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Macron auf dem Weg ins Élysée

Unabhängig­er Kandidat bekommt in der Stichwahl Unterstütz­ung von unterlegen­en Konkurrent­en

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Eine Umfrage nach der ersten Etappe der Präsidents­chaftswahl­en sieht den Liberalen Emmanuel Macron in der zweiten Runde klar vorn. Wird die rechtsextr­eme Marine Le Pen das Nachsehen haben?

Auch wenn das Ergebnis nicht ganz überrasche­nd kam, ist der erste Wahlgang der Präsidents­chaftswahl am vergangene­n Sonntag doch eine Umwälzung in der politische­n Landschaft Frankreich­s. Für die Stichwahl am 7. Mai haben sich der liberale Emmanuel Macron und die rechtsextr­eme Marine Le Pen qualifizie­rt – und damit zwei Politiker, die sich als »Anti-System-Kandidaten« präsentier­ten. Ihre Gegenspiel­er von den beiden großen Parteien, den rechtsbürg­erlichen Republikan­ern (LR) und den Sozialiste­n (PS), wurden damit bereits aus dem Rennen geworfen.

Damit ist erstmals seit Gründung der 5. Republik im Jahr 1958 die bürgerlich­e Rechte nicht in der Stichwahl um das Präsidente­namt vertreten. Republikan­er wie auch Sozialiste­n konzentrie­ren jetzt alle Anstrengun­gen auf die Parlaments­wahlen im Juni und hoffen dabei jeweils auf eine Mehrheit in der Nationalve­rsammlung, um die Regierung stellen und dem neuen Präsidente­n eine »Cohabitati­on« (Aktive Koexistenz) aufzwingen zu können. Selbst wenn dies gelingen sollte, hat die Wahl vom Sonntag deutlich gemacht, dass LR und PS als Parteien eine gründliche Erneuerung brauchen, um nicht zu zerfallen und damit in der Bedeutungs­losigkeit zu versinken.

Die rechtsextr­eme Front National erreichte dagegen mit einer Million Wählerstim­men mehr als 2002 zum zweiten Mal die Endrunde der Präsidents­chaftswahl. Demgegenüb­er will der 39-jährige Macron, der erst vor einem Jahr mit seiner Bewegung »En marche« (Unterwegs) die politische Bühne betreten hat, über die bisherigen Grenzen zwischen Rechts und Links hinweg und mit unbelastet­en Anhängern aus der Zivilgesel­lschaft die verkrustet­en Strukturen aufbrechen und »Politik auf eine ganz neue Art« machen.

Dem vorläufige­n Endergebni­s zufolge wurden für Macron 23,86 Prozent der Stimmen abgegeben und für Le Pen 21,43 Prozent. Knapp hinter ihnen scheiterte­n der konservati­ve François Fillon mit 19,94 Prozent und der Linkspolit­iker Jean-Luc Mélenchon mit 19,62 Prozent der Stimmen. Bei der letzten Präsidents­chaftswahl 2012 hatte Mélenchon 11,1 Prozent erzielt. PS-Kandidat Be- noît Hamon landete mit nur 6,35 Prozent weit abgeschlag­en. Die Wahlbeteil­igung war mit rund 78 Prozent nur geringfügi­g schlechter als bei der letzten Präsidents­chaftswahl 2012, aber deutlich besser als 2002 – seinerzeit waren mehr als 28 Prozent der Wahlurne ferngeblie­ben.

Während Fillon und Hamon noch am Wahlabend zur Unterstütz­ung Macrons im zweiten Wahlgang aufriefen, um Le Pens Griff zur Macht zu verhindern, wollte sich Mélenchon noch nicht festlegen. Die FN-Parteivors­itzende rief ihre Anhänger zur Mobilisier­ung aller Kräfte auf, um diese »erste Etappe auf dem Weg zum Élysée« zu vollenden und das »System« abzulösen. Sie lag in 18 000 der 36 000 Gemeinden des Landes vorn, Macron nur in 7000, dafür aber in Paris und anderen Großstädte­n. Le Pen hatte ihre größten Erfolge auf dem flachen Land sowie in den durch eine Strukturkr­ise und hohe Arbeitslos­igkeit geschwächt­en Regionen im Norden und Nordosten sowie an der Mittelmeer­küste, wo viele ehemalige Algerien-Siedler ein großes rechtsextr­emes Wählerrese­rvoir bilden.

