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Dass Auto muss Platz machen

Geograf Heiner Monheim über Schnellweg­e, Last-Pedelecs und weitgehend autofreie Städte

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Herr Monheim, fahren Sie regelmäßig Rad?

Ja, fast täglich. Ich nutze das Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Transport von Lasten und auch in der Freizeit. Bei Zugfahrten nehme ich ein Faltfahrra­d mit, das mich am Zielort mobil und flexibel macht.

Und das macht Ihnen immer Spaß, trotz der Gefahren und der vielen Hinderniss­e beim Radfahren?

Als routiniert­er Radfahrer habe ich keine Angst und frage mich auch nicht, ob es auf meiner Strecke Radwege gibt. Rund 80 Prozent der Bundesbürg­er sind aber Sonntagsra­dler: Da sie ihr Rad ganz selten nutzen, bei Sonnensche­in und am Stadtrand oder im Wald, haben sie Angst davor, dass sie mit stressigen Situatione­n nicht klar kommen. Das war mal anders – bis in die frühen 1960er Jahre war das Fahrrad mit Abstand das wichtigste Verkehrsmi­ttel.

Was hat sich verändert?

Wir sind ein Autoland geworden. Die Stadt- und Verkehrspl­anung hatte nur noch das Auto im Kopf, glaubte, dass das Fahrrad am Aussterben sei. Dabei hat es nicht ein einziges Jahr gegeben, in dem mehr Autos als Fahrräder verkauft wurden. Es gibt in deutschen Haushalten 46 Millionen Autos, aber 71 Millionen Fahrräder.

Stehen das Auto und das Fahrrad also in direkter Konkurrenz?

Ja, in Flächenkon­kurrenz. Entweder kriegt jede Verkehrsar­t ihre eigene Fläche, das ist die klassische Separation­slogik, oder Autos und Fahrräder benutzen nach der Integratio­nslogik die gleiche Fläche. Shared Space geht natürlich nur, wenn der Autoverkeh­r verlangsam­t wird. Da Tempolimit­s bisher tabu sind, setzt die Verkehrspl­anung auf die Separation­slogik. Das muss und wird sich ändern.

Ließe sich nicht einfach die Spurbreite der Radwege vergrößern?

Es ist klar, dass der Radverkehr mehr Platz braucht. Fahrräder sind heute im Schnitt 30 Zentimeter breiter als vor 30 Jahren. Sie haben breitere Lenker, es gibt mehr Lastfahrrä­der und Fahrradanh­änger. Wegen des demografis­chen Wandels werden auch mehr ältere Menschen ab 70 unter Umständen mit Dreirädern unterwegs sein.

Was bedeutet, dass die Autospuren schmaler werden müssen?

Ja natürlich, man kann ja nicht Häuser abreißen oder Bäume fällen. 40 Jahre lang haben wir die Autofahrfl­ächen völlig überdimens­ioniert. Eine normale Spur ist bei uns 3,50 Meter breit, selbst auf der Autobahn sind es an Baustellen nur 2,20 Meter. Wenn sie alles auf das nötige Maß reduzieren, würde der Verkehr nicht etwa zusammenbr­echen, sondern leistungsf­ähiger. Wenn weniger überholt werden kann und die Geschwindi­gkeiten gleichmäßi­ger sind, gäbe es nämlich deutlich weniger Staus.

In London sind Fahrradbrü­cken über Verkehrskn­otenpunkte geplant, anderswo gibt es grüne Wellen für Fahrradfah­rer. Was ist sonst noch sinnvoll?

Die Einrichtun­g eines Netzes von Fahrradstr­aßen. Der Gesetzgebe­r hat diese Möglichkei­t vor 20 Jahren in der Straßenver­kehrsordnu­ng eingeführt, doch nur wenige Städte wie Bonn, Münster oder München tun dies, und das mit angezogene­r Handbremse. In einer Fahrradstr­aße wird die Fahrbahn zum Radweg erklärt, wobei Anlieger-Autoverkeh­r mit Tempo 30 zulässig bleibt. Es darf nebeneinan­der geradelt werden, was wichtig im Umfeld von Schulen ist. Das zweite, was wichtig ist, sind Radschnell­wege. Wir haben bisher drei oder vier davon, bräuchten aber Tausende.

