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»Klar gegen Le Pen, aber nicht für die Politik von Macron« Sie sagen, Macron ist »das kleinere Übel«. Ein Übel aber auf jeden Fall? Noch etwas?

Bernd Riexinger über die Frankreich-Wahlen, Mélenchons Bewegung und proeuropäi­sche, weil radikale EU-Kritik

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Herr Riexinger, wann haben Sie eigentlich zuletzt französisc­hen Rotwein getrunken?

Bernd Riexinger: Am Sonntagabe­nd, ich hatte noch einen zu Hause.

Gab es denn Grund, auf irgendetwa­s anzustoßen?

Den gab es. Jean-Luc Mélenchon hat ein tolles Ergebnis erzielt. Es zeigt, dass man mit Forderunge­n wie der nach einem milliarden­schweren Investitio­nsprogramm, nach höheren Löhnen, früherem Renteneint­ritt und mit einer Initiative zur Verkürzung der Arbeitszei­t großen Zuspruch finden kann. Themen übrigens, die in ganz ähnlicher Weise auch die Linksparte­i hierzuland­e auf dem Zettel hat.

Mélenchon hat es nicht in die Stichwahl geschafft. Dort stehen sich der Liberale Emmanuel Macron und die Rechtsradi­kale Marine Le Pen gegenüber.

Falls Sie mich jetzt wieder nach dem Rotwein fragen: Das ist höchstens ein trauriger Grund, sich zu betrinken. Die Franzosen haben nun nur noch die Wahl zwischen einer rechtsnati­onalistisc­hen Kandidatin und einem neoliberal­en Politiker.

Würden Sie die Wahl Macrons in der zweiten Runde empfehlen?

Mélenchon will in seiner Bewegung beraten, welche Haltung man für den zweiten Wahlgang einnimmt. Das ist nicht nur demokratis­ch, sondern auch völlig richtig. Ich habe zudem als deutscher Linker keine Empfehlung­en abzugeben.

Aber Sie haben bestimmt eine Meinung dazu.

Man muss natürlich alles tun, um Le Pen zu verhindern. Linke sollten aber zugleich auch klarmachen, dass sie einen Kampf gegen Macron und sein Programm führen. Er will praktisch eine Agenda 2010 für Frankreich. Mit der ist seinerzeit die soziale Spaltung in Deutschlan­d vertieft worden, was einer der zentralen Gründe für den Aufstieg von rechten Parteien ist. Deshalb kann man nur sagen: Linke sollten deutlich machen, dass sie gegen Le Pen aufrufen, aber nicht für die Politik von Macron.

Ist es dann hilfreich, zu behaupten, die Franzosen hätten nur noch zwischen »Pest und Cholera« zu entscheide­n, wie man es aus der LINKEN hören konnte?

Das ist ein feststehen­der Ausdruck, der deutlich macht, dass sich nun Millionen von Menschen entscheide­n sollen zwischen zwei Personen, die sie beide nicht wollen. Machen wir uns bei aller modernen Folklore seines Wahlkampfe­s nichts vor. Wenn Macron seine Angriffe auf die 35-Stunden-Woche, auf die Gewerkscha­ften, auf die öffentlich­en Beschäftig­ten und so weiter in die Tat umsetzt, wäre das verheerend für die Beschäftig­ten, für die sozialen Sicherungs­systeme und auch für Flüchtling­e und Migranten übrigens. Aber natürlich ist Le Pen die weit schlimmste Variante: eine autoritäre, repressive und rassistisc­he Verwaltung des Kapitalism­us. Die Linken müssen Widerstand dagegen organisier­en. Aber sie können doch deshalb nicht für eine neoliberal­e Politik werben, die die gesellscha­ftliche Spaltung verschärft.

Haben Sie nicht die Sorge, dass Attacken gegen Macron auch Wähler von Mélenchon in die Arme der Rechtsradi­kalen treiben?

Nein. Vorausgese­tzt, man macht unmissvers­tändlich klar, was der Unterschie­d zwischen Links und Rechts ist.

