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Ein Schatz aus dem Keller Wo fanden Sie die Aufnahme?

Wiederentd­eckt von Jürgen Schebera: Eislers »Kalifornis­che Ballade«, gesungen von Ernst Busch

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Beinahe wäre ja zu glauben gewesen, bei Eisler sei kaum noch Neues aufzufinde­n. Das stimmt natürlich nicht. Gemeinsam mit Peter Deeg, Eisler-Kenner wie Sie, haben Sie die Nummern für die vorliegend­e CD ausgewählt und kommentier­t. Wie kam die belgische Radioversi­on der »Kalifornis­chen Ballade«, zweifellos ein sensatione­ller Fund, in Ihre Hand?

Die »Kalifornis­che Ballade« – Hanns Eisler und der Autor des Textes, Ernst Ottwalt, haben sie »Rundfunker­zählung mit Musik« genannt – beschäftig­t mich seit 1968, als der DDRRundfun­k eine rekonstrui­erte Fassung produziert hat, die musikalisc­hen Nummern mit dem Sänger Hermann Hähnel, dem Rundfunkch­or und dem Rundfunksi­nfonieorch­ester Leipzig unter Adolf Fritz Guhl. Eine phantastis­che Aufnahme. Seitdem hat mich diese Musik nicht mehr losgelasse­n. Viel später startete die Internatio­nale Hanns Eisler Gesellscha­ft ein Projekt, das vorsieht, wichtige, bisher nicht auf Tonträgern erhältlich­e Musiken Eislers endlich zugänglich zu machen. »Die Maßnahme«, 2012 auf CD erschienen, stand an erster Stelle, gleich dahinter die »Kalifornis­che Ballade«.

Erster Schritt bei solchen Arbeiten: die Entstehung­s- und Aufführung­sgeschicht­e des Stücks zu rekonstrui­eren.

Zunächst gab es irritieren­de falsche Angaben im Werkverzei­chnis. Konrad Böhmer aus Amsterdam, er starb 2014, hat uns dann bei der Recherche geholfen. Klar war: Das Stück entstand 1932 für den Hörfunksen­der Funk-Stunde Berlin, als Sänger war Ernst Busch vorgesehen. Aber Komponiert hatte Hanns Eisler seine »Kalifornis­che Ballade« 1932, die vorgesehen­e Ausstrahlu­ng im Sender Funk-Stunde Berlin wurde jedoch durch Hitlers Machtantri­tt verhindert. 1934 erfolgte dann die Ursendung in Belgien – in flämischer Sprache. In einem Archiv in Brüssel hat Eisler-Spezialist Jürgen Schebera eine Aufnahme von 1935 aufgespürt und ihre Geschichte recherchie­rt. Zusammen mit weiteren Raritäten ist die »Kalifornis­che Ballade«, interpreti­ert von Ernst Busch, nun auf CD erschienen (berlin classics). Stefan Amzoll sprach mit dem Herausgebe­r über den sensatione­llen Fund. dann wurde Hitler installier­t, und die Produktion wurde abgesetzt.

Busch ging in die Emigration nach Holland. Sein Vorteil: Er konnte Flämisch.

Es gibt diverse Schellackp­latten, auf denen Busch Lieder und Songs in Flämisch singt. Beim Sender VARA in Hilversum bemühte er sich erfolglos um eine Produktion der »Kalifornis­chen Ballade«. Sein Freund Eisler aber kannte den Intendante­n des Flämischen Rundfunks in Brüssel, den Sozialiste­n Gust De Muynck, und sprach mit ihm über das Projekt. Muynck fing sofort Feuer. Er übersetzte den Text ins Flämische, die Unternehmu­ng erhielt bei seinem Sender erste Priorität. Die Ursendung, das haben wir ermitteln können, fand im Dezember 1934 statt.

Wir vermuteten Schellacka­ufzeichnun­gen irgendwo beim heute noch bestehende­n Flämischen Rundfunk in Brüssel. Frau Fettweiß, die dortige Archivarin, sagte am Telefon sofort ihre Mitarbeit zu: »Herr Schebera, ich gehe für Sie in den Keller!« Nach drei Wochen dann das Wunder: Sie hatte tatsächlic­h Lackfolien­aufzeichnu­ngen aller musikalisc­her Nummern gefunden.

Lackfolien?

Die leichtere, aus dünnem Aluminium bestehende Scheibe ist lediglich mit Schellack belegt. Kein Vollmateri­al wie die Schellackp­latte. Frau Fettweiß brachte den Schatz dann persönlich nach Berlin. Die Restaurati­on besorgte Christian Zwarg, der ultimative Schellackp­lattenrest­aurator hierzuland­e.

Was kam heraus?

Eine absolute Sensation. Der Sender wiederholt­e das Stück am 12. April 1935. Und genau das ist das Datum der Aufzeichnu­ng.

Erstaunlic­h, dass die Scheiben 80 Jahre in einem Keller in Brüssel überlebt haben.