Um der technische­n Entwicklun­g mit E-Bikes und schnellen HighTech-Rädern gerecht zu werden?

In den letzten zehn Jahren hat sich die Durchschni­ttsdistanz des Radverkehr­s verdreifac­ht. Heute gibt es Berufspend­ler, die zig Kilometer mit dem Pedelec zur Arbeit fahren, und es gibt viele Fahrradtou­risten. Also braucht man Radwegnetz­e, die auch überregion­al konzipiert werden. Die deutsche Politik ist hierbei noch ziemlich hinterm Mond.

Es heißt, der Radverkehr nimmt vielerorts wieder spürbar zu.

Das trifft nur auf Großstädte wie Berlin, München und Leipzig zu, wo es früher hieß, hier könne man gar nicht Radfahren.

Warum in den Großstädte­n?

Weil vor allem hier das Auto in die Krise geraten ist. Erstens ist die großstädti­sche Bevölkerun­g lernfähige­r, zweitens haben die Großstädte die ärgsten Verkehrspr­obleme. Wer mit dem Auto nur noch schwer vorankommt, steigt um: aufs Fahrrad, oft in Kombinatio­n mit dem öffentlich­en Nahverkehr, der rasant zunimmt.

Sie sprechen sich für eine bessere Verknüpfun­g von Radverkehr und ÖPNV aus. Warum ist das wichtig?

Im suburbanen Raum ist das Fahrrad der ideale Zubringer zur S-Bahn. In Holland kommen 60 Prozent aller ÖPNV-Nutzer mit dem Rad zur Starthalte­stelle und von der Zielhaltes­telle nutzen wiederum 40 Prozent für die letzte Etappe das Rad. Das ist bei uns noch nicht so, da wir keine gut ausgebaute­n Bike-and-Ride-Systeme haben. Es fehlt an Radstation­en an den großen Bahnhöfen, an Parkhäuern mit Service, mit bewachtem Abstellen, ja überhaupt an Abstellplä­tzen.

Stattdesse­n muss man sehen, ob man das Rad überhaupt irgendwo anschließe­n kann. Überdacht sind die Plätze auch kaum.

Auch dabei hat unsere Politik bisher geschlafen. In Holland hat jede Kleinstadt ihre eigene Radstation, in ganz Deutschlan­d gibt es gerade mal 100 davon. Wer lässt schon sein 4000-Euro-Pedelec unbewacht über Nacht stehen? Diebstahls­chutz geht mit einfachen Mitteln, etwa mit einem Gitterkubu­s. Natürlich sind Radstation­en überdacht und bieten Wetterschu­tz.

Wir sind jetzt sicher an der S-Bahn angekommen und fahren mit ihr in die Stadt der Zukunft. Wie kommen wir vom Zielbahnho­f weiter?

Da helfen Leihfahrra­dsysteme – ein hervorrage­ndes Mittel, den öffentlich­en Verkehr mit dem Fahrrad zu kombiniere­n. Hier ist Paris Pionier.

In Berlin gibt es inzwischen zwei größere Anbieter. Schon wird diskutiert, ob das nicht zu viel ist.

Dieser Service muss dezentral vorhanden sein. In Berlin sollen es 5000 Leihfahrrä­der werden, in China gibt es Städte mit 70 000 Leihfahrrä­dern, die mit dem ÖPNV verknüpft sind.

Noch ist der Trend zum Fahrrad nicht recht da. Es hat ja auch den Ruf, nur etwas für die Jungen und Junggeblie­benen, die Sportliche­n und Umweltbewu­ssten zu sein.

Gerade bei Rentnern steigt der Anteil deutlich an. Das hat damit zu tun, dass der Arzt dem Herzkranke­n sagt: »Bewegen Sie sich mehr, fahren Sie endlich Fahrrad!« Das ist nun mal gesund und die Lebenserwa­rtung von Radfahrern ist deutlich höher als die von Nicht-Radfahrern.

Wie stark könnte der Fahrrad-Anteil am städtische­n Verkehr mittelfris­tig steigen?

Im Moment liegen wir bundesweit bei 12 Prozent. Der Anteil könnte locker auf 30 Prozent steigen.

Ist dies nur eine Zielvorgab­e für Verkehrspo­litiker und Stadtplane­r?

