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Keine Rektorin ohne Abitur

Trotz freier Stellen können in der DDR ausgebilde­te Unterstufe­nlehrer nicht Rektor werden

- Von Ellen Wesemüller

Christina Aster will eine Berliner Schule leiten – und darf es nicht.

Über hundert Rektoren und Konrektore­n fehlen in der Hauptstadt, besonders an Grundschul­en. Doch den DDR-Lehrern ohne Abitur bleibt der Aufstieg verwehrt. Christine Aster hat ein Problem. Sie möchte gerne Schulleite­rin werden. Doch die Lehrerin, die seit 30 Jahren an einer Grundschul­e in Pankow unterricht­et, darf sich nicht zur Rektorin weiterbild­en – und das, obwohl in Berlin 24 Schulleite­r fehlen, davon 15 allein an Grundschul­en. Schaut man sich die freien Stellvertr­eterposten an, wird das Problem sogar noch gravierend­er: Hier fehlen 99 Stellen, 63 im Grundschul­bereich. Rot-Rot-Grün hatte deshalb Anfang Juni in Aussicht gestellt, die 390 Konrektore­n der Stadt schon ab Januar nächsten Jahres besser zu bezahlen. Kostenpunk­t: geschätzte 2,24 Millionen Euro pro Jahr. Warum also nicht Aster?

Die Grundschul­lehrerin hat kein Abitur. Aster ist eine der letzten Lehrerinne­n, die noch in der DDR ausgebilde­t wurden. Am Institut für Lehrerbild­ung in Hohenschön­hausen machte sie 1987 ihren Abschluss als Lehrerin unterer Klassen (LuK). Dafür brauchte sie kein Abitur. Nach der Wende konnte sie sich fortbilden, denn sie hatte die dafür notwendige­n Hauptfäche­r vorzuweise­n: Deutsch und Mathe. So erhielt sie die Laufbahnan­erkennung A12 für den gehobenen Dienst, 1998 wurde sie Beamtin auf Lebenszeit.

Im Alltag ist sie also den Grundschul­lehrerinne­n, die im Westen ausgebilde­t wurden, gleichgest­ellt. Wenn es um höhere Stellen geht, ist ihr jedoch der Weg verbaut: »LuK-Lehrkräfte erfüllen nicht die Laufbahnvo­raussetzun­gen, die nach der Bildungsla­ufbahnvero­rdnung für das Amt einer Schulleite­rin erforderli­ch sind«, sagt auch die Senatsverw­altung.

»Ich verstehe nicht, warum man das nach so vielen Jahren deutscher Einheit noch macht – und obwohl es einen Mangel gibt«, sagt Aster. Erfahrunge­n bringt sie mit: Seit über zehn Jahren ist sie in der erweiterte­n Schulleitu­ng tätig, an einer Schule, die sie schon als Schülerin besucht hat: »Ich habe den langweilig­sten Lebenslauf, den man sich vorstellen kann«, sagt sie und lacht. 2015 hatte sie die Idee, ihrer Schulleite­rin nachzufolg­en, wenn diese in Pension geht. »Ich würde die Schule gerne selber führen, so wie ich Schule verstehe. Ich würde die Kollegen zusammenha­lten und gemeinsame Aktivitäte­n mit den Eltern organisier­en.« Doch an der berufsbegl­eitenden Weiterbild­ung, zu der sie sich anmeldete, durfte sie nicht teilnehmen. Sie ging zur Personalst­elle, doch da habe man nur »alle Paragrafen um mich rumgeworfe­n«. Ihr wurde geraten, noch einmal zu studieren. »Ein komplett neues Studium mit 50 – nein!«, sagt Aster.

Doreen Siebernik, GEW-Vorsitzend­e in Berlin, kennt das Problem. »Zwar haben sich die LuK bewährt, aber sie bleiben im System sogenannte ›Nichterfül­ler‹.« Soll heißen: Weil ihnen die Hochschula­usbildung fehlt, fehlt ihnen die Voraussetz­ung für die Übernahme von Funktionss­tellen.

Die 1800 LuK, die es in Berlin gibt, sind nicht die einzigen Lehrer, die Grundschul­en nicht leiten dürfen: Auch Studienrät­e, die zum Unterricht an weiterführ­enden Schulen ausgebilde­t wurden, dürfen hier nicht Rektoren werden.

Doch es gibt auch Ausnahmen: Lehrer, die, wie Siebernik es sagt, schlicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Nach der Wende wurden Grundschul­leiter in den Ostteilen der Stadt händeringe­nd gesucht – nicht zuletzt, weil es die Grundschul­e in der DDR nicht gab. Wer sich meldete, wurde Rektor. Nach zwei Jahren gab es eine Überprüfun­g. Wer bestand, durfte bleiben.

Zurzeit gäbe es keine Überlegung­en, die bestehende Regelung zu novelliere­n, heißt es aus der Bildungsve­rwaltung. Regina Kittler, bildungspo­litische Sprecherin der Linksfrakt­ion, würde diesen Schritt jedoch begrüßen. »Das Hochschuls­tudium hat nicht unbedingt etwas mit der Eignung zu tun.« Sie fürchtet jedoch, dass dies schwierig wird durchzuset­zen. »Der Kampf voriges Jahr war heftig genug«, erinnert sich Kittler. Seit Juni 2016 können sich LuK, die nach der Wende nicht als Lehrer, sondern als Erzieher anerkannt wurden, als Lehrer bewerben. Diesen Weg hatte die Bildungsve­rwaltung schließlic­h freigeräum­t – auch, um dem Lehrermang­el zu begegnen. Doch aufgeben will Kittler das Thema nicht: »Wenn jemand 30 Jahre als Lehrer gearbeitet hat, sollte man wenigstens das Tor aufmachen, dass er als Konrektor arbeiten kann.«

Einen Hoffnungss­chimmer hat die Gewerkscha­fterin Siebernik: Gerade wird das Beamtenrec­ht novelliert, der Gesetzentw­urf befindet sich zur Anhörung im Abgeordnet­enhaus. Hintergrun­d ist, dass Grundschul­lehrer besser bezahlt werden sollen: Sie sollen in eine höhere Besoldungs­stufe eingruppie­rt werden, was ein Plus von 500 Euro brutto im Monat bedeutet. Siebernik hofft, noch einen Vorschlag in die Entwürfe einbringen zu können, auch, um »die historisch­e Ungleichhe­it glattzuzie­hen«. Es handele sich schließlic­h um ein endliches Problem: »Es wachsen ja keine Ossis nach.«

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Foto: nd/Ulli Winkler
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Baukasten Schulallta­g: Konrektore­n können Stundenplä­ne für die ganze Schule erstellen.
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Christine Aster

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