nd.DerTag

Die Schwäche der anderen

Nelli Tügel über absolute Mehrheiten bei den französisc­hen Wahlen

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Der Hype um den neuen französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron hat mit der zweiten Runde der Parlaments­wahlen bereits deutlich nachgelass­en. War letzte Woche noch von einer »Macronmani­a« die Rede, von »Durchmarsc­h« und »Erdrutschs­ieg«, fallen die Kommentare nun zurückhalt­ender aus. Zu Recht, denn Macrons junge Partei La République en Marche mag die absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung errungen haben. Wirklich bemerkensw­ert aber ist eine andere absolute Mehrheit, nämlich die der Nichtwähle­r.

Da 57 Prozent der Wahlberech­tigten zu Hause blieben, sind die hohen Ergebnisse für En Marche nicht zu verwechsel­n mit einem hohen Vertrauens­vorschuss für Macron. Seine Stärke ist vor allem die Schwäche der anderen, besonders der Sozialiste­n und Republikan­er. Die FN konnte zwar Sitze hinzugewin­nen, ihr Potenzial aber nicht ausschöpfe­n. Und auch Mélenchons Linksfront LFI war nicht in der Lage, viele Nichtwähle­r hinter dem Ofen hervor zu locken. Der »staatsbürg­erliche Generalstr­eik«, von dem Mélenchon angesichts der mageren Wahlbeteil­igung spricht – er betrifft auch seine eigene Bewegung.

Erst jetzt, nach den Wahlen, wird Macron tatsächlic­h regieren. Seine Pläne zur Arbeitsmar­ktreform, die an der Politik des Vorgängers Hollande anknüpfen, lassen an der versproche­nen »Erneuerung« zweifeln. Wahrschein­licher scheint, dass das – sich in der geringen Wahlbeteil­igung manifestie­rende – Misstrauen vieler Franzosen rasch Bestätigun­g findet.

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