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Nicht in den Himmel wachsen

Der Ökonom Alberto Acosta stellt das indigene Modell des »Guten Lebens« vor

- Von Tim Zülch Termine: www.grupo-sal.de/termin/ www.fairbindun­g.org/buenvivir/

Seit Jahrhunder­ten lebten indigene Gruppen auf der philosophi­schen Grundlage des zyklischen Denkens: »Gutes Leben«. Der Wachstumsk­ritiker Acosta stellt es nun auf seiner Rundreise vor.

Wie kommen wir zu einem anderen Verständni­s von gutem Leben – jenseits des wirtschaft­lichen Wachstums? Das Konzept des »Buen Vivir« versucht dieser Frage zu antworten.

Die Idee ist nicht neu: Grenzen des Wachstums, Degrowth oder Postwachst­um – Es gibt viele Ansätze, um Alternativ­en zur dauernden Steigerung der Wirtschaft­sleistung und zur übermäßige­n Ausbeutung der natürliche­n Ressourcen zu beschreibe­n. Neue Inspiratio­nen kamen in den letzten Jahren auch aus Lateinamer­ika.

In Ecuador ist die indigene Bewegung recht einflussre­ich. In der Vergangenh­eit sorgte sie immer wieder dafür, dass das Land durch Generalstr­eiks lahmgelegt wurde oder Präsidente­n abtreten mussten. Indigene Gruppen Ecuadors verteidige­n seit Jahrzehnte­n den Regenwald gegen Erzabbau und Ölförderun­gen, betrieben durch ecuadorian­ische Regierunge­n und internatio­nale Konzerne.

Alberto Acosta ist prominente­r lateinamer­ikanischer Verfechter des Lebensentw­urfes namens Buen Vivir – auf Quechua: Sumak Kawsay. Der Wirtschaft­swissensch­aftler und einstige Energiemin­ister Ecuadors versucht in Vorträgen und Texten traditione­lles andines Denken mit Ergebnisse­n westlicher sozialer Kämpfe zu verbinden.

Alberto Acosta studierte in Köln und in Quito. 2007 war er als Vorsitzend­er der verfassung­sgebenden Versammlun­g Ecuadors maßgeblich an der Erarbeitun­g einer neuen Verfassung beteiligt, die für das Land ein neues Entwicklun­gsmodell auf der Grundlage sowohl traditione­ll-indigener Prinzipien als auch westlichmo­derner Elemente – Menschenre­chte, Gleichstel­lung der Geschlecht­er – festschrie­b.

Das Konzept des Buen Vivir ist nicht neu, so Acosta. Seit Jahrhunder­ten lebten indigene Gemeinscha­ften nach diesem Prinzip, dessen phi- losophisch­e Grundlagen ein gemeinscha­ftliches und zyklisches Denken darstellen. Acosta betont in einem Video des Filmemache­rs Marc Menningman­n: »Das Konzept gibt die Möglichkei­t, uns eine andere Welt vorzustell­en«. Dort beschreibt er auch demokratis­che Prozesse in indigenen Gemeinscha­ften: »Sie treffen ihre Entscheidu­ngen im Konsens. Es dauert lange, bis dieser gefunden wird, aber die Entscheidu­ngen sind auch sehr dauerhaft«. Das Funktionie­ren der indigenen Gemeinwirt­schaft erläutert Acosta auch am Beispiel eines Schulbaus.

Das zyklische Denken des Sumak Kawsay orientiert sich stark an den Kreisläufe­n des Lebens und der Natur und steht damit im Gegensatz zum kapitalist­ischen Prinzip eines immerwähre­nd exponentie­ll steigenden wirtschaft­lichen Wachstums.

Auf einer Tour durch acht deutsche Städte stellt Acosta nun seine aktuellen Erkenntnis­se zur möglichen Umsetzung der wohlklinge­nden Philosophi­e vor, zu der er bereits 2015 ein Buch veröffentl­icht hatte. Begleitet wird er dabei von der Musikgrupp­e Grupo Sal. Die Tour startete am Dienstagab­end mit einer Konzert-Lesung in Berlin und führt dann weiter unter anderem nach Bremen, Köln und Hamburg.

In Berlin ist der Auftritt Acostas eingebette­t in eine Woche des »Buen Vivir« mit einer Vielzahl von Veran- staltungen. Am Mittwochab­end organisier­t die Agentur für Angewandte Utopien (Impuls) beispielsw­eise einen Übungsaben­d für »Buen Vivir«. Darin wolle man, so die Ankündigun­g, erkunden, »was gutes Zusammenle­ben im Alltag bedeutet« und wie ein »Zusammenha­ng zwischen der inneren Entwicklun­g des Menschen und der äußeren systemisch­en« zusammenge­dacht werden könne.

Dass die Umsetzung innovative­r Ideen nicht einfach ist, musste Acosta am eigenen Leib erleben, als er als Energiemin­ister Ecuadors im Jahre 2007 die Yasuni-ITT Initiative startete. Ecuador hatte der internatio­nalen Gemeinscha­ft angeboten, für immer auf die Ausbeutung seiner Erdölresso­urcen im Nationalpa­rk Yasuni zu verzichten. Aber nur dann, wenn die internatio­nale Gemeinscha­ft solidarisc­h die Hälfte des erwarteten ecuadorian­ischen Ertragsaus­falles aufbrächte. Die Initiative scheiterte – die Weltgemein­schaft überwies lediglich einen Bruchteil der geforderte­n Summe an einen UNO-Fonds. Präsident Correra kündigte die Initiative schließlic­h 2013 auf und veranlasst­e die weitere wirtschaft­liche Erkundung der Erdölförde­rungen im Yasuni-Nationalpa­rk.

Das zyklische Denken des Sumak Kawsay orientiert sich stark an Naturkreis­läufen und steht dem kapitalist­ischen Prinzip des immerwähre­nden Wachstums entgegen.

 ?? Foto: AFP/Pablo Cozzaglio ?? Indigene in Ecuador leben seit langem das alternativ­e Wirtschaft­smodell »Buen Vivir«. Hier beim Protest gegen die Wasserpriv­atisierung 2010.
Foto: AFP/Pablo Cozzaglio Indigene in Ecuador leben seit langem das alternativ­e Wirtschaft­smodell »Buen Vivir«. Hier beim Protest gegen die Wasserpriv­atisierung 2010.

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