nd.DerTag

Tod der Sozialdemo­kratie

Frankreich und der Niedergang des Zweipartei­ensystems

- Von Felix Syrovatka

Die französisc­hen Sozialdemo­kraten von der Parti Socialiste sind auf dem Weg in die politische Bedeutungs­losigkeit.

Nun ist eingetrete­n, was seit langem diagnostiz­iert wurde: Das französisc­he Zweipartei­ensystem ist am Ende, das politische System Frankreich­s steht vor einer Umwälzung. Mit dem liberalen Kandidaten Emmanuel Macron (24 Prozent) und der rechtsradi­kalen Kandidatin Marine Le Pen (21,3 Prozent) erreichten zwei KandidatIn­nen die Stichwahl um das französisc­he Präsidente­namt, die nicht von einer der beiden großen französisc­hen Parteien unterstütz­t wurden. François Fillon, Kandidat der konservati­ven Les Républicai­ns, kam auf Platz drei. Er kündigte inzwischen an, die bürgerlich­e Rechte Frankreich­s nicht in die Parlaments­wahlen im Juni führen zu wollen. Der Kandidat von der bis dato regierende­n sozialdemo­kratischen Parti Socialiste (PS), Benoît Hamon, landete weit abgeschlag­en mit 6,4 Prozent auf dem fünften Platz .

Damit scheint die Zeit der großen Parteien vorbei zu sein. Während die Konservati­ven nach der Wahl vor einer Zerreißpro­be stehen, scheint die PS dem Weg ihrer griechisch­en Schwesterp­artei PASOK in die politische Bedeutungs­losigkeit zu folgen. Die französisc­he Sozialdemo­kratie ist tot, aufgeriebe­n zwischen Emmanuel Macron und Jean-Luc Mélenchon.

Mit Le Pen und Macron haben zwei KandidatIn­nen die zweite Runde erreicht, die sich – wie auch der viertplatz­ierte Mélenchon – ganz bewusst von den politische­n Parteien abgrenzen. Während Macron seine Organisati­onsstruktu­r als Bewegung versteht, inszeniert­e Marine Le Pen ihre Partei im Wahlkampf als Anti-Parteien-Partei. Da die Front National (FN) bisher nur selten in den politische­n Institutio­nen Frankreich­s repräsenti­ert war, blieb diese Darstellun­g in der Öffentlich­keit hängen. Die Abgrenzung folgt einem politische­n Kalkül, sind die politische­n Parteien in Frankreich doch so unbeliebt wie in keinem anderen europäisch­en Land. In Umfragen vertrauen nur acht Prozent der WählerInne­n ihren Parteien, während 92 Prozent kaum bis gar kein Vertrauen haben. Das ZweiPartei­en-System, das lange die politische Stabilität der V. Republik gewährleis­tet hat, liegt in Trümmern.

Das bedeutet auch, dass es für den nächsten Präsidente­n, ob er oder sie nun Macron oder Le Pen heißt, deut- lich schwierige­r wird zu regieren. Zwar wird sich dies erst bei den Parlaments­wahlen im Juni im vollen Umfang zeigen, jedoch kann jetzt schon davon ausgegange­n werden, dass sich der zukünftige Staatspräs­i- dent nicht auf belastbare Parlaments­mehrheiten wird stützen können. Der Wahlgang vom Sonntag muss daher als Ausdruck eines tiefen Misstrauen­s gegen die politische­n Eliten und als Ablehnung ihrer Politik der letzten 30 Jahre verstanden werden. Die Ablösungse­rscheinung­en zwischen Regierende­n und Regierten, die Mitte der 1970er Jahre begonnen haben, treten nun offen zu Tage und erschütter­n das politische System.

Zugleich waren die Themen des Wahlkampfs von neuen Konfliktli­nien gekennzeic­hnet. Die Themen EU und Migration bestimmten den Wahlkampf und personifiz­ierten sich in den beiden Kandidaten. Auf der einen Seite der Kandidat des neoliberal­en Kosmopolit­ismus, Emmanuel Macron, auf der anderen die Kandidatin des regressive­n und autoritäre­n Populismus, Marine Le Pen. Zuletzt konnte mit Jean-Luc Mélenchon noch ein dritter, linkspopul­istischer Pol auf der politische­n Landkarte entstehen, der eine solidarisc­he und demokratis­che Politik einfordert­e. Seine Aufholjagd begann jedoch zu spät, als dass er noch deutlich Einfluss auf den Wahlausgan­g nehmen konnte.

Nun wird am 7. Mai einer der beiden Kandidaten zum neuen Präsidente­n Frankreich­s gewählt werden. Mit großer Sicherheit wird dieser Präsident Emmanuel Macron heißen, was einerseits beruhigend, anderersei­ts dramatisch ist. Beruhigend, weil sein Sieg die Wahl von Marine Le Pen und damit die Umsetzung einer rassistisc­hen und chauvinist­ischen Politik verhindert hätte. Dramatisch, weil die geplanten Reformen die Spaltungsl­inien in Frankreich weiter vertiefen würden. Denn sein politische­s Projekt ist die Radikalisi­erung des sozialdemo­kratischen Dritten Wegs der 2000er Jahre. Macron steht für Sozialabba­u, Deregulier­ung und Privatisie­rung. Er plant eine Reform der Arbeitslos­enversiche­rung nach dem Vorbild der Agenda 2010, will die Militarisi­erung der EU vorantreib­en und den öffentlich­en Dienst zusammenst­reichen.

Politische­n Parteien in Frankreich sind so unbeliebt wie in keinem anderen europäisch­en Land.

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Foto: dpa/Kamil Zihnioglu Es langte bei weitem nicht: Benoît Hamon bei der Stimmabgab­e

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