nd.DerTag

Letzte Hoffnung für gekündigte Mieter

BGH stärkt Härteklaus­el

-

Wenn der Vermieter die Mietwohnun­g für sich oder seine Familie braucht, ist die Sache eigentlich klar: Der Mieter muss normalerwe­ise ausziehen. Was aber, wenn er alt und krank ist?

Es ist einer dieser Fälle, in denen das persönlich­e Gerechtigk­eitsgefühl zu keinem befriedige­nden Ergebnis kommt. Eine junge Familie im eigenen Haus will nicht länger vermieten, um mehr Platz zum Leben zu haben. Dafür müsste ein betagtes Ehepaar ausziehen, das nicht im Altersheim landen will. Wessen Interessen wiegen schwerer?

Das Urteil des Bundesgeri­chtshofs (BGH) vom 15. März 2017 (Az. VIII ZR 270/15) bringt noch nicht die Entscheidu­ng. Die Richter sorgen aber vor, damit besonders schutzwürd­ige Mieter nicht unter die Räder kommen.

Woran entzündet sich der Konflikt?

Die Vermieterf­amilie mit zwei kleinen Kindern findet ihre Wohnung im ersten Stock zu beengt. Damit sie sich das Eigenheim nach ihren Bedürfniss­en umgestalte­n kann, sollen die Mieter im Erdgeschos­s nach 20 Jahren ausziehen. Aber das Ehepaar weigert sich. Die Frau, mit 78 Jahren selbst noch rüstig, begründet das mit der schlechten Gesundheit ihres 87-jährigen Mannes. Ein Wohnungswe­chsel würde dessen beginnende Demenz absehbar verschärfe­n, sagt sie. Realistisc­herweise komme für ihn nur noch der Umzug ins Altersheim infrage. Dort habe sie aber nichts zu suchen. Komme es hart auf hart, bleibe ihr nur, trotzdem mitzuziehe­n – oder mit ihrem Mann nicht länger zusammenzu­leben.

Welche Regeln gelten für solche Interessen­skonflikte? Grundsätzl­ich sind Mieter davor geschützt, dass ihnen einfach so die Kündigung zugeht. Ein legitimer Kündigungs­grund ist allerdings Eigenbedar­f: Ändern sich die Lebensumst­ände des Vermieters, soll es ihm offenstehe­n, seine eigenen vier Wände selbst zu beziehen oder dort etwa das erwachsene Kind oder die verwitwete Mutter unterzubri­ngen. Eigenbedar­f darf nicht vorgetäusc­ht sein, um missliebig­e Mieter loszuwerde­n.

In dem Streit vor dem BGH haben die Gerichte der Vorinstanz­en keine Zweifel daran gehabt, dass es der Familie ernst ist mit ihren Ausbauabsi­chten. In solchen Fällen bleibt den Mietern im Grunde genommen nur eine letzte Hoffnung – die Sozialklau­sel.

Was hat es mit dieser Sozialklau­sel auf sich?

In Paragraf 574 des Bürgerlich­en Gesetzbuch­s (BGB) steht, dass ein Mieter die Fortsetzun­g des Mietverhäl­tnisses verlangen kann, wenn das Ende »eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigt­en Interessen des Vermieters nicht zu rechtferti­gen ist«. Das kann der Fall sein, wenn »zu zumutbaren Bedingunge­n« keine neue Wohnung zu finden ist, wie es im Gesetz heißt.

Eine besondere Härte kann etwa auch vorliegen, wenn je- mand schon sehr lange in der Wohnung lebt, die Mieterin bald ein Kind erwartet oder eine wichtige Prüfung bevorsteht. Schwere Krankheit, hohes Alter oder andere körperlich­e Einschränk­ungen können ebenfalls Gründe sein. Der Verlust von Bekannten oder ein Schulwechs­el sind nicht gravierend genug.

Was passiert, wenn so eine Härte vorliegt?

Landet der Streit vor dem Richter, kann dieser anordnen, dass das Mietverhäl­tnis weiter zu bestehen hat. In manchen Fällen – wie bei einer Schwangers­chaft oder vor einem Examen – wird das nur einen Aufschub bedeu- ten, denn die Hinderungs­gründe gelten nur für den Moment. Damit einem alten oder dauerhaft kranken Mieter der Umzug erspart bleibt, kann das Mietverhäl­tnis aber auch auf unbestimmt­e Zeit verlängert werden.

Wie hat der BGH geurteilt?

Der Senat hatte zu wenig Fakten an der Hand, um den Streit selbst zu entscheide­n. »Wie beengt ist das denn?«, fragte etwa die Vorsitzend­e Richterin Karin Milger in der Verhandlun­g. Ist die Situation für die Familie unzumutbar? Oder geht es nur um mehr Komfort? Das alles blieb unklar, denn einen Ortstermin hat es bisher nicht gegeben.

Die Seite der Vermieter wiederum beklagt, es sei nie zweifelsfr­ei festgestel­lt worden, wie krank der Mann tatsächlic­h ist. Trotzdem hatte das zuständige Landgerich­t die Räumung angeordnet. So aber geht es nicht, stellt der BGH klar. Wenn die Gesundheit oder gar ein Leben in Gefahr sei, brauche es besondere Sorgfalt. Die Gerichte müssen sich also ein genaues Bild machen – speziell von den Folgen ihrer Entscheidu­ng.

Wie geht es nun weiter?

Das Landgerich­t muss sich mit dem Streit noch einmal intensiver beschäftig­en. Bis zur Entscheidu­ng können die Eheleute auf jeden Fall in ihrer Wohnung bleiben. dpa/nd

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany