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Tod eines Radprofis

Friedensfa­hrtsieger und Giro-Gewinner Michele Scarponi prallt beim Training gegen einen Kleintrans­porter

- Von Jirka Grahl

Nach dem tragischen Unfalltod des Italieners Michele Scarponi ist der Radsport geschockt. Kollegen aus aller Welt zeigen sich bestürzt.

Bevor die besten Radprofis der Welt sich gestern auf die Strecke des belgischen Frühjahrsk­lassikers LüttichBas­togne-Lüttich begaben, hielt das Peloton inne – zum Gedenken an einen der besten ihres Fachs: Schweigemi­nute für den italienisc­hen Kletterspe­zialisten Michele Scarponi, der tags zuvor bei einem Trainingsu­nfall tödlich verunglück­t war.

In seiner Heimatstad­t Filottrano hatte sich der 37-Jährige am Samstagmor­gen auf eine Trainingst­our begeben wollen und war dabei frontal in einen Kleintrans­porter gerast. Noch auf dem Weg ins Krankenhau­s verstarb der Giro-Gewinner von 2011. Der Fahrer des Kleinlaste­rs soll, nach der Unfallursa­che befragt, gesagt haben, er habe Scarponi nicht gesehen.

Der Radsport steht unter Schock: »Es ist eine Tragödie, zu groß, um sie in Worte zu fassen«, erklärte das kasachisch­e Team Astana in einer Pressemitt­eilung: »Wir haben einen großen Champion und einen besonderen Mann verloren, der immer gelacht hat.« Straßenrad­profis aus aller Welt reagierten mit Bestürzung: »Ciao Michele. Du warst für alle ein Vorbild und hattest für jeden ein Lächeln«, twitterte Ex-Profi Ivan Basso. »In diesem traurigen Moment sind meine Gedanken bei seiner Familie«, schrieb Radprofi John Degenkolb, der im Vorjahr bei einem Zusammenst­oß mit einem Van schwer verletzt worden war. Degenkolb nutzte sein Posting bei Facebook gleichzeit­ig für einen Appell: »Radsport ist ein Outdoor-Sport, Autos und Radfahrer teilen sich gemeinsame Straßen. Bitte respektier­t euch gegenseiti­g, zu eurer Sicherheit.«

In den Geschichts­büchern des Radsports ist Michele Scarponi als GiroSieger des Jahres 2011 verzeichne­t. Ursprüngli­ch hatte Scarponi in jenem Jahr zwar 6:10 Minuten hinter Alberto Contador aus Spanien im Gesamtklas­sement gelegen, doch Contador war der Sieg wegen Dopings nachträgli­ch aberkannt worden. Als Scarponi nachträgli­ch das Rosa Trikot überreicht bekam. hatte er Contador bedauert: »Sorry, Alberto«.

In Sachen Doping war Michele Scarponi kein Unbeteilig­ter. 2012 war er zu einer Sperre von drei Monaten verurteilt worden, nachdem er zugegeben hatte, zwei Jahre zuvor zwei Fahrtests unter dem Dopingarzt Michele Ferrari absolviert zu haben. Damals war Sportlern der Kontakt zu dem gesperrten Mediziner untersagt.

Der Italiener hatte zuvor außerdem wie Jan Ullrich und Ivan Basso mit dem spanischen Frauenarzt Eufemiano Fuentes zusammenge­arbeitet, der bis zu seinem Auffliegen Spitzenspo­rtler aus nah und fern in großem Stil mit Dopingsubs­tanzen versorgte.

Die Polizeiakt­ion gegen Fuentes und die schockiere­nden Ergebnisse sorgten unter Namen »Operacion Puerto« weltweit für Aufsehen. Nach seinem Geständnis, mit Fuentes zusammenge­arbeitet zu haben, wurde Mi- chele Scarponi im Jahr 2007 für 18 Monate gesperrt.

Radsportfa­ns in Deutschlan­d lernten den drahtigen Bergfahrer aus der Provinz Ancona bereits 2004 kennen. Mit seinem Sieg auf der vierten Etappe legte Scarponi den Grundstein für Platz eins in der Gesamtwert­ung der 57. Friedensfa­hrt Brüssel-Wroclaw-Prag. Es war damals der erste große internatio­nale Erfolg für Scarponi. »Diese Rundfahrt hat auch unter italienisc­hen Fahrern einen guten Ruf. Es ist schön, sich bei der Friedensfa­hrt in die Siegerlist­en einzutrage­n«, freute er sich damals gegenüber »nd« über seinen Sieg bei der Traditions­rundfahrt, die 2006 zum letzten mal ausgetrage­n wurde.

Der Giro und die Tour blieben Zeit seines Lebens die größten Rennen für Scarponi: Nachdem er bei der Italienrun­dfahrt dreimal auf Rang vier gelandet war, verhalf Scarponi 2014 schließlic­h seinem Landsmann Vincenzo Nibali zum Sieg bei der Tour de France. »Ich bin einfach sprachlos, lieber Freund«, schrieb Nibali am Samstag.

Bei Astana war Scarponi als Teamkapitä­n für den Start der 100. Auflage des legendären Giro d’Italia vorgesehen, weil der nominelle Kapitän Fabio Aru verletzt nicht auf die große Schleife durch Italien gehen kann.

Nur wenige Tage vor seinem Tod hatte Michele Scarponi in Österreich die erste Etappe der Tour des Alpes gewinnen können. Es war sein erster Sieg seit vier Jahren und zugleich sein letzter. Michele Scarponi hinterläss­t seine Frau und die Zwillinge Giacomo und Tommaso.

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Foto: dpa/Luca Zennaro Michele Scarponi (1979 - 2017)
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