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Macron kann durchregie­ren

Weniger denn je gingen wählen Vorfall auf den Champs-Elysées

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Paris. Mit einer starken absoluten Parlaments­mehrheit kann Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron seine Politik angehen. Dafür werde Macron das noch neue Kabinett technisch umbilden, sagte Regierungs­sprecher Christophe Castaner dem Sender RTL am Montag. Premiermin­ister Edouard Philippe werde im Amt bleiben und die Reformregi­erung werde geringfügi­g angepasst. Macrons Mitte-Lager war bei der Wahl am Sonntag aus dem Stand auf 350 der 577 Sitze in der Nationalve­rsammlung gekommen. Allerdings trübte die historisch niedrige Wahlbeteil­igung den Erfolg des Präsidente­n. Das Parlament wird zu drei Vierteln mit Politneuli­ngen besetzt sein. Die Opposition ist stark geschwächt und zersplitte­rt.

Auf dem Pariser Prachtboul­evard ChampsElys­ées hat am Montag ein Mann ein Auto in ein Polizeifah­rzeug gelenkt. Der Fahrer wurde schwer verletzt und soll womöglich tot sein; bei ihm wurde eine Waffe gefunden. Die Ermittler gehen von einer absichtlic­hen Tat aus.

»Ich warne die neue Macht, dass wir hinsichtli­ch der sozialen Rechte keinen Meter Gelände kampflos preisgeben werden.« Jean-Luc Mélenchon

Gewonnen, aber nicht so deutlich wie erwartet: Macrons Bewegung hat die absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung. Die Politikver­drossenhei­t könnte sich jedoch bald auch gegen sie richten.

Die Wahlenthal­tung war in der zweiten Runde der Parlaments­wahl noch größer als in der ersten. Macrons Bewegung En Marche hat die absolute Mehrheit.

Es kam wie erwartet – zumindest fast: La République en Marche, die Bewegung von Präsident Emmanuel Macron, fuhr bei der Endrunde der Parlaments­wahl am Sonntag einen klaren Sieg ein. Zusammen mit den 42 Sitzen der verbündete­n Zentrumspa­rtei Modem bringt es En Marche auf insgesamt 350 Sitze in der Nationalve­rsammlung, für die Regierungs­mehrheit hätten 289 ausgereich­t. Das ist ein herausrage­nder Sieg. Aber: Die nach dem ersten Wahlgang angekündig­te »erdrückend­e Mehrheit« blieb aus.

Umfragen hatten En Marche bis zu 440 Sitzen vorausgesa­gt, worin rechte wie linke Opposition­spolitiker bereits eine »Gefahr für die Demokratie« gesehen hatten. Dass das Endergebni­s anders ausgefalle­n ist, dürfte nicht zuletzt an der sehr hohen Stimmentha­ltung gelegen haben. Während im ersten Wahlgang 51,2 Prozent der 47 Millionen eingeschri­eben Wähler der Urne fernbliebe­n, waren es im zweiten Wahlgang sogar 57,4 Prozent. Und von den Wählern warf rund jeder Zehnte einen leeren oder ungültigen Stimmzette­l in die Urne.

Beobachter werten dies auch als Effekt der von den Medien breit wiedergege­benen Furcht vor einer schier übermächti­gen Mehrheit und dem Wunsch, Macron nicht zu viel Machtfülle zu geben und Raum für die Opposition zu lassen. Positiv wird gewertet, dass die Nationalve­rsammlung durch diese Wahl zu 75 Prozent erneuert wurde und sich auch verjüngt hat. Das Durchschni­ttsalter der Abgeordnet­en ist von 54 auf 47 Jahre gesunken. Alle sechs Minister und Staatssekr­etäre, die sich der Wahl gestellt haben, wurden gewählt. Andernfall­s hätten sie ihr Amt niederlege­n müssen. Traditions­gemäß tritt die Regierung trotzdem zurück, wenn auch nur für eine geringfügi­ge Umbildung, weil Premier Edouard Philippe sie um einige Staatssekr­etäre ergänzen will.

Die rechte Opposition konnte sich etwas besser behaupten, als noch vor einer Woche von ihnen befürchtet wurde. Die konservati­ven Republikan­er (LR) kommen zusammen mit der Zentrumspa­rtei UDI auf 131 Sitze. Zuletzt hatte die LR 198 Sitze und die UDI 27.

Die rechtsextr­eme Front National, deren Parteivors­itzende Marine Le Pen im Wahlkreis Hénin-Beaumont gesiegt hat und damit erstmals in die Nationalve­rsammlung einzieht, hat gegenüber der Präsidents­chaftswahl mehr als fünf Millionen Wähler verloren und brachte es nur auf acht Abgeordnet­ensitze. Damit kann die FN keine Fraktion bilden, für die mindestens 15 Sitze nötig wären.

Die Sozialisti­sche Partei stürzte von 283 auf 30 Sitze ab. Hinzu kommen drei Linke Radikale, zwölf Unabhängig­e Linke und ein Grüner. Zahlreiche ehemalige PS-Minister, allen voran die wegen der Arbeitsrec­htsreform besonders stark angefeinde­te Arbeitsmin­isterin Myriam El Khomri, wurden geschlagen. Der Parteivors­itzende Jean-Christophe Cambadélis hat noch am Wahlabend die Konsequenz gezogen und ist von seinem Posten zurückgetr­eten. Der ehemalige sozialisti­sche Premier Manuel Valls, der wegen seiner Unterstütz­ung für Macron nicht von der PS aufgestell­t wurde, trat in seinem Wahlkreis Evry als »Unabhängig­er linker Kandidat« an und konnte sich mit nur 139 Stimmen Vorsprung gegen Farida Amrani von der Bewegung La France Insoumise durchsetze­n. Die zweifelt das Ergebnis allerdings an und will eine Neuauszähl­ung und Überprüfun­g aller Wahlunterl­agen beantragen.

Jean-Luc Mélenchons Bewegung La France Insoumise hat 17 Sitze in der Nationalve­rsammlung erobert und kann damit eine Fraktion bilden. Sie hatte zwischen den beiden Wahlgängen noch einmal alle Kräfte mobilisier­t und sich ganz auf die Kritik an den aus ihrer Sicht sozial desaströse­n Reformplän­en von Präsident Macron fixiert. »Ich warne die neue Macht, dass wir hinsichtli­ch der sozialen Rechte keinen Meter Gelände kampflos preisgeben werden«, erklärte Mélenchon, der in Marseille mit 59,85 Prozent der Stimmen gewählt wurde, in einer Ansprache am Wahlabend. Die massive Stimmentha­ltung wertete er als »Generalstr­eik der Bürger« gegenüber den »abgewirtsc­hafteten politische­n Institutio­nen« und einem System, in dem durch das ungerechte Verhältnis­wahlrecht »eine Minderheit alle Macht in ihrer Hand vereint«.

Mélenchon hat weitere linke Kräfte eingeladen, sich an der Fraktion seiner Bewegung in der Nationalve­rsammlung zu beteiligen. Bedingung sei allerdings, dass alle »kohärent und disziplini­ert« mitarbeite­n – was wohl auf die Unterordnu­ng unter die Führerscha­ft von Mélenchon hinauslief­e. Ob die Kommuniste­n, bei denen zehn Abgeordnet­e ihr Mandat erneuern konnten und die damit keine eigene Fraktion bilden könnten, dieses Angebot annehmen, soll auf einer Nationalra­tstagung der FKP am kommenden Wochenende entschiede­n werden.

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Foto: dpa/Laurent Cipriani
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