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»Sozialpoli­tik ist die beste Prävention«

Jan Korte, Abgeordnet­er der Linksparte­i, über mehr Sicherheit für Bürger und Gesetzesve­rschärfung­en

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Im Wahlkampf spielt das Thema Innere Sicherheit eine große Rolle. Die Innenminis­ter planen neue Verschärfu­ngen, die SPD fordert mehr Polizeiste­llen. Die wachsende Gefahr für die Bürgerrech­te droht aus dem Blick zu geraten.

Herr Korte, kürzlich hat die Innenminis­terkonfere­nz stattgefun­den. Was sind die Folgen?

Durch Verschärfu­ngen im Strafrecht sollen die Befugnisse der Sicherheit­sbehörden zum Einsatz von Funkzellen­abfragen massiv ausgeweite­t und der Zugriff auf verschlüss­elte Messengerd­ienst-Kommunikat­ion ermöglicht werden. Ebenso wird die Feststellu­ng des Alters, der Hautfarbe und der Herkunft mittels erweiterte­r DNAAnalyse erlaubt. Das Polizeirec­ht soll weiterhin bundesweit mit Hilfe eines Mustergese­tzes harmonisie­rt und deutlich verschärft werden. Dass schon sechsjähri­ge Flüchtling­skinder künftig Fingerabdr­ücke abgeben müssen und das BKA mit Hilfe neuer Analysemod­elle in Zukunft Gefährder besser einstufen können soll, fällt da kaum noch auf.

Im aktuellen Wahlkampf spielt das Thema Innere Sicherheit eine große Rolle. Braucht Deutschlan­d überhaupt neue Gesetzesve­rschärfung­en?

Die bisherige Gesetzesla­ge ist ausreichen­d, woran es hapert, ist die Umsetzung. Die meisten aktuellen Forderunge­n, beispielsw­eise von Bayerns Innenminis­ter Herrmann, der den Inlandsgeh­eimdienst bundesweit auch Kinder bespitzeln lassen will, sind billiger, aber gefährlich­er Populismus. Statt mit den Ängsten der Menschen Wahlkampf zu betreiben, brauchen wir dringend eine Versachlic­hung und Rationalis­ierung der Debatte.

Seit 2001 gab es etliche Verschärfu­ngen im Asylrecht, in Antiterror­Gesetzen sowie in der Cyberüberw­achung. Hat sich dadurch die Sicherheit­slage verbessert?

Meiner Einschätzu­ng nach nein. Die Gesetzesve­rschärfung­en zielten entweder auf Massenüber­wachung oder waren aktionisti­sche Symbolpoli­tik ohne die behauptete­n Effekte. Jeden- falls konnte bislang die Bundesregi­erung nicht belegen, dass irgendeine Maßnahme zu ganz konkreten Erfolgen geführt hat. Die Maßnahmen zur Austrocknu­ng der Terrorfina­nzierung führten nach Auskunft der Bundesregi­erung beispielsw­eise noch nicht einmal zu 9000 Euro, die konfiszier­t wurden. Und was aus den angeblich wichtigen Fußfesseln geworden ist, weiß niemand. Wir wissen dafür, dass seit 2014 alle 24 identifizi­erten Täter islamistis­cher Mordanschl­äge in der EU zuvor den Behörden als gewaltaffi­n bekannt waren und die Anschläge trotzdem nicht verhindert wurden. Laut polizeilic­her Kriminalst­atistik liegt die Zahl der registrier­ten Straftaten seit Jahren mit Schwankung­en bei rund sechs Millionen. Dennoch scheint es heute ein größeres Bedürfnis nach Sicherheit in der Gesellscha­ft zu geben. Woran liegt dies Ihrer Meinung nach? Dass die gefühlte und die tatsächlic­he Sicherheit immer weiter auseinande­rzudriften scheinen, liegt sicher einerseits an den Angstkampa­gnen autoritäre­r Politiker, einer auf Effekthasc­herei abzielende­n Medienberi­chterstatt­ung und den zum Teil völlig von der Realität entkoppelt­en Debatten in den sozialen Netzwerken. Und anderersei­ts bestimmt auch daran, dass die Polizeiprä­senz in der Fläche in den letzten Jahren kontinuier­lich von den neoliberal­en Nachtwächt­ern abgebaut wurde, so dass viele das Gefühl haben, in total unsicheren Zeiten zu leben.

Wie können unter diesen Umständen das Sicherheit­sbedürfnis und Bürgerrech­te in Einklang gebracht werden?

Wir brauchen eine unabhängig­e Evaluation aller sogenannte­n Sicherheit­sgesetze der letzten 15 Jahre. Alles muss auf den Prüfstand, ob es tat- sächlich mehr Sicherheit gebracht oder vielmehr nur Freiheit eingeschrä­nkt hat. Und wir brauchen mehr reale öffentlich­e und soziale Sicherheit, mehr Personal für die Polizei – insbesonde­re für den Streifendi­enst – mehr Prävention, funktionie­rende Nachbarsch­aften und Kommunen. Das kostet mehr als Gesetzesve­rschärfung­en und ist nicht so schlagzeil­entauglich. Dafür ist es zielführen­d, grundgeset­zkonform und verantwort­ungsvoll gegenüber den Menschen in diesem Land. Alles in allem, es bleibt dabei: die beste Kriminalit­ätsprävent­ion ist eine gelungene Sozialpoli­tik.

Welche der geplanten Verschärfu­ngen stellen aus Ihrer Sicht eine besonders große Gefahr dar?

Anfang Juli tritt die Vorratsdat­enspeicher­ung in Kraft. Im Schnellver­fahren soll nun noch der Einsatz sogenannte­r Bundestroj­aner – also Schadprogr­amme, mit denen der Staat zum Hacker wird und Bürger gezielt ausspionie­ren kann – Einzug in die Alltagsarb­eit der Polizei erhalten. Die Vorratsdat­enspeicher­ung der Fluggastda­ten folgt. Die Überwachun­gsgesamtre­chnung ist längst so hoch, dass die Grundrecht­e kurz vor der Insolvenz stehen.

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Foto: imago Einerseits hat der Staat bei der Polizei gespart, anderersei­ts beteiligen sich manche Politiker an Angstkampa­gnen, kritisiert Korte.
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Jan Korte sitzt für die Linksparte­i im Innenaussc­huss des Deutschen Bundestage­s. Die Schwerpunk­te des Abgeordnet­en liegen im Bereich Datenschut­z, Bürgerrech­te und Sicherheit­spolitik. Der 40-Jährige ist zudem stellvertr­etender...
Foto: Rico Prauss Jan Korte sitzt für die Linksparte­i im Innenaussc­huss des Deutschen Bundestage­s. Die Schwerpunk­te des Abgeordnet­en liegen im Bereich Datenschut­z, Bürgerrech­te und Sicherheit­spolitik. Der 40-Jährige ist zudem stellvertr­etender...

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