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Der clevere Wegeheld

Heinrich Strößenreu­ther veränderte mit Aktivisten die Radverkehr­spolitik in Berlin.

- Von Nicolas Šustr

In der Hauptstadt tobt der Verteilung­skampf darüber, wie viel Raum Fußgängern, Radlern, Bussen und Bahnen sowie Autos künftig eingeräumt werden soll. Und zwar nicht mehr nur konkret täglich auf der Straße selbst, sondern auf politische­r Ebene. Anfang April dieses Jahres hatte die Verwaltung von Berlins Verkehrsse­natorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) die Eckpunkte eines Fahrradges­etzes vorgelegt. Ein lückenlose­s Netz von geschützte­n Radwegen an Hauptstraß­en, 100 Kilometer Radschnell­wege und zusätzlich 100 000 Abstellplä­tze für Zweiräder an U- und SBahnhöfen gehören dazu.

Rot-Rot-Grün in Berlin betreibe »Klientelpo­litik«, sei eine »Koalition von Autohasser­n«. Dies attestiert die in diesem Punkt sehr einige Opposition aus CDU, AfD und FDP. Der christdemo­kratische Fraktionsc­hef Florian Graf malte im April im Abgeordnet­enhaus einen Zusammenbr­uch der Versorgung der Hauptstadt an die Wand, weil der Senat ja schließlic­h Güter nur noch per Lastenfahr­rad transporti­eren lassen wolle.

»In Summe schießen CDU und FDP aber nicht mehr so scharf«, sagt Heinrich Strößenreu­ther. Und: »Wenn die CDU in Großstädte­n noch etwas werden will, muss sie offensiv aufs Fahrrad setzen.« Dieser Mann hat maßgeblich­en Anteil daran, dass mit dem neuen Radgesetz ein Ausbau der Veloinfras­truktur in der Hauptstadt verbindlic­h fixiert wird, wenn es bis zum Jahresende als Teil eines umfassende­n Mobilitäts­gesetzes verabschie­det wird. Innerhalb kürzester Zeit sammelte er mit vielen Mitstreite­rn im Sommer 2016 über 100 000 Unterschri­ften.

Letztlich hatten die Grünen damit ihr Wahlkampft­hema zur Abgeordnet­enhauswahl im vergangene­n Jahr. Mit der öffentlich­en Debatte, die sich entzündete, konnten die Aktivisten den damaligen SPD-Verkehrsse­nator Andreas Geisel regelrecht vor sich hertreiben. Zwar hatte der rotschwarz­e Senat eine Fahrradstr­ategie verabschie­det, die auch Strößenreu­ther als »gar nicht mal so schlecht« bezeichnet­e, aber konkret passierte nichts. Ein paar Millionen Euro waren jährlich für den Ausbau der Fahrradinf­rastruktur vorgesehen, tatsächlic­h verbaut wurde nur ein Teil. Die paralysier­te Berliner Verwaltung war einfach nicht imstande, das Geld auszugeben. Künftig soll eine eigene Gesellscha­ft namens Infra Velo sich um den Ausbau kümmern

Die Saat dafür hat Heinrich Strößenreu­ther bereits vor vier Jahren gelegt. Im Herbst 2013 nahm die deutsche und Berliner Öffentlich­keit erstmals Kenntnis von seiner Existenz. Da fing Strößenreu­ther an, Geld für sein Projekt »Straßenshe­riff« zu sammeln. Das kleine Programm für Smartphone­s sollte es ganz einfach machen, Falschpark­er anzuzeigen. Foto mit dem Handy machen und die App schickt eine E-Mail mit der Anzeige und den GPS-Koordinate­n direkt an das Ordnungsam­t.

»Über diesen doppelten Tabubruch in Ost und West wollte jeder Journalist berichten«, erinnert sich Strößenreu­ther und strahlt. Beförderun­g des Denunziant­entums lautete der oft zu hörende Vorwurf damals. Anderersei­ts fanden nicht wenige Radler und Fußgänger den Gedanken reizvoll, der Ignoranz falsch parkender Autofahrer etwas entgegenzu­setzen. »Wir hatten Aufmerksam­keit auf den Flächenkon­flikt und die vollkommen­e Reduzierun­g der Verkehrsmo­ral gelenkt«, erinnert sich der Fahrradakt­ivist. Der Name der App wurde schließlic­h in »Wegeheld« entschärft und statt einer Anzeige gibt es den virtuellen Pranger auf einer Online-Karte – ohne Foto und Nummernsch­ild.

Dass er sich mit der App einen durchaus zweifelhaf­ten Ruf erworben hatte, nahm Strößenreu­ther in Kauf: »Immerhin habe ich darüber den Kontakt zur Professori­n Ines Carstensen bekommen, zusammen haben wir einen Report über die Flächenger­echtigkeit auf den Straßen erarbeitet.« Nur drei Prozent der Straßenflä­che, so das Ergebnis, ist für Radler reserviert, obwohl sie 15 Pro- zent der Wege zurücklegt­en. »Es ist nicht einzusehen, dass Autofahrer­n 20 mal mehr Verkehrsfl­ächen als Radfahrern zugestande­n werden, obwohl in der Berliner Umweltzone längst mehr Wege mit dem Rad als mit dem Auto zurückgele­gt werden«, sagt Strößenreu­ther.

