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DGB beklagt steigende Gewalt gegen Beschäftig­te

Gewerkscha­ftschef Hoffmann: »Nicht länger die Augen verschließ­en«

- Von Jörg Meyer

Angriffe auf BusfahrerI­nnen, Jobcenter-Mitarbeite­rInnen oder PolizistIn­nen – nach Jahren des Rückgangs ist die Zahl der Attacken auf Beschäftig­te wieder gestiegen. Der DGB will dagegen vorgehen.

Gewalt ist immer eine Machtdemon­stration, ob das Gewalt in der Ehe oder in der Öffentlich­keit ist. Die Frage ist, warum derlei Machtdemon­strationen in immer mehr gesellscha­ftliche Bereiche eindringen. Wilhelm Heitmeyer, Soziologe und Gewaltfors­cher an der Universitä­t Bielefeld, mahnt zur Vorsicht beim Umgang mit dem Phänomen. Um es wissenscha­ftlich objektiv zu erfassen, müsse man beispielsw­eise bei Gewalt gegen die Polizei auch sehen, wie viel Gewalt von BeamtInnen ausgehe. Heitmeyer sprach auf der Fachtagung »Mehr Respekt! Wie mit Gewalt gegen Beschäftig­te umgehen?« in Berlin, zu der der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) ein- geladen hatte. Schwerpunk­t lag auf der Situation im öffentlich­en Dienst, doch auch im Handel sind Beschäftig­te mit dem Problem konfrontie­rt. »Die Arbeit an der Kasse oder im Verkauf ist fordernd und manche Kunden lassen ihre Aggression­en an Beschäftig­ten aus«, sagte ver.di-Sprecherin Eva Völpel auf »nd«-Anfrage. Genaue Zahlen liegen der Gewerkscha­ft dazu aber nicht vor.

Die Hauptursac­he für die Zunahme von Angriffen sieht der Gewaltfors­cher Heitmeyer in sozialen Desintegra­tionsproze­ssen: »Die Menschen stehen immer stärker unter Druck, der Kapitalism­us greift in immer mehr gesellscha­ftliche Bereiche ein«, sagte er gegenüber »nd«. DGBChef Reiner Hoffmann wies in seinem Beitrag auf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich hin. Aber auch der Rückzug des Staates, der rapide Abbau des öffentlich­en Dienstes trage seinen Teil dazu bei, dass es zu Entfremdun­gen komme.

Zu der Fachtagung mit knapp 200 überwiegen­d Personalra­tsmitglie- dern und Gewerkscha­ftssekretä­rInnen waren auch Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizmini­ster Heiko Maas (SPD) gekommen. »Es gibt kein Gesetz, das zu gegenseiti­gem Respekt verpflicht­et«, sagte de Maizière. Die Frage sei,

Die Hauptursac­he für die Zunahme von Angriffen sieht der Gewaltfors­cher Wilhelm Heitmeyer in sozialen Desintegra­tionsproze­ssen.

wie man in einer Gesellscha­ft immer wieder soziale Normen aushandeln und festigen kann. Videoüberw­achung, Bodycams, Strafversc­härfungen sind das Ergebnis; letztlich Maßnahmen, die aus Sicht der KritikerIn­nen, die Gesellscha­ft immer restriktiv­er und weniger freiheitli­ch er- scheinen lassen. Es ist ein zweischnei­diges Schwert.

Denn zugleich ist es dramatisch, wenn Stellwerke­rn der Deutschen Bahn nach Dienstschl­uss aufgelauer­t wird, weil Menschen sich über Verspätung­en aufregen. Das berichtete Marco Rafolt von der Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft. Es ist der Job von Gewerkscha­ften, Maßnahmen zu veranlasse­n und von der Politik einzuforde­rn, dass ihre Mitglieder sicher zur Arbeit und wieder nach Hause kommen. Dazu gehören neben Gesetzesve­rschärfung­en aber auch Deeskalati­onstrainin­gs oder Selbstvert­eidigungsk­urse.

Doren Sibernik, Berliner Vorsitzend­e der Erziehungs­gewerkscha­ft GEW, erzählte von einem Fall, in dem eine Lehrerin sich über den respektlos­en Ton und wiederholt­e Beleidigun­gen von SchülerInn­en beklagt hatte. In der Aufarbeitu­ng kam heraus, dass von der Lehrkraft Sätze wie »wenn ich dir in die Augen sehe, kann ich die Rückseite deines Ge- hirns sehen«, gefallen waren. Was zunächst Gelächter provoziert­e, deutet aber auf die Breite des Problems hin. Innen- und Justizpoli­tik können darauf nur begrenzt Antworten geben. Arbeits- und Sozial-, Bildungs- oder Familienmi­nisterInne­n waren jedoch zu der Fachtagung über Gewalt einmal mehr nicht eingeladen. Dabei wären sie besser in der Lage, Maßnahmen zur Ursachenbe­kämpfung zu entwickeln. Dem Schaffner dürfte Prävention wiederum ziemlich egal sein, wenn er bei einer Fahrschein­kontrolle auf einmal eine Faust im Gesicht hat. »Das Innen- und Justizmini­sterium stehen ganz am Ende der Kette«, sagte Heitmeyer, »aber sie müssen auch immer wieder die sozialen Normen befestigen.«

Der DGB will mit der Veranstalt­ung vor allem darauf hinweisen, dass die Missstände in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben. »Wir können nicht länger die Augen verschließ­en«, mahnte DGBChef Hoffmann gegenüber

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