Sportlich oder bequem?
Das Schicksal des Fixies
Es war nicht nur ein Fahrrad, das Fixie. Es löste einst unter der weniger modebewussten Mehrheits-Fahrradfahrergesellschaft genauso viele allergische Reaktionen aus wie die Wiederentdeckung der Röhrenjeans. Man zerriss sich das Maul über diese neue Fahrradart: »Durchaus sehr schick, aber unpraktisch. Und überhaupt so viel Geld nur für einen Rahmen, zwei Räder, Pedale, einen Lenker und eine Kette, ohne Gangschaltung, Leerlauf oder eine Bremse.«
Dem Fixiefahrer waren solche Lästereien egal, wahrscheinlich genoss er sie sogar. Der eigentliche Gebrauchswert seines Rads lag nicht in der Fortbewegung. Das Wesentliche war: Er konnte sich mit dem Fixie vom Rest der radelnden Gesellschaft abgrenzen. Er konnte erzählen, dass er die Idee, Bremsen und Gangschaltung abzumontieren, von einem guten Freund bekommen hatte, einem Fahrradkurier aus New York. Aha.
So dient das Fahrrad neben Autos, Kleidung und anderen Gebrauchsgegenständen vor allem auch als Mittel der Distinktion. Mit seinem Rad will man nicht nur von A nach B kommen. Man will auch zeigen, welcher gesellschaftlichen Gruppe angehört. Dies gilt nicht nur für den hippen Fixiefahrer, sondern auch für die Fahrrad fahrende Mehrheitsgesellschaft. Lässt man die zugegeben nicht unwichtige Frage nach dem Preis, nach Modeerscheinungen wie den Fixies, neuen Erfindungen wie E-Bikes und Randerscheinungen wie Lastenräder außer Acht, so lassen sich vermutlich 95 Prozent der Radfahrer anhand der Frage »Sportlich oder bequem?« kategorisieren.
Am einen Ende der Skala haben wir diejenigen, für die das Strampeln nicht nur eine Fortbewegungsart ist. Für sie ist es vor allem auch eine Herausforderung. Sie wollen zeigen, dass sie sportlich und dynamisch sind. Je nach Region kaufen sie sich ein Rennrad oder Mountainbike. Das Alter macht da keinen Unterschied. Oft sieht man sogar ältere Semester die Straße entlang rasen, weil sie es sich selbst und dem Rest beweisen wollen, dass sie es auch mit 70 Jahren noch draufhaben.
Das andere Extrem ist das Hollandrad. Schwer und ungelenkig, ist man mit ihm oft nicht schneller als ein Jogger. Das ist aber nicht schlimm. Schließlich mag man es bequem und will der Gesellschaft zeigen, dass man sich von ihrer neoliberalen Mentalität nicht hetzen lässt. Das Hollandrad ist sozusagen der Hippie unter der Rädern.
Die absolute Mehrheit indes setzt auf Funktionalität und kauft sich ein sogenanntes Trekkingrad. Diese Hybride sind einigermaßen schnell und bequem zu gleich. Vor allem sind sie voll ausgestattet, mit Licht, Schutzblech, Gepäckträger und Halterung für die Fahrradtasche.
Und was ist jetzt aus dem Fixie geworden? Es ereilte dasselbe Schicksal wie das eines jeden Distinktionsmittels. Es wurde zur Ramschware und ist mittlerweile für 199 Euro im Supermarkt erhältlich.