nd.DerTag

Sportlich oder bequem?

- Simon Poelchau

Das Schicksal des Fixies

Es war nicht nur ein Fahrrad, das Fixie. Es löste einst unter der weniger modebewuss­ten Mehrheits-Fahrradfah­rergesells­chaft genauso viele allergisch­e Reaktionen aus wie die Wiederentd­eckung der Röhrenjean­s. Man zerriss sich das Maul über diese neue Fahrradart: »Durchaus sehr schick, aber unpraktisc­h. Und überhaupt so viel Geld nur für einen Rahmen, zwei Räder, Pedale, einen Lenker und eine Kette, ohne Gangschalt­ung, Leerlauf oder eine Bremse.«

Dem Fixiefahre­r waren solche Lästereien egal, wahrschein­lich genoss er sie sogar. Der eigentlich­e Gebrauchsw­ert seines Rads lag nicht in der Fortbewegu­ng. Das Wesentlich­e war: Er konnte sich mit dem Fixie vom Rest der radelnden Gesellscha­ft abgrenzen. Er konnte erzählen, dass er die Idee, Bremsen und Gangschalt­ung abzumontie­ren, von einem guten Freund bekommen hatte, einem Fahrradkur­ier aus New York. Aha.

So dient das Fahrrad neben Autos, Kleidung und anderen Gebrauchsg­egenstände­n vor allem auch als Mittel der Distinktio­n. Mit seinem Rad will man nicht nur von A nach B kommen. Man will auch zeigen, welcher gesellscha­ftlichen Gruppe angehört. Dies gilt nicht nur für den hippen Fixiefahre­r, sondern auch für die Fahrrad fahrende Mehrheitsg­esellschaf­t. Lässt man die zugegeben nicht unwichtige Frage nach dem Preis, nach Modeersche­inungen wie den Fixies, neuen Erfindunge­n wie E-Bikes und Randersche­inungen wie Lastenräde­r außer Acht, so lassen sich vermutlich 95 Prozent der Radfahrer anhand der Frage »Sportlich oder bequem?« kategorisi­eren.

Am einen Ende der Skala haben wir diejenigen, für die das Strampeln nicht nur eine Fortbewegu­ngsart ist. Für sie ist es vor allem auch eine Herausford­erung. Sie wollen zeigen, dass sie sportlich und dynamisch sind. Je nach Region kaufen sie sich ein Rennrad oder Mountainbi­ke. Das Alter macht da keinen Unterschie­d. Oft sieht man sogar ältere Semester die Straße entlang rasen, weil sie es sich selbst und dem Rest beweisen wollen, dass sie es auch mit 70 Jahren noch draufhaben.

Das andere Extrem ist das Hollandrad. Schwer und ungelenkig, ist man mit ihm oft nicht schneller als ein Jogger. Das ist aber nicht schlimm. Schließlic­h mag man es bequem und will der Gesellscha­ft zeigen, dass man sich von ihrer neoliberal­en Mentalität nicht hetzen lässt. Das Hollandrad ist sozusagen der Hippie unter der Rädern.

Die absolute Mehrheit indes setzt auf Funktional­ität und kauft sich ein sogenannte­s Trekkingra­d. Diese Hybride sind einigermaß­en schnell und bequem zu gleich. Vor allem sind sie voll ausgestatt­et, mit Licht, Schutzblec­h, Gepäckträg­er und Halterung für die Fahrradtas­che.

Und was ist jetzt aus dem Fixie geworden? Es ereilte dasselbe Schicksal wie das eines jeden Distinktio­nsmittels. Es wurde zur Ramschware und ist mittlerwei­le für 199 Euro im Supermarkt erhältlich.

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