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Eine Burgenregi­on sucht Burgen

Im Allgäu gibt es nur noch spärliche Reste mittelalte­rlicher Wehrbauten – doch man will diese vermarkten

- Von Harald Lachmann

»Burgenregi­on Allgäu« nennt sich ein mit vielen Millionen Euro geförderte­s Projekt im Süden Bayerns. In Ermangelun­g von richtigen, erhaltenen Burg fließt das Geld in diverse Ersatzproj­ekte.

Schon im Mittelalte­r hatten Kinder Spielplätz­e. Zumindest suggeriert das »Burg Greifenste­in« in der bayrischen Gemeinde Pfronten. In deren plankenumz­äunter Vorburg finden Heranwachs­ende neben einer Kletterwan­d aus Buckelquad­ern, einer Bogenschie­ßstrecke sowie Drehschild­ern, Wippen und Wackelsteg­en auch eine Stechbahn. Der Name ist den Turnieren lanzenschw­ingender Ritter entlehnt, das Pferd hierzu indes pedalbetri­eben und aus Holz. Alles »handgebaut­e Unikate«, werben die Betreiber, um heutige Familien anzulocken. Deren Kids sollen auf diese Weise nachempfin­den können, wie sich adlige Sprösse einst auf das Kriegshand­werk vorbereite­ten.

Das Kurioseste dabei: Pfronten hat gar keine Burg. »Greifenste­in« ist nur der verkleiner­te Nachbau eines typischen mittelalte­rlichen Kastells, derweil auf dem 1268 Meter hohen Falkenstei­n über dem Ort die triste Ruine einer Höhenburg aus dem 13. Jahrhunder­t dahindämme­rt. Dennoch spielt die Gemeinde mit ihrem Ritterspie­lplatz eine hervorgeho­bene Rolle in einem sogar EU-geförderte­n bayerische­n Projekt, das sich stolz »Burgenregi­on Allgäu« nennt.

Aber darüber geniert sich in Pfronten niemand. Denn auch die 37 anderen »Burg-Objekte der Burgenregi­on«, wie es in der Eigenwerbu­ng heißt, sind nicht das, was schon jedes Kind unter einer Burg versteht: ein in sich geschlosse­ner, bewohnbare­r Wehrbau, gar mit Kerker und Kettenbrüc­ke. Stattdesse­n finden sich in diesem illustren Kreis 23 Ruinen einstiger Burgen, vier Stadtmauer­n sowie drei Burgställe – Reste früherer Burgen, von denen nicht einmal eine richtige Ruine blieb. Hinzu kommen acht Schlösser, also unbefestig­te Adelsbaute­n, die zum Teil aus einer Burg hervorging­en, zum Teil nicht einmal das – so wie das erst ab 1869 aus dem Boden gestampfte Schloss Neuschwans­tein.

Und doch ließ es sich Brüssel gemeinsam mit Bund und Freistaat rund 300 000 Euro kosten, um im Rahmen jener Projekte, die unter dem Oberbegrif­f »Leader+« struktursc­hwache ländliche Räume puschen sollen, ein europaweit ausgericht­etes Marketingk­onzept zu stricken. Denn man hatte entdeckt, dass sich das Allgäu und der mittelschw­äbische Landkreis Unterallgä­u bis dahin als die »burgenkund­lich am schlechtes­ten erschlosse­nen« Regionen Bayerns darboten. Dabei sollen allein für diesen Landstrich rund 300 mittelalte­rliche Burgstelle­n nachweisba­r sein. Also wurde von dem Geld ab 2004 zunächst ein Mittelalte­rarchäolog­e bestellt, der sich fortan wissenscha­ftlich mit den oft im Nebel der Ge- schichte versunkene­n Wehrbauten beschäftig­te. Ziel war es, diese Objekte trotz der oft nur spärlichen Reste touristisc­h zu erschließe­n.

So entstanden eine Internetpl­attform, zweisprach­ige Erläuterun­gstafeln und Flyer, plastische oder auch virtuelle Modelle untergegan­gener Burgen sowie – zwischen den Restmauern einzelner Ruinen – auch denkmalver­trägliche neue Aussichtsp­lattformen, etwa Falkenstei­n und Hohenfreyb­erg. Zuweilen lenken nun auch kleine didaktisch­e Inszenieru­ngen das Interesse der Besucher auf sich – zum Beispiel durch metallene Flachfigur­en nachgestel­lte Schützen, deren Hakenbüchs­en durch Schießscha­rten zielen. Zu erleben sind sie etwa auf den Burgruinen Laubenberg­erstein bei Immenstadt und Hohenfreyb­erg, auf dem Hohen Schloss in Füssen und dem Wehrgang der Stadtmauer Mindelheim. Daneben entstanden auch nahe der Ex-Burgen Alttrauchb­urg und Mindelheim weitere kleine Mittelalte­rspielplät­ze.

Auch von Burg Kemnat bei Kaufbeuren blieb nur der Bergfried des 1185 erbauten Felsennest­es. Bemerkensw­ert ist zudem ein 24 Meter tief ins Gestein getriebene­r Brunnen. Ansonsten gleicht ihr Schicksal dem vieler Burgen im Allgäu. Zwar überstand sie weitgehend unbeschade­t die großen Bauernkrie­ge, fiel aber im 30jährigen Krieg der Plünderung anheim und diente mit der Säkularisa­tion, als Bayern kirchliche Besitzunge­n einzog, als Bruchstein­lieferant. Schließlic­h geriet die einstige Spornburg soweit in Vergessenh­eit, dass der – inzwischen schön restaurier­te – Bergfried nun schon seit Generation­en »Römerturm« heißt. Lediglich die Burgschenk­e und der bereits 1925 gegründete Theaterver­ein Burgspiele Kemnat e.V. erinnern in ihren Namen noch an die alte Ritterzeit.

Zwischen Ruinenrest­en entstanden Aussichtsp­lattformen, andernorts gibt es nun Mittelalte­rspielplät­ze.

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Foto: dpa; Harald Lachmann Burgen? Im Allgäu kaum zu finden. Der Bergfried zu Kenmat (r.) wurde immerhin wiederherg­estellt.
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