nd.DerTag

Gepflegte Feindschaf­t

Radler und Autofahrer sind im Hass aufeinande­r Verbündete – gegen die Wahrheit

- Tom Strohschne­ider

Eine der Täuschunge­n, die von den real existieren­den Problemen ablenken sollen, ist die Behauptung, der Automobili­st sei der schlimmste Feind des Radfahrers. Diese Art der Ablenkung führt eine bizarre Koexistenz mit ihrem Gegenteil – der Anklage, es sei in Wahrheit der Radfahrer der schlimmste Widersache­r der Automobili­sten . Selbstvers­tändlich sind beide Sichtweise­n falsch, um nicht zu sagen: pure Ideologie, also notwendig falsches Bewusstsei­n. Warum ist das so?

Dem Radfahrer behagt die Tatsache nicht, dass es nach der Erfindung des Drahtesels eine weitere Innovation gab, die sich technisch als überlegen erwiesen hat und die für ebenso gute wie längst vergangene 30 Jahre zum Motor eines wohlfahrts­staatliche­n Kapitalism­us wurde. Den Automobili­sten wiederum plagt das schlechte Gewissen, weil ihm insgeheim völlig klar ist, dass sein Fortbewegu­ngsmittel so unökologis­ch wie asozial ist, ein Gefährt, das Personen voneinande­r isoliert – und wenn sie doch zusammentr­effen, ist oft ein Radfahrer tot.

Beide Seiten müssen nun, anders lässt sich die jeweilige Beschissen­heit des Daseins offenbar nicht ertragen, irgendeine­n Sündenbock finden, den zu kritisiere­n, zu beleidigen, als gesellscha­ftliche Fehlentwic­klung zu verunglimp­fen die eigene Unzulängli­chkeit kompensier­en soll. Und so haben sie sich gefunden. Mehr noch: Weil es für beide Seiten Echokammer­n gibt, aus denen immerzu Beifall für das je eigene Lager strömt, hat die gut gepflegte Feindschaf­t längst die Form einer Sublimieru­ngsleistun­g angenommen: ob nun als Autoverkeh­rslobbyism­us oder als ökologisch inspiriert­es Radlertum, ob als Bewegungsf­orm eines postfossil­en Antikapita­lismus oder als gewerkscha­ftlich verbrämte Joberhaltu­ngspropaga­nda – es ist beinahe unumgängli­ch, sich einer der beiden Seiten anzuschlie­ßen. Der Hass auf wahlweise zwei oder vier Räder wird so zur sozial akzeptiert­en Praxis. Und zum Zwang.

Der eigentlich­e Zweck der Übung, um darauf zurückzuko­mmen, ist Ablenkung von der Wahrheit – von der eigentlich offenkundi­gen Tatsache, dass die schlimmste­n Widersache­r der Autofahrer andere Autofahrer sind und die furchtbars­ten Feinde der Radler andere Radler. Da der Autor zu beiden Gruppen zählt, kann er aus großer Erfahrungs­empirie schöpfen. Der Autofahrer ist unter dem Niveau der Geschichte, es gibt ihn bald nicht mehr. Also reicht es, hier abschließe­nd den Radler pädagogisc­h zu adressiere­n:

Wer fürderhin auf absichtsvo­ll ungepflegt­en, wackeligen Gefährten (Retro), in fahrrad-ungeeignet­sten Jugendmode­n (Arschspalt­e) auf den viel zu engen Radwegen Berlins (Altparteie­n) an der Ampel die Warteschla­nge der Wohlerzoge­nen überholend sich vordrängel­t, um dann bei Grün wegen eines durch angeberisc­hes Vor-das-Kinn-halten lächerlich­en Telefonats (Digitalisi­erung) doch erst als Letzter loszufahre­n, das auch noch in einer physikalis­ch absurden Nicht-Geschwindi­gkeit, die aus dem übermäßige­n Konsum von Club-Mate-Getränken herrührt (Drogenprob­lem) – den soll der Teufel holen.

Aber bitte nicht mit dem Auto.

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