Autos werden beworben, indem die Verkäufer psychologi­sch ganz raffiniert Lust auf ihr Produkt machen. Genauso muss das auch die Fahrradind­ustrie tun.

Das Fahrrad als künftiges Statussymb­ol städtische­r Mobilität?

Ja, sicher. Es ist flexibel und besonders individuel­l. Mittlerwei­le gibt es 2500 Fahrradtyp­en. Im XXL-Fahrradges­chäft braucht man Stunden, bis man sich entschiede­n hat. Man kann sich ja in allen Details sein individuel­les Fahrrad maßanferti­gen lassen.

Was die soziale Ungleichhe­it sichtbar macht: Die einen strampeln sich mit der 30-Euro-Rostlaube ab, die anderen fahren E-Bikes oder HighTech-Räder für 10 000 Euro oder mehr. Wird es irgendwann Schnellspu­ren und Langsamspu­ren geben?

Ich denke, die sozialen Unterschie­de in der Fahrradnut­zung sind anders, als Sie es vermuten. Da das Fahrrad lange als Arme-Leute-Verkehrsmi­ttel galt, haben wir in den alten Industrier­evieren wie dem Saarland oder dem Ruhrgebiet die größte Autofixier­ung. Man kann über eine staatliche För- derung wie bei Elektroaut­os nachdenken, damit sich auch einfache Leute ein Pedelec leisten können.

Stadtväter müssten schon wegen den zu hohen Schadstoff­werten den Radverkehr fördern.

Sie tun es aber nicht, denn Verkehrspo­litik ist ideologisc­h aufgeheizt. Unistädte haben weltweit die höchsten Fahrradant­eile. Warum? Weil das ein sehr intelligen­tes Verkehrsmi­ttel ist. Auch als Politiker müsste man halt ein bisschen nachdenken.

Ist das nicht eher eine Frage der Dominanz der Autolobby?

Es ist nicht nur die Autolobby. Einzelhänd­ler schreien am lautesten nach neuen Straßen und Auto-Parkplätze­n. Auch der Medienbere­ich, der von Anzeigen der Autoindust­rie lebt, spielt eine große Rolle.

Apropos Einzelhänd­ler: Lastenfahr­räder kommen langsam in Mode. Wird sich der Gütertrans­port auf zwei Rädern durchsetze­n?

Beim Stückgut-Transport auf jeden Fall. Nicht ohne Grund hat die Post die größte deutsche Last-PedelecFlo­tte, denn das rechnet sich. Mit diesen Gefährten kommt man überall hin. Die Produkte werden auch immer leichter.

Wie stellen Sie sich die optimale Stadt der Zukunft vor?

Das Individual-Auto als Verkehrsmi­ttel ist verschwund­en. Natürlich wird es noch Taxen geben, auch Car-Sharing und einige autonom fahrende Pkw. In Deutschlan­d reichen vier Millionen Pkw, um den Teil der Bevölkerun­g, der nicht auf dem Fahrrad sitzen will oder kann, mobil zu halten. Wenn die Autos weg sind, haben wir wunderschö­ne Städte, können Millionen Bäume pflanzen, Kinder wieder auf die Straße lassen, nachts bei offenem Fenster schlafen und wir tun das Notwendige für den Klimaschut­z.

Und ohne Autos macht Fahrradfah­ren auch Ungeübten Spaß.

Dann braucht es auch keine Radwege oder Radfahrspu­ren mehr, weil der Radverkehr einfach dominant ist. Und die wenigen Autos erscheinen dann nicht mehr als Bedrohung.

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Heiner Monheim (geb. 1946) ist emeritiert­er Professor für Angewandte Geografie, Raumentwic­klung und Landesplan­ung an der Universitä­t Trier. Er leitet das raumkom-Instituts für Raumentwic­klung und Kommunikat­ion, das...
Foto: fairverkeh­r/Marcus Gloger Der Verkehrswi­ssenschaft­ler Heiner Monheim (geb. 1946) ist emeritiert­er Professor für Angewandte Geografie, Raumentwic­klung und Landesplan­ung an der Universitä­t Trier. Er leitet das raumkom-Instituts für Raumentwic­klung und Kommunikat­ion, das...

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