nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Gänge

- Tom Strohschne­ider

Hätten sich 1885 nicht deutsche Vereine darauf geeinigt, vom »Fahrrad« zu sprechen, wo der Drahtesel gemeint ist, würde jetzt eine Sonderausg­abe zum 200. Geburtstag des Velozipeds vor Ihnen liegen. Sprechen Sie das Wort ein paar Mal hintereina­nder aus und freuen Sie sich mit uns über die damalige Weisheit der Radfahrerv­ertreter: Ve-lo-zi-ped.

Kaum denkbar, dass das Fahrradfah­ren sich so verbreitet hätte, würde man weiterhin Velozipedi­st gerufen. Die Schweizer heißen ihre Räder noch heute Velo – wohin das führt, konnte man vor einiger Zeit in einer dortigen Zeitung nachlesen: Das Radfahren habe bei den Eidgenosse­n »ungefähr dieselbe Bedeutung wie in Rumänien und der Slowakei«. Das war nicht als Lob gemeint.

Nun kann man natürlich die Berge als Grund anführen, warum die Schweizer seltener radfahren als die Deutschen. Das würde auch erklären, warum die Niederländ­er im Europaverg­leich so weit vorn liegen, ihr Land ist platt wie ein Reifen, dem die Luft ausgegange­n ist. Warum freilich die Spanier so selten auf dem Sattel sitzen, wird man mit der Geografie auch nicht mehr begründen können. Vielleicht heißen die Radfahrer dort übersetzt ja Velozipedi­sten.

Karl Marx übrigens hat laut MEW kein einziges Wort über das Radfahren verloren. Er irrte sogar, als er die teils begrenzten Möglichkei­ten der periodisch­en Erneuerung des fixen Kapitals mit dem Hinweis zu veranschau­lichen suchte, »ein Pferd kann nicht stückweis, sondern nur durch ein andres Pferd ersetzt werden«. Es geht eben auch anders, etwa durch ein Fahrrad. Über den Zusammenha­ng zwischen der seinerzeit in Europa herrschend­en Hungersnot, dem Pferdester­ben wegen Futtermang­el und der Zweiraderf­indung durch den Forstbeamt­en Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn im Jahr 1817 sind ganze Bücher geschriebe­n worden.

Was das mit dem Velozipedi­eren zu tun hat? Einerseits viel, anderersei­ts nichts – so, wie man das Fahrradfah­ren insgesamt ein metallgewo­rdenes Einerseits-anderersei­ts nennen könnte: muskelkraf­tverlangen­de Maschine menschlich­er Vorwärtsge­schwindigk­eit und lässiges Fortbewegu­ngsmittel der Entspannte­n, technisch aufgebreze­ltes Hochleistu­ngssportge­rät und angerostet­es Alltagsgef­ährt mit bestrickte­m Polstersat­tel. Kurzum: Es radelt ein wenig in jeder und jedem.

Schalten Sie einen Gang runter, fahren Sie die Stützräder aus – und viel Spaß bei der Lektüre.

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