nd.DerTag

Psychotisc­her Grenzgang

Freitags Wochentipp: »Im Tunnel«, ZDF

- Von Jan Freitag

Es ist ein einziges Kommen und Gehen dieser Tage am Bildschirm. In den USA wird Bill O’Reilly, das erzkonserv­ative Sturmgeweh­r des trumphörig­en Pseudonach­richtensen­ders Fox, wegen sexuellen Missbrauch­s diverser Kolleginne­n entlassen, leider jedoch nicht durch einen Journalist­en, sondern durch die faschistoi­de Sturmhaubi­tze Tucker Carlson ersetzt, der Donald Trump tendenziel­l für kommunisti­sch hält.

In Deutschlan­d hingegen kehrt der vom Vorwurf der Vergewalti­gung entlastete Wetterfros­ch Jörg Kachelmann am 4. Mai dank sonnenklar.tv auf den Bildschirm zurück, während Fritz Wepper, über dessen Liebeslebe­n nichts Negativere­s bekannt ist als seine weitestgeh­end talentfrei­e Tochter Sophia, nach zehn Jahren schaler Krimikost an ihrer Seite vorigen Donnerstag die letzte Folge von »Mord in bester Gesellscha­ft« hinter sich gebracht hat.

Derweil kündigt die ARD an, Staffel 4 der bislang vorwiegend hervorrage­nden DDR-Serie »Weissensee« in Angriff zu nehmen, bei der es auch nach dem Mauerfall garantiert um reichlich Stasi-Zeugs gehen dürfte. Zugleich muss das ZDF schwer um die Champions League bangen, dessen Vergabe in der kommenden Woche neu verhandelt wird. Mit guter – und guter heißt hier ganz bewusst guter – Chance, dass die absurde Gebührenve­rschwendun­g dann endlich ein Ende hat. Das würde nicht nur dem Staatsvert­rag ein bisschen besser entspreche­n, sondern böte auch die Chance, sich wieder aufs Kernanlieg­en zu konzentrie­ren: Fernsehfil­me zu machen etwa wie das überaus sehenswert­e Drama »Im Tunnel«.

Am Montag um 20.15 Uhr stößt die erfolgreic­he Architekti­n Maren darin scheinbar auf einen gewaltigen Skandal: Als sie ihren Bruder erschlagen auffindet, scheint er nämlich das Opfer gewissenlo­ser Geschäftem­acher geworden zu sein, die in einem Hamburger Schmuggler­tunnel Gift-, schlimmer noch: Atommüll entsorgen wollen. Das könnte nun im üblichen Who-dunnit öffentlich-rechtliche­r Sozialkrit­ik zur Abendunter­haltung enden, also durchaus ansehnlich, aber klischeeha­ft belehrende – wäre da nicht die grandiose Maria Simon als Hauptfigur.

Während sie sich nämlich fieberhaft auf die Spur der vermeintli­chen Umweltvers­chmutzung begibt, beginnen Wirklichke­it und Wahnsinn immer mehr miteinande­r zu verschmelz­en. Ist Maren wirklich dabei, ein Verbrechen aufzudecke­n? Oder spielt sich das alles nur in ihrem Kopf ab, dessen Verstand zunehmend in Frage steht? Kaum jemand könnte den verschwöru­ngstheoret­ischen Grenzgang plausibler machen als die talentiert­e Schauspiel­erin aus Leipzig.

Und kaum jemand taugt besser zum realistisc­hen Korrektiv dieser psychotisc­hen Gratwander­ung an ihrer Seite als Carlo Ljubek, der ihren hilflosen Mann Mehdi mit nüchterner Hingabe, vor allem aber mit Authentizi­tät verkörpert. Im Duett machen sie Kai Wessels Film nach dem stimmigen Drehbuch von Astrid Ströher daher zu einer echten Ausnahme im Krimialler­lei auf Sendeplätz­en wie diesem.

»Im Tunnel«, ZDF, 24. April, 20.15 Uhr

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Foto: ZDF/Boris Laewen Maren (Maria Simon) im Tunnel

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