Wanted: 15 000 Polizisten
Wahlkampfthema Innere Sicherheit – Kritik an Stellenabbau bei der Polizei
Berlin. Die SPD plädiert für mehr Videoüberwachung, Unionspolitiker wollen die Schleierfahndung bundesweit ermöglichen, bei der Menschen ohne Verdacht und ohne Anlass kontrolliert werden können: Die Wahlkampfdebatte über Innere Sicherheit und schärfere Gesetze ist in vollem Gange. Dabei sind in den vergangenen Jahren schon zahlreiche Gesetze verschärft worden. Gleichzeitig hat die Politik bei der Polizei gespart und Stellen abgebaut – nicht nur in Deutschland. Der britische Labourchef Jeremy Corbyn kritisierte kürzlich, der Ruf von Premierministerin May nach stärkerer Ter- rorismusbekämpfung passe nicht mit ihrer Entscheidung als Innenministerin zusammen, fast 20 000 Polizisten zu entlassen.
In Deutschland sei »die Polizeipräsenz in der Fläche kontinuierlich von den neoliberalen Nachtwächtern abgebaut worden, so dass viele das Gefühl haben, in total unsicheren Zeiten zu leben«, kritisiert der Linkspolitiker Jan Korte im Interview mit dem »neuen deutschland«. Er fordert, alle sogenannten Sicherheitsgesetze der letzten 15 Jahre zu überprüfen. Geklärt werden müsse, ob sie tatsächlich mehr Sicherheit gebracht oder nur die Freiheit eingeschränkt hätten. Zudem brauche die Polizei mehr Personal, insbesondere für den Streifendienst.
Auch die SPD, die an der Sparpolitik der vergangenen Jahre mitgewirkt hat, plädiert nun für eine Wende und erklärte kürzlich, 15 000 neue Stellen bei der Polizei schaffen zu wollen. Aber ist das nun viel oder wenig? Das »nd« hat beim Statistischen Bundesamt nachgefragt, wie stark das Personal bei der Polizei in den vergangenen Jahren geschrumpft ist – um rund 16 000 Stellen. Für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sind mehr Polizisten nicht zwangsläufig eine Garantie für mehr Sicherheit.
Wie schätzen Sie das Ergebnis der Parlamentswahl ein?
Es bekräftigt, was ich vom ersten Wahlgang an eingeschätzt habe, nämlich den Protestcharakter dieser Wahl. Der ging auf Kosten der Regierungspartei, der Sozialisten. Die sind abgestürzt zugunsten der Bewegung En Marche. Aber für die ist das nicht unbedingt ein ungetrübter Sieg, denn die Entwicklung dürfte sich fortsetzen und kann sich sehr schnell auch gegen sie wenden.
Wollten die Wähler im ersten Wahlgang ein starkes Zeichen setzen und im zweiten das Kräfteverhältnis etwas ausgleichen?
Ja. Man könnte sagen, dass die Gnadenfrist für Macron schon abgelaufen ist.
Zeugt die Entstehung von Bewegungen wie En Marche oder La France Insoumise vom Überdruss gegenüber den politischen Parteien? Ja, die Parteien wecken keine Enthusiasmus mehr. Das zeugt aber auch davon, dass die Franzosen überhaupt Probleme mit den demokratischen Institutionen haben. Sie lieben nicht die politischen und sozialen »Bindeglieder«, also auch nicht die Parteien, keine Partei. Darum fühlen sie sich eher zu weniger strukturierten Bewegungen hingezogen. Aber das ist nicht nur eine verbreitete Ab- lehnung der Parteien, sondern der Politik überhaupt. Die Franzosen stellen die repräsentativen Formen der Politik in Frage, die Parteien, die Gewerkschaften, das Parlament.
Gibt es eine Entwicklung in Richtung einer »Republikanischen Monarchie«, wie Mélenchon das nennt? Das ist tatsächlich eine französische Besonderheit, auf die schon General de Gaulle gebaut hat. In unserem Land liebt man nun einmal die Autorität, aber man liebt es auch, sich gegen die Autorität aufzulehnen und sie zu stürzen. Das ist durchaus sehr widersprüchlich. Die Franzosen haben die Front National benutzt, um die Regierungspartei in Schwierigkeiten zu bringen, und dann haben sie En Marche benutzt, um die Regierungspartei und die Front National in Schwierigkeiten zu bringen, aber das ist wahrscheinlich erst ein Anfang. Ich denke, die diffuse Bewegung, die man mit der Losung »Verschwindet!« charakterisieren könnte, wird weitergehen.
Muss Macron damit rechnen, dass En marche ebenfalls eine vorübergehende und bald schon angefeindete Bewegung ist?
Genau, ich vergleiche das gern mit Pilzen: Parteien oder Bewegung entstehen schnell wie Pilze nach dem Regen, und verschwinden genauso schnell. Wobei Macron etwas Zeit hat, vor ihm liegt einen fünfjährige Amtszeit. Aber in dieser Zeit kann viel passieren. Seine Bewegung, die de facto schon eine Partei ist, ist sehr schwach im Lande verankert. Sie hat zwar 300 Abgeordnete im Parlament, aber keine gewählten Vertreter auf regionaler und örtlicher Ebene. Damit ist sie sehr anfällig.
Man hört oft, dass die Franzosen ihre Bürgermeister lieben. Ist das nicht ein Element der Stabilität? Durchaus, aber das hängt von der von ihnen verfolgten Politik ab, und das wiederum stark von den Mitteln ab, die die Kommunen vom Staat bekommen. Die Bürgermeister sind beliebt, solange sie die Dienstleistungen erbringen, die die Bürger von ihnen erwarten – aber bitteschön ohne neue Steuern und ohne die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst anzutasten.
Gehen wir einer Zeit politischer Instabilität entgegen? Das wird weitgehend davon abhängen, wie Macron die geplante Arbeitsrechtsreform anpackt. Ein schwieriges Thema, wogegen es große Widerstände gibt. Das kann zur Schwächung der Regierungsmehrheit führen.
Dazu eine konkrete Überlegung: En Marche hat jetzt 308 Abgeordnete. Dazu kann man die 42 der Zentrumspartei Modem hinzuzählen, aber Modem ist nicht identisch mit En Marche, nur verbündet. Wenn Modem sich entschließt, eine eigene Fraktion zu bilden und im Parlament nur von Fall zu Fall mit En Marche zu stimmen, kann es für Macron eng werden. Noch hat er mit 308 Abgeordneten mehr als die 289, die er für die Regierungsmehrheit braucht. Präsident Hollande hat zwischen 2012 und 2017 bei Teilwahlen oder weil sie sich wegen politischer Differenten von ihm getrennt haben, 18 Abgeordnete verloren. Das sollte Macron zu denken geben.