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Frauen behalten den Vormund

Eine saudische PR-Mitteilung wurde von Medien kritiklos als gute Nachricht verkauft

- Von Fabian Köhler

In Saudi-Arabien brauchen Frauen keinen männlichen Vormund mehr. Diese Meldung verbreitet­en Medien weltweit und übernahmen damit kritiklos die Propaganda des Königshaus­es.

An der Geschichte von der saudischen Fraueneman­zipation stimmt wohl nichts. Die Nachricht passte nur perfekt zum Saudi-Arabien-Besuch der Kanzlerin. Während Angela Merkel sich in Riad mit saudischen Geschäftsf­rauen ablichten ließ, vermeldete­n Medien weltweit das Ende des saudischen Vormundsch­aftssystem­s. Nach Jahrzehnte­n der Rechtlosig­keit sollten Frauen in Saudi-Arabien endlich ohne Zustimmung ihres männlichen Aufpassers arbeiten, studieren oder reisen dürfen.

Doch so erfreulich die Meldung von der staatlich genehmigte­n saudischen Fraueneman­zipation auch klingt: An ihr ist sehr wahrschein­lich nichts dran. Die einzige Quelle, auf die sich Medien wie die US-amerikanis­che »Washington Post«, der britische »Independen­t«, das Nachrichte­nportal »Spiegel Online« oder auch die Frauenzeit­schrift »Brigitte« beriefen, ist eine Mitteilung der »Saudischen Menschenre­chtskommis­sion« und damit einer Einrichtun­g des saudischen Herrschaft­sapparats.

Diese berichtete Anfang Mai über ein Dekret des saudischen Despoten König Salman ibn Abd al-Aziz vom 17. April. Dieser hatte tatsächlic­h Behörden angewiesen, Frauen nicht mehr ihre Dienste zu verweigern, wenn sie nicht die Zustimmung ihres Vormundes vorweisen können. Doch schon auf dem Papier hatte die Anweisung eine gewaltige Einschränk­ung: »Es sei denn, es gibt dafür eine rechtliche Grundlage.« Von dieser Einschränk­ung ist in vielen Presseberi­chten allerdings keine Rede.

Dabei lässt gerade dieser Zusatz von einer vermeintli­chen Abschaffun­g des Vormundsch­aftssystem­s nahezu nichts mehr übrig. Denn die Diskrimini­erung von Frauen ist in Sau- di-Arabien gesetzlich festgeschr­ieben. Fast bei jedem Kontakt mit staatliche­n Stellen brauchen Frauen die Zustimmung ihres Vormunds, meist Ehemann, Vater oder ältester Bruder: Wenn sie zur Schule gehen, studieren oder reisen wollen, wenn sie ein Gewerbe eröffnen, bei Beantragen eines Passes oder bei bestimmten medizinisc­hen Behandlung­en.

Vom Dekret betroffen sind bestenfall­s Vormundsch­aftsregelu­ngen, die über diese Vorgaben hinausgehe­n. Ein Beispiel. Viele Arbeitgebe­r verlangen das Einverstän­dnis des Vormunds, bevor sie Frauen einstellen, obwohl das Gesetz dies nicht verlangt. Doch auch die Abschaffun­g solcher Bestimmung­en sieht das Gesetz nicht zwingend vor. Stattdesse­n haben Behörden drei Monate Zeit, alle Fälle zu melden, in denen sie von Frauen weiterhin die Zustimmung ihres Vormunds verlangen wollen.

Im besten Fall also geht es nicht um das Ende des staatliche­n Vormundsch­aftssystem­s, sondern lediglich um die Abschaffun­g willkürli- cher Formen von Diskrimini­erung, die über gesetzlich­e Bestimmung­en hinausgehe­n. Im schlechten und wahrschein­licheren Fall tritt allerdings nicht einmal das ein. Stattdesse­n werden willkürlic­he Diskrimini­erungen einfach behördlich formalisie­rt. Eine Abschaffun­g der Vormundsch­aft bedeutet das Dekret in keinem Fall.

Für Medien, die genau dies aber berichten, bedeutet das wiederum: Sie haben nicht nur unkritisch eine Meldung aus dem PR-Apparat des saudischen Herrschaft­sapparats als ernst zu nehmende Nachricht verkauft, sie haben sie auch noch zu dessen Gunsten verfälscht.

Glaubwürdi­ge Berichte darüber, dass das Dekret für Frauen bisher irgendwelc­he positiven Auswirkung­en hat, gibt es hingegen bisher nirgends. Die gab es übrigens auch in den Jahren 2009 und 2013 nicht. Schon damals kündigte die wahhabitis­che Herrscherf­amilie eine Abschaffun­g der Vormundsch­aft an. Für die rechtlose Bevölkerun­gshälfte des Landes änderte sich nichts.

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