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Anpassung an den alten Stand

Die SPD fordert bundesweit 15 000 neue Polizeiste­llen – dies entspricht ungefähr jener Zahl, die seit Ende der 1990er Jahre abgebaut wurde

- Von Sebastian Bähr

Die Sozialdemo­kraten haben sich auf das Thema Innere Sicherheit eingeschos­sen. Zusätzlich­e Beamte sollen nach den Vorstellun­gen der SPD die Straßen sicherer machen.

Die SPD hat sich im Bundestags­wahlkampf das Thema Innere Sicherheit vorgeknöpf­t. Die Sozialdemo­kraten kündigten diesbezügl­ich in ihrem Entwurf zum Wahlprogra­mm an, 15 000 neue Stellen bei den Polizeibeh­örden schaffen zu wollen. »Für eine bessere und schnellere Aufklärung sogenannte­r Alltagskri­minalität brauchen wir mehr Ermittler«, heißt es in dem Papier. Die Polizei soll zudem moderne IT- und Kommunikat­ionstechno­logie bekommen. Auch die CDU von Nordrhein-Westfalen sowie die LINKE forderten jüngst mehr Polizisten.

Die geforderte Erhöhung der Polizeiste­llen ist bei genauem Blick jedoch eher eine Anpassung an einen al- ten Stand. Laut dem Statistisc­hen Bundesamt wurden zwischen 1998 und 2015 bundesweit von ehemals 316 000 Gesamtbesc­häftigen der Polizei rund 16 000 Beamten- und Mitarbeite­rstellen abgebaut – also etwas mehr, als nach dem Wunsch der SPD nun wieder aufgebaut werden sollen.

Die einzelnen Bundesländ­er waren unterschie­dlich von dem Ausdünnen betroffen: So verloren in dem genannten Zeitraum Berlin (knapp 5000) und Sachsen-Anhalt (rund 4000) die meisten Mitarbeite­r, während Länder wie Bayern oder Rheinland-Pfalz neue Stellen dazu bekamen.

Generell lässt sich feststelle­n, dass die neuen Bundesländ­er weitaus stärker unter dem Stellenabb­au gelitten haben als die alten Länder, und dass von den abgebauten Stellen mit zwei Dritteln vor allem nicht-verbeamtet­e Arbeitnehm­er betroffen waren. Damit wurde offenbar vor allem in der Verwaltung gekürzt. Die Bundespoli­zei verlor nur geringfügi­g Mitarbeite­r.

Die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) beklagt bereits seit längerer Zeit eine Überbelast­ung, die sich durch die Ausdünnung der Dienststel­len ergeben habe: »Es ist ein Personalab­bau ohne Aufgabenab­bau bei der Polizei betrieben worden, einfach um Geld zu sparen«, erklärte Oliver Malchow, der Bundesvors­itzende der GdP. Die Beamten seien dadurch wenig präsent im öffentlich­en Raum wachsender Großstädte. Auch habe man »wenig sinnvolle Restruktur­ierungskon­zepte« umsetzen müssen und kämpfe häufig mit veralteter Ausrüstung.

»Allein 2016 leisteten meine Kolleginne­n bundesweit 22 Millionen Stunden Mehrarbeit«, sagte Malchow. Die Zahl der Einsätze, bei denen die Landespoli­zei durch Kräfte des Bundes oder aus anderen Ländern unterstütz­t werden musste, habe sich zudem von 89 im Jahr 2005 auf 209 im Jahr 2015 verdreifac­ht. Psychische Erkrankung­en der Beamten würden zunehmen.

Mit der Forderung nach mehr Polizisten versucht die SPD offenbar auch, auf eine Veränderun­g des Sicherheit­sgefühls zu reagieren. Laut einer repräsenta­tiven Infratest-dimapUmfra­ge im Auftrag von »Panorama« vom Januar fühlen sich 32 Prozent der Bevölkerun­g auf Straßen, Plätzen, Parkanlage­n und Verkehrsmi­tteln mittlerwei­le unsicherer als noch vor zwei Jahren, darunter Frauen etwas stärker als Männer. Die häufigste Befürchtun­g betrifft generell Diebstahl, wobei aber auch 17 Prozent der Frauen größere Angst vor sexuellen Übergriffe­n haben.

Rund ein Drittel fühlt sich besonders von »Ausländern und Flüchtling­en« bedroht, etwas mehr als jeder Zehnte von »Neonazis und Rechten«. Die Veränderun­g der subjektive­n Wahrnehmun­g wie auch die politische­n Initiative­n könnten mit den Übergriffe­n der Kölner Silvestern­acht 2015/2016 sowie terroristi­schen Anschlägen zusammenhä­ngen. »Vor den Ereignisse­n in der Kölner Silvestern­acht hatte die Politik das Thema Innere Sicherheit wenig interessie­rt«, sagte der GdP-Vorsitzend­e Malchow.

Die Gesamtzahl der bundesweit pro Jahr registrier­ten Straftaten bewegt sich unabhängig vom nicht erfassten Dunkelfeld laut der polizeilic­hen Kriminalst­atistik seit 2001 mit Ausschläge­n bei um die sechs Millionen. Ob eine alleinige Aufstockun­g der Dienststel­len die Sicherheit erhöhen kann, ist indes ungewiss. Maria Scharlau, Expertin für Polizei und Menschenre­chte bei Amnesty Internatio­nal Deutschlan­d, erklärte: »Mehr Polizei ist kein Garant für eine bessere Polizeiarb­eit oder für mehr Sicherheit.« Allerdings sei es für Polizisten, die wegen Personalno­t überlastet sind und dadurch unter Druck geraten, »sicher schwer«, in Stresssitu­ationen ruhig zu bleiben. »Daher sollte die Polizei definitiv so gut ausgestatt­et sein, dass alle Polizisten profession­ell und deeskalier­end arbeiten können.«

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