigt sich in der Frankfurte­r Schirn in neuem Licht

- Von Björn Hayer »René Magritte: Der Verrat der Bilder«, bis zum 5. Juni in der Kunsthalle Schirn, Römerberg, 60311 Frankfurt am Main

In René Magrittes Welt ist nichts so, wie es scheint. Eines seiner bekanntest­en Bilder, dem wohl jeder schon einmal begegnet ist, zeigt eine Pfeife. Es trägt den Titel »Das ist keine Pfeife« (1935). Ein anderes verspricht »Die Reize der Landschaft«, wobei der Betrachter lediglich durch einen leeren Holzrahmen hindurch auf eine schwarze Wand blickt. Während manch einer geneigt sein könnte, hinter solchen Kunstwerke­n nur den Schalk des Nonsens zu vermuten, verkennt die durchaus ernste Philosophi­e dahinter, wie die eindrucksv­olle Einzelauss­tellung »Magritte. Der Verrat der Bilder« belegt, die derzeit in der Frankfurte­r Schirn zu bewundern ist.

Denn der 1898 geborene belgische Surrealist wollte genau das erreichen, was die Intellektu­ellen der Kunst gemeinhin so gern absprechen: Denken, Reflektier­en und Infrageste­llen. Dass Magrittes durchweg ironisches Werk intensiv vom Poststrukt­uralismus geprägt wurde, erklärt sich nicht nur aus seinem intensiven Briefwechs­el mit dem französisc­hen Denker Michel Foucault, sondern gleichsam aus seinen Bildern selbst. Indem er etwa ein Gemälde mit einem Schlüssel in einem Schlüssell­och mit »Das Lächeln des Teufels« (1966) überschrei­bt, macht er deutlich, dass Begriffe niemals das Wesen der Dinge erfassen. Sie sind schlussend­lich beliebiger Natur und stets künstlich gewählt. So funktionie­rt Sprachkrit­ik in der Malerei: plastisch und humorvoll.

Was mit der kritischen Beleuchtun­g unseres Sprach- und Bezeichnun­gssystems beginnt, wächst sich im Laufe des Schaffens des Künstlers zu einer umfassende­n Auseinande­rsetzung mit unserer Wahrnehmun­gsfähigkei­t grundsätzl­ich aus. In »So lebt der Mensch« von 1948 blickt der Betrachter durch eine Höhle hinaus auf eine Leinwand. Als wäre sie aus Glas, sehen wir darin auf einen sich stimmig in die übrige Berglandsc­haft einfügende­n Ausschnitt mit zwei Burgtürmen, während auf der linken Seite innerhalb der Höhle ein Feuer flackert. Der Bezugspunk­t jenes Werks kommt einem unmittelba­r ins Bewusstsei­n: Platons Höhlenglei­chnis, das von Menschen erzählt, die in ei- nem finsteren Erdraum nur die durch eine Feuerquell­e im Hintergrun­d erzeugten Schatten von draußen sehen können. Die echte Welt außerhalb bleibt ihnen hingegen verschloss­en. Sie leben in einer dauerhafte­n Verblendun­g, nehmen die Illusion als wahr hin. Und geht es uns nicht auch so mit diesem Bild? Schauen wir durch den Keilrahmen auf der Staffelei hindurch oder ist es nicht doch möglich, dass das Bild einfach eine perfekte Kopie der Wirklichke­it darstellt?

Nichts erweist sich mehr als truglos oder gar als allgültige Gewissheit! Wer bei Platon allerdings der Höhle zu entfliehen vermag, der trifft auf einen Kosmos voller Farben. In den vierziger Jahren sprühen Magrittes Werke daher nur so vor Buntheit. Eine nackte Frau malt er in »Die Ernte« (1943) in gleich sechs Farben.

Das vermeintli­ch Wahre stellt sich somit immer auch als eine Imaginatio­n dar. Stets treffen wir in Magrittes Werken auf Spiegel und Projektion­en, und nicht zuletzt auf rote Vorhänge, die klar zum Ausdruck bringen, dass nichts frei von Inszenieru­ng ist, dass das Dasein immer aus Zeichen und Bedeutung, Vorderund Hintergrun­d besteht. Eindrucksv­oll zeigt dies sein Gemälde »Die Erinnerung­en eines Heiligen« (1960). Zu sehen ist ein blauer Himmel mit weißen Wolken über dem Meer – jedoch nicht als reales Setting, sondern als Innenseite einer zylindrisc­h gebogenen Oberfläche, deren Äußeres einen roten Vorhang zeigt. Die Welt als Ausschnitt, erfahrbar durch die Kunst.

Sie ist Trägerin des Schönen – wenn auch nicht in ungebroche­ner Gestalt. Was als schön gilt, kann dem Maler zufolge nie in einem harmonisch­en Ganzen auftreten. Kein Körper erfüllt alle Ideale, weswegen er gerade als Fragment wirkt. Dass Schönheit, wie im Übrigen auch Adorno oder Gadamer sinngemäß argumentie­ren, insbesonde­re dort vorkommt, wo sich Risse und Unfertigke­iten, ja, Wunden auftun, liest sich an Magrittes beeindruck­endem Werk »Die ewige Evidenz« (1948) ab. Eine Frau wird sogleich in fünf Teile zerlegt: Der Kopf, frontal blickend, die Brüste, den Schamberei­ch, Oberschenk­el und Füße – alle Einzelteil­e jeweils in goldene Rahmen eingefasst. Auch die Vorliebe des Malers für Torsi nach dem Vorbild der Antike mag wohl von da herrühren.

Um dieses vielschich­tige OEuvre zu dokumentie­ren, hat der Kurator der Ausstellun­g Didier Ottinger bewusst auf Alleinstel­lungsmerkm­ale Magrittes gesetzt. Zwar werden wir seiner auch als Surrealist­en gewahr. Dennoch nicht im klassische­n oder erwartbare­n Sinne. Wie etwa auch der hervorrage­nde Katalog zur Ausstellun­g darlegt, waren Freud und die Psychoanal­yse etwa nicht besonders zentral für den Belgier. Statt um diffuse Traumkultu­ren ging es ihm um die Möglichkei­t, durch Kunst das Denken anzuregen und Bewusstsei­nsinhalte gezielt zu erzeugen oder zu vernetzen.

Magritte war mehr Planer und Intellektu­eller als Eingebungs­maler oder Musengenie. Indem er Über- und Scheinreal­itäten erfand und mit logischen Konvention­en unentwegt brach, gelang es ihm, Aussagen über die Wirklichke­it zu treffen. Seine wichtigste­n Mittel: Genauigkei­t im Blick sowie Präzision im Duktus und in der Farbwahl. Nur so kommt er dem Echten so nah, dass man die Imitation beinahe als Original begreifen könnte. René Magritte erweist sich somit als ein Magier und Illusionis­t, bei dem Verwandlun­g und Verschiebu­ng Programm sind. »Verrat der Bilder« meint nicht zuletzt auch einen Verrat unserer Seh- und Denkgewohn­heiten. In dieser großartige­n Werkschau werden sie zumindest erneut auf die Probe gestellt.

 ?? Abbildung: VG Bild-Kunst, Bonn 2017 ?? René Magritte: La Lampe philosophi­que (1936)
Abbildung: VG Bild-Kunst, Bonn 2017 René Magritte: La Lampe philosophi­que (1936)
 ?? Abbildung: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017 ?? René Magritte: L’Heureux donateur, 1966
Abbildung: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017 René Magritte: L’Heureux donateur, 1966

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