Der Kandidat der EU-Kommission
Macrons europapolitische Forderungen lesen sich wie abgeschrieben aus Papieren der Europäischen Union
Wird Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten gewählt, würde das nicht zu einer Stärkung des europäischen Projektes führen, sondern den eingeschlagenen neoliberalen Kurs der EU vertiefen.
Verglich man am Sonntag die Wahlpartys der verschiedenen Kandidaten, so stach die Bühne des liberalen Kandidaten Emmanuel Macron und seiner Bewegung »En Marche!« hervor: Nur auf dieser sah man auch die Flagge der EU. Damit wurde auch ein Alleinstellungsmerkmal Macrons im Präsidentschaftswahlkampf deutlich, mit dem er sich von den anderen Kandidaten abgrenzte: sein bedingungsloses Bekenntnis zum europäischen Einigungsprozess und seine Forderung nach einer Stärkung der europäischen Souveränität.
Die Wahl von Emmanuel Macron am 7. Mai würde jedoch nicht zu einer Stärkung des europäischen Projektes führen, sondern einzig den eingeschlagenen neoliberalen Kurs der europäischen Einigung vertiefen. Die in seinem Programm aufgelisteten europapolitischen Vorschläge lesen sich wie abgeschrieben aus einem Papier der Europäischen Kommission. Ein Beispiel dafür ist die Forderung, dass die EU eine größere weltpolitische Verantwortung übernehmen und auch gemeinsam militärische Interventionen in Kriegsgebieten durchführen müsse. Als erste Schritte in diese Richtung schlägt Macron den Aufbau einer Verteidigungsunion und eines gemeinsamen europäischen Verteidigungsfonds vor. Letzterer soll zur Finanzierung von gemeinsamen Rüstungsprojekten und Auslandseinsätzen dienen. Zudem soll ein gemeinsames europäisches Einsatzzentrum errichtet werden.
Ein weiteres Beispiel ist die Asylund Grenzpolitik. Auch dort gibt es Überschneidungen mit den europäischen Eliten. So fordert auch Macron eine stärkere europäische Koordinierung und Kompetenzausweitung der europäischen Institutionen in diesem Bereich. Frontex soll nicht nur als gemeinsamer europäischer Grenzschutz weiter ausgebaut und personell verstärkt werden, sondern darüber hinaus soll die Festung Europa durch die Errichtung von Checkpoints in den angrenzenden Ländern zur effizienteren Steuerung der Einwanderung weiter ausgebaut werden.
Wirtschaftspolitisch existieren ebenso Schnittmengen mit den offiziellen Vorschlägen der EU. Zentral ist für Macron die Idee, dass Blockaden anderer Mitgliedsstaaten durch Vereinbarungen kleinerer Gruppen der »integrationswilligen Länder« übergangen werden können. Damit befürwortet er das Konzept eines »Europas der zwei Geschwindigkeiten«, das zuletzt EU-Kommissions- präsident Jean-Claude Juncker in seinem Weißbuch zur Zukunft der EU als ein Szenario für eine tiefere europäische Integration vorgeschlagen hatte und das seit einiger Zeit von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt wird.
Macron sieht dabei in erster Linie die deutsch-französische Achse in der Pflicht. Sie soll die wirtschaftspolitische Integration vorantreiben. Als konkrete Schritte einer solchen exklusiven deutsch-französischen Vor- reiterrolle in der EU schlägt Macron die Einführung eines gemeinsamen Budgets der Eurozone vor, um die privaten und öffentlichen Investitionsdefizite zu beheben. Dieses soll von einem Parlament der Eurozone legitimiert und kontrolliert sowie von den Wirtschafts- und Finanzministern gesteuert werden. Die Schaffung eines solchen Systems der fiskalischen Transfers würde jedoch zu einer weiteren ökonomischen Machtkonzentration auf supranationaler Ebene führen und eine deutliche Kompetenzverlagerung auf die europäische Ebene bedeuten.
Das Thema Investitionsdefizite sorgte in den Tagen vor der Wahl in Deutschland für Aufsehen. Auch wenn Macron öffentliche und private Investitionsdefizite in seinem Programm als gesamteuropäisches Problem definiert, äußerte er öffentlich Kritik an der Handelspolitik der Bundesrepublik. In Interviews mit der Funke-Mediengruppe betonte er, dass die Handelspolitik Deutschlands der Eurozone starken Schaden zufüge. Macron hatte schon als französischer Wirtschaftsminister auf die negativen Folgen der deutschen Handelspolitik für Frankreich und Europa hingewiesen. Ein gemeinsamer Bericht von Wirtschaftswissenschaftlern im Auftrag des deutschen und französischen Wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2014 empfahl u. a. den Abbau der deutschen Handelsüberschüsse. Für Deutschland hatten diese Empfehlungen jedoch keine Folgen, steigerte es ein Jahr darauf sogar noch einmal seine Überschüsse.
Im Gegensatz dazu hielt sich das französische Wirtschaftsministerium an die Empfehlungen des Berichts, »strukturelle Reformen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik« durchzusetzen. Unter der Federführung von Emmanuel Macron wurden mit dem »Loi El Khomri« und dem »Loi Macron« zwei Arbeitsmarktreformen umgesetzt, die die Rechte der Lohnabhängigen schleiften und die Gewerkschaften schwächten. Die Empfehlungen und Forderungen an Deutschland, die Exportüberschüsse zu reduzieren, dienten Emmanuel Macron in erster Linie als Schützenhilfe, seine eigenen Reformvorhaben umzusetzen.
In diesem Sinne sind auch die aktuellen Äußerungen Macrons zu verstehen. Entgegen der Interpretation mancher Beobachter sieht Macron zuvörderst Frankreich in der Verantwortung, die ökonomische Situation in Europa durch »strukturelle Reformen« im Arbeitsmarkt und Kürzungen öffentlicher Ausgaben zu verbessern. So betonte Macron im Wahlkampf immer wieder, dass man das Vertrauen Deutschlands nur durch strukturelle Reformen gewinnen könne. Macron nutzt somit die Kritik an den deutschen Exportüberschüssen nicht, um Druck auf Deutschland und die deutsche Exportpolitik auszuüben, sondern um die eigene Reformagenda zu begründen.
Und diese Reformagenda zielt vor allem auf eine Senkung der Lohnkosten und eine Erhöhung des Drucks auf Erwerbslose. Nach dem Vorbild der deutschen Hartz-Gesetze plant Macron die Arbeitslosenversicherung zu reformieren und stärkere Sanktionsund Aktivierungselemente zu implementieren. Dagegen sollen Unternehmen steuerlich entlastet und Regulierungen abgebaut werden. Zudem soll die Rentenversicherung angeglichen und damit das allgemeine Rentenniveau gesenkt sowie öffentliche Ausgaben radikal gesenkt werden. Alles in allem also ein Programm, das in erster Linie den sozial- und wirtschaftspolitischen Vorgaben der Europäischen Kommission entspricht und die Senkung der Löhne zur zentrale Stellschraube seiner Wirtschaftspolitik macht. Gewinner sind dabei insbesondere die großen exportorientierten Unternehmen.
Die Empfehlungen und Forderungen an Deutschland, die Exportüberschüsse zu reduzieren, dienten Emmanuel Macron in erster Linie als Schützenhilfe, seine eigenen Reformvorhaben umzusetzen.