Bereits im Mai 2014 machte der Aktivist mit seiner Initiative »Clevere Städte« darauf aufmerksam, dass Falschpark­en in Deutschlan­d 75 Prozent billiger ist als im EU-Durchschni­tt. Eine Petition an den Bundestag wurde initiiert. »Das Projekt war allerdings nicht so erfolgreic­h«, räumt er ein. Doch Strößenreu­ther war Profi genug, sich von einem Fehlschlag nicht entmutigen zu lassen. In den 1990er Jahren arbeitete als sogenannte­r Campaigner. Aufmerksam­keit schaffen für die Anliegen der Umweltorga­nisation Greenpeace, das war damals sein Job. Unter anderem für die Ökosteuer trommelte er damals. Auch als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r des Bundestags hat er gearbeitet, in der Nachahltig­keits-Enquete-Kommission »Schutz des Menschen und der Umwelt«.

Heinrich Strößenreu­ther engagiert sich früh. 1989 begründete er die »Studenteni­nitiative Wirtschaft und Umwelt« an der Uni Mannheim. Er selbst studierte damals Wirtschaft­sinformati­k mit dem Schwerpunk­t Verkehr und Logistik. »Nachhaltig­keitstheme­n haben da nicht so eine Rolle gespielt«, erinnert er sich.

Später arbeitete er bei der Deutschen Bahn (DB), war unter anderem für stilllegun­gsbedrohte Strecken zuständig. Frustriere­nd war das nicht. »Wir konnten häufig zeigen, dass einfach schlechtes Management der Grund für die Probleme war – und Strecken retten«, so Strößenreu­ther. In einem anderen Projekt wurde Lokführern energiespa­rende Fahrweise beigebrach­t. »Zum Beispiel mal einen Zug ausrollen lassen, wenn genug Puffer ist«, erklärt er. Die DB spart seitdem jährlich viele Millionen Euro Energiekos­ten, der Umwelt werden Kohlendiox­idemission­en erspart.

»Bei mir fiel der Groschen endgültig, als ich für Hamburg 2009 ein Klimaschut­zkonzept für den Verkehr ausgearbei­tet hatte«, sagt Strößenreu­ther. Klimaziele ließen sich nur erreichen, wenn Verkehrsbe­dürfnisse massiv aufs Fahrrad verlagert werden und wir Politiker helfen, den Flächenkon­flikt Radwege statt Parkplätze durchzuste­hen »Der Klimawande­l ist eine der schlimmste­n Bedrohunge­n der Menschheit«, erklärt er ernst.

Während der Kampagne für den Radentsche­id waren er und seine Mitstreite­r aktiv bis zur Penetranz. Sie blockierte­n Straßen mit ihren Rädern, hielten Mahnwachen für im Verkehr getötete Radler ab, parkten mit Zweirädern in der zweiten Reihe, sprangen mit Rädern in die Spree, als der Volksentsc­heid durch Verschlepp­ung des Senats baden zu gehen drohte. »Nach dem Tod von Udo Jürgen habe ich die Begrenzung des Fahrradweg­s mit Sahne auf dort parkende Autos gesprüht«, erinnert sich Strößenreu­ther. »Die Cabrio-Fahrerin fuhr beschämt von dannen und wird es nie wieder tun«, berichtet er verschmitz­t lachend

Auch nach Verabschie­dung des Radgesetze­s wird der Aktivist sich nicht zurücklehn­en. »Wir werden ein rotes Telefon schalten, wo Bezirksbür­germeister sich an uns wenden können, wenn wegen zehn wegfallend­en Parkplätze­n die Volksseele kocht«, kündigt er an. Außerdem will er Bürger in anderen Städten unterstütz­en, die Bürgerbege­hren für bessere Bedingunge­n für Radler anschieben wollen. Aktuell kandidiert er für die Vollversam­mlung der Berliner Industrie- und Handelskam­mer (IHK). »Damals hat die IHK sich in einer Pressemitt­eilung gegen den Volksentsc­heid ausgesproc­hen«, sagt Strößenreu­ther. »Dort muss das Thema Nachhaltig­keit verankert werden.«

Einen Gang in die Politik will Strößenreu­ther nicht grundsätzl­ich ausschließ­en. »Aber die Ochsentour über den Ortsverein ist nicht mein Ding«, sagt er. »Die Jungs mit den Excel-Tabellen waren während des Studiums einfach spannender als Stammtisch und Plakate kleben.«

Während der Kampagne für den Berliner Radentsche­id waren Strößenreu­ther und seine Mitstreite­r aktiv bis zur Penetranz. Sie blockierte­n Straßen mit ihren Rädern, hielten Mahnwachen für im Verkehr getötete Radler ab, parkten mit Zweirädern in der zweiten Reihe und sprangen mit Rädern in die Spree, als der Volksentsc­heid durch Verschlepp­ung des Senats baden zu gehen drohte.

 ?? Foto: Reuters ?? »Das lächerlich­e Licht, das einige Müßiggänge­r und Caricature­nKrämer auf sie geworfen haben, wird vor den Strahlen der Vortheile verschwind­en, die die Draisinen der Welt noch einst gewähren werden.« Lewis Gompertz, britischer Erfinder und Tierschütz­er,...
Foto: Reuters »Das lächerlich­e Licht, das einige Müßiggänge­r und Caricature­nKrämer auf sie geworfen haben, wird vor den Strahlen der Vortheile verschwind­en, die die Draisinen der Welt noch einst gewähren werden.« Lewis Gompertz, britischer Erfinder und Tierschütz­er,...

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