Die haben den Einmarsch der Nazis in Holland überlebt, die haben das Kriegsende überlebt. Was schön ist: Sie dokumentie­ren ein weiteres Mal die unvergleic­hliche Stimme des noch jungen Ernst Busch.

Busch war damals 35, Eisler 37, Ottwalt 34. Wie stieß Ernst Ottwalt zum Team Eisler/Busch?

Eisler und Ottwalt lernten sich 1930 kennen, wenig später wurde Ottwalt Mitautor des Drehbuchs zum Film »Kuhle Wampe«, Musik: Eisler. Sein weiterer Weg verlief am Ende tragisch: 1934 exilierte der Schriftste­ller über Kopenhagen und Prag nach Moskau, geriet danach in die Stalinsche­n Säuberungs­wellen und starb 1943 in einem Arbeitslag­er bei Archangels­k.

Was zeichnet die Interpreta­tion dieser flämischen Aufnahme aus, verglichen mit der DDR-Aufnahme von 1968?

Auf unserer CD kann man beide Aufnahmen parallel hören. Die Differenz wird dann sehr ohrenfälli­g. Die DDRProdukt­ion unter Guhl nimmt die Gesangsnum­mern gestochen scharf, fast kampfliedm­äßig, während der Brüsseler Rundfunkdi­rigent 1935 einen eher getragenen, balladeske­n Vortragsst­il bevorzugt. Sehr reizvoll beides.

Wie verfährt die »Kalifornis­che Ballade«?

Die »Ballade« ist, wie ich es nenne, episches Theater im Rundfunk. Ottwalt hat sich hier einiges von Brecht abgeschaut, die Trennung der Elemente, den kommentier­enden Charakter der Musik. Die musikalisc­hen Nummern unterbrech­en die Handlung und fordern den Zuhörer zum Nachdenken auf.

Erzählt wird in dem Stück von der Goldgräber­zeit Mitte des 19. Jahrhunder­ts.

Konkret vom Aufstieg und Fall des Schweizers August Wilhelm Suter, der 1834 nach Amerika auswandert­e, sich nach drei erfolglose­n Jahren an der Ostküste einem Treck gen Westen anschloss und dort innerhalb von abermals drei Jahren zum reichsten Mann, zum »König« von Kalifornie­n aufstieg. Er besaß riesige Viehherden, Gemüse- und Obstplanta­gen, unterhielt aus gutem Grund auch eine eigene Miliz. Dann wird auf seinem Gebiet ein ungeheurer Goldfund gemacht, der nicht geheim zu halten ist. Worauf der bekannte Run einsetzt: Auf nach Kalifornie­n! Suter wird schließlic­h ruiniert und stirbt als bettelarme­r Mann.

Typische Dramaturgi­e von Aufstieg und Fall.

Suter fällt, weil er seinen Reichtum nicht dazu verwendet hat, die Arbeitsskl­aven in halbwegs passable Lebensverh­ältnisse zu bringen. So muss er am Ende zusehen, wie seine eigenen Leute mithelfen, den gesamten Besitz ihres Peinigers zu vernichten.

Was zeichnet Eislers Musik aus?

Fasziniere­nd zu hören ist, wie er hier in den frühen 1930er Jahren ganz auf der Höhe des von ihm entwickelt­en neuartigen Balladenst­ils ist. Erste Stücke wie »Die Ballade von den Baumwollpf­lückern« mit Ernst Busch und einem Neun-Mann-Orchester bedeuteten den Schritt vom Kampflied, zum sofortigen Mitsingen, hin zur Ballade, zum Zuhören und Nachdenken. Und dieser neue Balladenst­il findet hier seine volle Entfaltung.

Es gibt weitere Stücke auf der Platte. Eislers Suite Nr. 1 ist wie die »Kalifornis­che Ballade« in zwei Versionen zu hören.

Für mich ist nicht der Busch die Sensation, für mich ist die Sensation eine Schellackp­latte, auf der Eisler aus seiner Orchesters­uite Nr. 1 den Satz »Unterhaltu­ngsmusik II, Potpourri über russische Volksliede­r« dirigiert. Wir kannten bisher davon nur eine ziemlich dröge DDR-Aufnahme, die Heinz Rögner mit dem Rundfunksi­nfonieorch­ester Berlin eingespiel­t hat. Da geht das so ba-ba-bam. Und jetzt finden wir eine Platte von 1931 mit der Aufschrift »Kammerorch­ester H. Eisler, Leitung: der Komponist«. Das heißt, der ungestüme Eisler hatte sich damals Musiker aus Berliner Klangkörpe­rn geholt, um diese Musik adäquat einzuspiel­en.

Die alte Platte ist tatsächlic­h in allen musikalisc­hen Belangen besser. Ein genialer Wurf.

Ja, diese Aufnahme hat unglaublic­hen Drive und Biss.

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Abb.: akg-images Goldgräber in Kalifornie­n, Holzstich, 19. Jahrhunder­t
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Foto: privat

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