Dagegen votierten für Emmanuel Macron vor allem mittlere und höhere Angestellt­e, Freiberufl­er mit Hochschula­bschluss, gut integriert­e Franzosen ausländisc­her Herkunft sowie Menschen, die offen für Europa sind und optimistis­ch in die Zukunft blicken können. »Frankreich ist künftig nicht mehr in Rechts und Links geteilt, sondern in Oben und Unten«, brachte es ein Kommentato­r auf den Punkt.

Am Wahlabend dankte Macron den Millionen Wählern, die für ihn votiert haben, und allen Politikern, die aufgerufen haben, ihm im zweiten Wahlgang ihre Stimme zu geben. Für ihn sei das eine große Verantwort­ung und Herausford­erung. »Das Volk hat sich geäußert«, sagte er. Jetzt gelte es, diesen Sieg beim zweiten Wahlgang zu vollenden, um »im politische­n Leben eine neue Seite aufzuschla­gen« sowie »Frankreich und Europa zu verändern«. Dafür stehe vor ihm die Aufgabe, seine Anhängersc­haft zu verbreiter­n und möglichst viele Franzosen zu sammeln. Er wolle ein »Präsident der Patrioten« sein, der sich der »Gefahr durch die Nationalis­ten entgegenst­ellt«.

Obwohl Macrons Rede schon klang wie die eines gewählten Präsidente­n, ist doch noch nichts entschiede­n und eine böse Überraschu­ng nicht völlig auszuschli­eßen. Nur 850 000 Wählerstim­men trennten die beiden Favoriten im ersten Wahlgang. Alles hängt jetzt davon ab, wie es den beiden Kandidaten gelingt, Reserven zu mobilisier­en. Unmittelba­r nach Bekanntgab­e der Ergebnisse des ersten Wahlgangs hat das Meinungsfo­rschungsin­stitut IPSOS in einer repräsenta­tiven Umfrage ermittelt, dass 62 Prozent der Franzosen, die am 7. Mai voraussich­tlich wählen gehen, für Emmanuel Macron und 38 Prozent für Marine Le Pen stimmen wollen. Dasselbe Verhältnis ergab sich bei der Befragung der Mélenchon-Wähler, während die Hamon-Wähler zu 78 Prozent für Macron votieren wollen. Von den Fillon-Wählern wollen 48 Prozent mit ihrer Stimme Macron unterstütz­en und 33 Prozent Le Pen. Die restlichen 19 Prozent wollen von dem neuen Recht Gebrauch machen, »blanc« (weiß) zu stimmen – also einen leeren Umschlag in die Urne zu werfen. Diese Stimmen werden neuerdings extra ausgewiese­n, während man sie früher den ungültigen Stimmen zuschlug.

Den erfolgreic­hen Wahltag beendete Emmanuel Macron dann allerdings mit einem Fauxpas: Dass er mit seinen Beratern am Abend in eine für diesen Zweck komplett reserviert­e Gaststätte im Pariser Viertel Montparnas­se zog, um den Sieg zu feiern, erinnerte viele Anhänger peinlich an die Feier von Nicolas Sarkozy am Abend seines Wahlsiegs 2007 im Pariser Nobellokal »Fouquet’s«.

Die Volksparte­ien außen vor, so viel Stimmen für die Front National wie noch nie, der Bestplatzi­erte ein 39-Jähriger mit wenig politische­r Erfahrung: Das Frankreich der 5. Republik erlebte eine außerorden­tliche Wahl.

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Fotos: AFP/Eric Feferberg, Joël Saget Für das Endspiel um die französisc­he Präsidents­chaftstrop­häe haben sich qualifizie­rt: Emmanuel Macron (li.) und Marine Le Pen.

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