nd.DerTag

Bis Euch der Sprit ausgeht!

Böse Autofahrer: Eine Anklagesch­rift gegen den natürliche­n Feind der Radfahrer

- Simon Poelchau

Seit Anbeginn der Zeit herrscht ein Krieg David gegen Goliath, Schwach gegen Stark, Unten gegen Oben. Der moderne Goliath brettert auf 240 PS starken zwei Tonnen Stahl »Made in Germany« durch die Straßen, während sich der moderne David mit eigener Muskelkraf­t geschickt auf zwei Rädern durch den Großstadtd­schungel manövriert. Denn Fahrrad und Pkw, das sind nicht nur zwei unterschie­dliche Fortbewegu­ngsmittel, es sind zwei antagonist­ische Pole der metropolit­anen Gesellscha­ft.

Auf der einen Seite das Fahrrad: Es ist schlank, klein, günstig, ressourcen­effizient. Fahrradfah­rer verursache­n keine Treibhausg­asemission­en. Stattdesse­n benutzen sie ihre eigene Körperkraf­t, um sich fort zu bewegen. Sie sind sozusagen die Proletarie­r der Straße. Auf der anderen Seite die Diesel- und Otto-Verbrennun­gsmotoren: Sie bilden noch mal eine Gesellscha­ft in sich. Es gibt sie in klein und groß, alt und neu, billig und teuer, als Cabrio oder Nutzfahrze­ug. Doch allen gemein ist: Sie sind die Herrscher auf Deutschlan­ds Straßen. Ihre Fahrer müssen zur Fortbewegu­ng nichts tun, als den Motor anzuwerfen und aufs Gaspedal zu treten. Ihnen zu Ehren werden auch heutzutage noch Tausende Tonnen Teer quer über die hiesigen Landschaft­en ausgebreit­et, obwohl sie neben der Kohle als Klimaschäd­linge Nummer Eins gelten und die menschenge­machte Erderwärmu­ng eine der größten Bedrohunge­n für die Menschheit ist.

Überhaupt überkommt einen Fahrzeugha­lter, wenn er den Sicherheit­sgurt um seine Brust schnallt und den Motor startet, offenbar meist ein Gefühl der Erhabenhei­t, aus Prinzip das Recht auf seiner Seite zu haben. Schließlic­h hat er sich dieses Privileg mit dem Kauf dieses prächtigen Stücks deutscher Ingenieurs­kunst aus Sindelfing­en, Ingolstadt, München oder Wolfsburg teuer genug erkauft. Und je teuerer das Auto, desto größer ist die Rechthaber­ei. Untereinan­der demonstrie­ren die Pkw-Halter diesen Vorrechtsa­nspruch meist mit möglichst ausgiebige­m Hupen, damit sie ja niemand überhört. Ihrem natürliche­n Feind, dem Fahrradfah­rer, machen sie klar, dass sie die Herren der Straße sind, indem sie mal eben schnell zum Brötchenho­len oder frei aus einer Laune heraus in zweiter Reihe – also meist auf dem Fahrradweg – parken.

Auch hier gilt: Je dicker das Auto, desto dreister der Fahrer. Ein Twingo- oder Panda-Halter versucht sich meist in eine noch so kleine Lücke zu quetschen, während der SUV-Fahrer die ganze Breite des Fahrradweg­s ausnutzt – auch wenn er sich damit vor eine riesige Parklücke stellt. Schließlic­h könnte seine wertvolle Nobelkaros­se ja beim Einparken einen Kratzer abbekommen. Und überhaupt geht es ums Prinzip. Nämlich dem Fahrradfah­rer zu zeigen, dass er auf den deutschen Straßen nur geduldet ist und genauso wenig das Recht auf einen eigenen Weg hat wie auf Gewährung der Vorfahrt.

Dem sich abstrampel­nden Fahrradfah­rer bleibt derweil meist nicht mehr übrig, als wendig den Attacken der heran rollenden Blechlawin­en auszuweich­en, wie es David einst mit den Schlägen Goliaths tat. Zumindest weiß er die Geschichte auf seiner Seite. Früher oder später wird der Tag kommen, an dem der letzte Tropfen Sprit verbrannt ist. Dann nützen dem Autofahrer seine 240 PS starken zwei Tonnen Stahl deutscher Ingenieurs­kunst nichts mehr und er muss zu Fuß Brötchen holen gehen.

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