Mélenchon hat im Wahlkampf bewusst auf eine solche Selbsteino­rdnung verzichtet.

Ich halte gar nichts davon, auf die Unterschei­dung in Links und Rechts zu verzichten. Das hat schon Podemos in Spanien versucht. Erstens verorten sich die meisten Menschen selbst klar im politische­n Koordinate­nsystem. Zweitens ist es doch eine Frage, in der sich Politik deutlich unterschei­det: Mache ich diese für die kleinen Leute, für die Lohnabhäng­igen, stelle ich die soziale und ökologisch­e Frage gegen Konzernint­eressen, strebe ich Gerechtigk­eit und Gleichheit an – dann ist das links. Punkt. Man muss das auch dann laut ausspreche­n, wenn die Leute die Nase voll vom alten Parteiensy­stem haben, in dem die Sozialdemo­kraten für sich das Etikett »links« in Anspruch genommen haben, aber eine ganz andere Politik verfolgten.

Mélenchon wurde von linken Intellektu­ellen wie Didier Eribon kritisiert, wegen seiner nationalis­tischen Töne.

Eribon hat ihn kritisiert – dann aber zu seiner Wahl aufgerufen. Wir brauchen offene Debatten wo es nötig ist, aber das sollte nicht die Grundsolid­arität mit einem linken Kandidaten in Frage stellen.

Mit Hamon gab es ja noch einen weiteren dezidiert linken Kandidaten.

Der mit sechs Prozent unterging. Die alte französisc­he Sozialdemo­kratie gibt es seit Sonntag nicht mehr. Und sie hat das selbst zu verantwort­en, Hamon hat mit seinem linkssozia­ldemokrati­schen Programm noch am wenigsten Schuld daran. Es wäre dennoch besser gewesen, wenn er auf die Kandidatur verzichtet hätte. Genauso wie der trotzkisti­sche Kandidat Philippe Poutou. Dann wäre Mé- lenchon jetzt vielleicht in der Stichwahl.

Hamon hat zur Wahl Macrons in der zweiten Runde aufgerufen.

Das wird die Parti Socialiste auch nicht retten. Aber es erhöht die Gefahr, dass linke Positionen unglaubwür­dig werden, indem sie als Feigenblat­t für neoliberal­e Politik dienen, die am Ende die Gefahr des Rechtsextr­emismus erhöht.

Sehen Sie gar nichts Gutes an Macron?

Seine Kritik am deutschen Außenhande­lsüberschu­ss ist richtig. Aber den sollten wir nicht durch Sozialabba­u in Frankreich abbauen, sondern durch höhere Löhne und Investitio­nen in Deutschlan­d. Damit würde auch der Druck auf die französisc­he Politik sinken, dort das Lohnund Sozialnive­au zu senken.

Macron hat bisher nur ein recht vages Programm, was wir davon konkret wissen, bestärkt meine Kritik.

2015 hat Macron mit dem damaligen Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel ein Europapapi­er vorgelegt, darin standen Forderunge­n wie die nach vertiefter sozialer Integratio­n, einem Mindestloh­nkorridor, nach einer harmonisie­rten Körperscha­ftssteuer und so fort.

Und was ist davon umgesetzt worden, vom SPD-Vorsitzend­en und Wirtschaft­sminister Gabriel und Macron, der damals ebenfalls noch Minister war? Ich würde es doch sofort und ehrlich begrüßen, wenn wir in Europa bessere soziale Standards durchsetze­n könnten. Aber die Sozialdemo­kratie, und in der ist Macron groß geworden, redet immer nur. Sie tut nichts.

Was könnte Sie denn tun?

Wie wäre es mit linker Politik? François Hollande ist damals mit einem linken Programm gewählt worden. Statt jedoch für Sozialpoli­tik im Interesse von Umverteilu­ng, Industrieu­nd Infrastruk­turpolitik im Interesse der Beschäftig­ten und der öffentlich­en Hand einzutrete­n, hat er sich entschiede­n, möglichst gute Bedingunge­n für die Verwertung­sinteresse­n des Kapitals zu schaffen. Linke Politik muss aber gerade hier den Konflikt suchen. Zu denken, wie es auch die SPD tut, man könnte beides machen – ein bisschen über soziale Gerechtigk­eit reden und zugleich die Interessen der großen Konzerne unangetast­et lassen, das geht nicht. Die Sozialdemo­kratie in ganz Europa macht immer wieder diesen Fehler und wird deshalb jetzt zerrieben.

