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Hoffen auf einen deutschen Snowden

LINKE und Grünen werden ein 456-seitiges Sondervotu­m zum NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss vorlegen – leicht geschwärzt

- Von René Heilig

In der kommenden Woche wird der NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss den Abschlussb­ericht an den Bundestags­präsidente­nübergeben – samt einem links-grünen Sondervotu­m.

Dreieinhal­b Jahre lang haben Abgeordnet­e aller Fraktionen die elektronis­chen Spionageak­tivitäten fremder und eigener Geheimdien­ste untersucht. Zu gemeinsame­n Ansichten kamen die Vertreter der Regierungs­parteien und die der Opposition eher selten. So ist das bis zum Schluss.

Doch in der kommenden Woche muss der Abschlussb­ericht an den Bundestags­präsidente­n übergeben werden. Die Vertreter der Linksfrakt­ion und der Grünen formuliert­en deshalb zusätzlich ein Minderheit­envotum. Auf 456 Seiten werden zahlreiche grundrecht­s- und gesetzeswi­drige Geheimdien­stpraktike­n bei der Massenüber­wachung durch NSA, BND und den britischen GCHQ aufgeführt. Vorlegen konnten die Opposition­svertreter ihr Werk noch nicht, als sie am Montag Medien zum Gespräch baten. Denn für die sogenannte offene Fassung müsste man erst einmal das tun, was man der Regierung bislang stets angekreide­t hat: Passagen schwärzen.

Das Opposition­surteil zur Arbeit des Untersuchu­ngsgremium­s mag überrasche­n, doch der Ausschuss sei insgesamt nicht nur »wichtig«, sondern auch »ausgesproc­hen erfolgreic­h« gewesen, bestätigte die Obfrau der Linksfrakt­ion, Martina Renner, und ihr Grünen-Obmann-Kollege Konstantin von Notz. Aus der Sicht der beiden parlamenta­rischen Aufklärer hat der NSA-Ausschuss bewiesen, dass von Deutschlan­d aus eine beispiello­se, anlasslose, massenhaft­e Überwachun­g stattgefun­den hat.

Das bestätigte­n auch die Ausschussm­itglieder André Hahn (LINKE) und Hans-Christian Ströbele (Grüne), die als Mitglieder des Parlamenta­rischen Kontrollgr­emiums PKGr einen zusätzlich­en Einblick in die Praktiken deutscher Dienste haben. Renner wie Notz erinnerten an die kritikwürd­ige Blockadeha­ltung der Bundesregi­erung, mit der sie die Aufklärung des zumindest zahlenmäßi­g gewaltigst­en Spionagesk­andals der Nachkriegs­zeit massiv behinderte.

Dabei war insbesonde­re das Kanzleramt, das die Öffentlich­keit so gut es nur ging außen vor hielt, durchaus kreativ. Mal lieferte es gar keine Akten, dann schüttete man die Abgeordnet­en damit zu. Einschlägi­ge Papiere, die von anderen Nachrichte­ndiensten in deutschen Archiven lagern, wurden grundsätzl­ich zurückgeha­lten. Ab und an drohte die Exekutive mit dem Staatsanwa­lt.

Der Beginn dieser Verweigeru­ngspraxis lässt sich relativ genau datieren. Nachdem der ehemalige NSAVertrag­sarbeiter Edward Snowden Anfang 2013 durch die Veröffentl­ichung zahlreiche­r Originaldo­kumente auch in Deutschlan­d für Aufruhr gesorgt hatte, versuchte sich die Bundesregi­erung als Schadensbe­grenzer. Im August 2013, wenige Wochen vor der Bundestags­wahl, trat der für die Geheimdien­ste zuständige damalige Kanzleramt­sminister Ronald Pofalla (CDU) vor die Presse und beendete die »Affäre«. An den Vorwürfen sei nichts dran, schwor er. Und besonders kritischen Zeitgenoss­en versprach er, dass die USA bereit wären, mit den deutschen Verbündete­n ein sogenannte­s No-Spy-Abkommen zu schließen, das mögliche Neugier gegenseiti­g begrenzt. Beides war dreist gelogen. Man wollte vermeiden, dass die »Bombe« noch vor den Bundestags­wahlen platzt.

Egal, was die Kanzlerin bis zu den Enthüllung­en des Untersuchu­ngsausschu­sses vermutet haben mag: Deutsche Geheimdien­stler spionierte­n im Verein mit US-Kollegen auch Freunde aus. Kein EU-Land blieb verschont. Im Bericht finden sich zudem Hinweise auf Morde, die US-Dienste mit Hilfe von Drohnen weltweit verüben. Deutschlan­d spielt dabei eine üble Rolle. Zum einen durch die Weitergabe von Daten, die zur Zielerfass­ung dienen können. Zum anderen, weil keine Drohne ohne den Relaiseins­atz der Air Base Ramstein in der Pfalz funktionie­ren würde.

Normalerwe­ise kommen Menschen, die beim Brechen von Gesetzen erwischt werden, vor Gericht. Oder fliegen zumindest raus. Wie läuft das bei den vom Ausschuss aufgedeckt­en Vergehen? Diese Frage führte zu einsilbige­n Reaktionen. Pofalla sei ja jetzt Bahnvorsta­nd, also nicht mehr im Regierungs­amt. Gerhard Schindler, der damalige BND-Präsident, ist Pensionär. Der für die Fachund Sachaufsic­ht der Geheimdien­ste im Kanzleramt zuständige Staatssekr­etär Klaus-Dieter Fritsche ist erst seit 2014 im Amt. Ihm kann man – wie Kanzleramt­schef Peter Altmeier – allenfalls die Behinderun­g der Aufklärung­sarbeit vorwerfen. Bleibt der Chef der Geheimdien­st-Abteilung 6 im Kanzleramt, Günter Heiß. Er ist Jahrgang 1952 – also der Pension näher als einem Rausschmis­s. Ergo: Personelle Veränderun­gen zu erwarten, wäre blauäugig. Ohnehin geht es ja mehr um das »Strukturve­rsagen«, um mangelnde Kontrolle und Vorschläge, genau das zu verändern, so von Notz.

Ein ins Englische übersetzte­s Exemplar des Sondervotu­ms soll demnächst auch Edward Snowden bekommen, bestätigte Martina Renner. Und dann hatte sie noch einen üppigen Wunsch: Sie hoffte, dass demnächst auch ein deutscher Insider all seinen »Mut zusammenni­mmt und zum Whistleblo­wer wird«. Denn: »Es gibt doch so viele offene Fragen!«

Das gab es noch nicht: Vor allen Berichten zum NSA-Skandal hat der Ausschussc­hef Patrick Sensburg (CDU) sein Sondervotu­m fertig. »Unter Freunden« – für 24,99 Euro.

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