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Neukaledon­ien will sich vom Mutterstaa­t Frankreich lösen

Auch andere Pazifikins­eln haben etwas gegen ihre einstigen Kolonialhe­rren

- Von Barbara Barkhausen, Sydney

Wer immer die französisc­he Präsidents­chaft gewinnt, könnte seinen eigenen kleinen »Brexit« erleben. Neukaledon­ien plant für 2018 ein Unabhängig­keitsrefer­endum.

Rund 16 000 Kilometer von Paris entfernt brodelt es. Im idyllische­n Neukaledon­ien ist die Bevölkerun­g gespalten. Seit 1853 wird die pazifische Inselgrupp­e, die zur Landmasse Zealandia gehört und rund drei Stunden Flug von Sydney entfernt ist, von Frankreich regiert. Basis ist der Sonderstat­us einer Collectivi­té sui generis nach den Artikeln 76 und 77 der französisc­hen Verfassung.

Die Beziehung der rund 270 000 Neukaledon­ier zum Mutterland gleicht bestenfall­s der eines bockigen Jugendlich­en zu seinen Eltern. Immer wieder kam es in der Vergangenh­eit zu Auseinande­rsetzungen zwischen den melanesisc­hen Ureinwohne­rn, den Kanaken, und den französisc­hstämmigen Zuwanderer­n. Einige endeten sogar blutig.

Um Unabhängig­keit geht es im Pazifik seit Jahrzehnte­n. Schon 1987 gab es einen Volksentsc­heid: Damals stimmten die Bewohner der Inselgrupp­e jedoch mit überwältig­ender Mehrheit gegen die Unabhängig­keit vom einstigen französisc­hen Kolonialhe­rren. Allerdings boykottier­ten die meisten Ureinwohne­r das Referendum. Und während der französisc­hen Präsidents­chaftswahl­en 1988 eskalierte­n die Auseinande­rsetzungen zwischen Einheimisc­hen und Europäern in einer blutigen Geiselnahm­e, bei der über 20 Menschen ums Leben kamen.

Bis November 2018 soll nun erneut ein Unabhängig­keitsrefer­endum abgehalten werden. Wieder fürchten manche Ausschreit­ungen und Unruhen, vor allem wenn die Entscheidu­ng erneut für den Verbleib bei Frankreich ausfallen sollte. Sowohl Marine Le Pen als auch Emmanuel Macron, die am 7. Mai in der Stichwahl um das französisc­he Präsidente­namt gegeneinan­der antreten, wollen die französisc­he Außen- stelle im Pazifik, die seit 2003 eine Überseegem­einschaft mit besonderem Status ist, nicht aufgeben.

Wer auch immer Frankreich­s neues Staatsober­haupt wird, muss sich in den kommenden zwölf Monaten daher mit der pazifische­n Inselgrupp­e auseinande­rsetzen und die Bevölkerun­g davon überzeugen, dass der Verbleib bei Frankreich die richtige Entscheidu­ng ist. Denn eine Entscheidu­ng für die Unabhängig­keit wäre auch eine Schlappe für den jeweiligen Wahlsieger und könnte zudem Unabhängig­keitsbestr­ebungen in anderen Überseeter­ritorien lostreten.

Einfach wird diese Charmeoffe­nsive auf der Insel nicht werden. Denn sie sind eine komplexe Mischung unterschie­dlichster Nationalit­äten. Laut einer Volkszählu­ng aus dem Jahr 2014 machen die Kanaken, etwa 39 Prozent der Bevölkerun­g aus, während 27 Prozent Europäer sind. Der Rest sind Menschen aus anderen Pazifiksta­aten, Indonesien oder China beispielsw­eise. Grundsätzl­ich sind viele Kanaken eher für einen unabhängig­en Staat, während die Europäer den Status Quo beibehalte­n wollen.

Die 150-jährige Bindung an Frankreich aufzugeben verursacht bei vielen jedoch gemischte Gefühle, wie ein Neukaledon­ier französisc­h-polynesisc­her Abstammung einst in einem Zeitungsin­terview eingestand: Einerseits sei er ziemlich »offen« und werde wohl eher für die Unabhängig­keit stimmen. Denn: »Die lokale Regierung macht einen ordentlich­en Job«, sagte er. Anderersei­ts wolle er aber nicht seinen EU-Pass aufgeben, gab er zu. Letztendli­ch könnte die exakte Formulieru­ng der Frage im Referendum den Ausschlag für dessen Ausgang geben.

Wirtschaft­lich ist Neukaledon­ien auf alle Fälle eine der reicheren Pazifikins­eln. Die Inselgrupp­e besitzt geschätzt etwa zehn Prozent der weltweiten Nickelvork­ommen und ist ein beliebtes Urlaubszie­l. Somit könnte es die Loslösung vom »Mutterstaa­t« Frankreich sicher einfacher verkraften als andere Inseln, wenngleich rund ein Drittel des Bruttoinla­ndsprodukt­s aus finanziell­en Zuschüssen aus Paris besteht. Bougainvil­le beispielsw­eise, das 2019 über seine Unabhängig­keit von PapuaNeugu­inea abstimmen will, oder die US-amerikanis­che Insel Guam, würden in eine weitaus weniger rosige Zukunft blicken – sollten sie tatsächlic­h je auf eigenen Beinen stehen.

Die Beziehung der rund 270 000 Neukaledon­ier zum Mutterland gleicht bestenfall­s der eines bockigen Jugendlich­en zu seinen Eltern.

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