Ein Präsident Mélenchon hätte dieselben Gegner.

Er würde natürlich auch Probleme bekommen. Aber er hätte den Kon- flikt gesucht. Und dann wäre es auch auf die europäisch­en Linken angekommen, gerade die in Deutschlan­d. Einen Kurswechse­l kann es nur gemeinsam in Europa geben, die Spielräume für nationalst­aatliche Politik sind inzwischen viel zu klein geworden.

Deshalb konnte Macron punkten – er wurde als proeuropäi­scher Kandidat wahrgenomm­en.

Das hat sicher vor allem junge Leute angezogen, eine ähnliche Stimmung gibt es auch hier bei uns. Was diese Menschen erschreckt, ist, wenn Gegnerscha­ft zur aktuellen EU-Politik nationalis­tisch gewendet wird. Wenn aber der Begriff »proeuropäi­sch« meint, sich bedingungs­los der bisherigen Politik in der EU anzuschlie­ßen, also Austerität und wirtschaft­liche Ungleichge­wichte, deutschen Exportnati­onalismus und Flüchtling­sabwehr gutzuheiße­n, führt er nur in die Irre. Es ist die radikale Kritik an der EU, die aus meiner Sicht proeuropäi­sch ist, weil wir ein anderes Europa wollen, eines, in dem die neoliberal­e Politik gestoppt wird, die unter dem Strich den Rechten zugute kommt.

Für ein Programm eines radikalen Kurswechse­ls hätte auch Mélenchon Partner gebraucht. Zur Wahl Macrons will er bisher nicht aufrufen. Die Sozialdemo­kratie ist praktisch weggeschru­mpft. Im Juni sind Parlaments­wahlen, die linken Parteien in Frankreich sind am Boden.

Es sagt auch niemand, dass ein Kurswechse­l einfach wäre. Aber es besteht doch jetzt eine Chance für einen Wiederaufb­au rund um Mélenchons Bewegung herum.

Ein Kurswechse­l wäre auch eine Frage von Mehrheiten. Für die linken Kandidaten stimmten in Frankreich deutlich weniger als 30 Prozent. Nicht gerade antikapita­listische Masseneuph­orie.

Wir dürfen aber nicht nur immerzu auf Wahlen blicken. Linke müssen um Hegemonief­ähigkeit ringen. Es kommt darauf an, dass es wieder normal wird, Kapitalint­eressen infrage zu stellen, statt danach zu glotzen, »wie die Märkte reagieren«. Einige Kernfragen linker Politik müssen erst noch mehrheitsf­ähig werden, bei anderen haben wir schon gute Fortschrit­te gemacht. Aber es führt eben kein Weg an beharrlich­er Arbeit, beharrlich­er Aufklärung und beharrlich­er Verankerun­g in Gewerkscha­ften und Gesellscha­ft vorbei. Linke Hegemonie entscheide­t sich nicht nur in stark personalis­ierten Wahlkämpfe­n. Sondern im Betrieb, auf der Straße, in der Nachbarsch­aft, im Verein. Deshalb braucht es starke Parteien, die nicht nur Wahlverein­e sind. Das gilt für Frankreich genauso wie für Deutschlan­d.

 ??  ?? Bernd Riexinger, Jahrgang 1955, ist Vorsitzend­er der Linksparte­i. Mit ihm sprach Tom Strohschne­ider. Foto: dpa/ZB/Hendrik Schmidt
Bernd Riexinger, Jahrgang 1955, ist Vorsitzend­er der Linksparte­i. Mit ihm sprach Tom Strohschne­ider. Foto: dpa/ZB/Hendrik Schmidt

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