DGB beklagt steigende Gewalt gegen Beschäftigte
Gewerkschaftschef Hoffmann: »Nicht länger die Augen verschließen«
Angriffe auf BusfahrerInnen, Jobcenter-MitarbeiterInnen oder PolizistInnen – nach Jahren des Rückgangs ist die Zahl der Attacken auf Beschäftigte wieder gestiegen. Der DGB will dagegen vorgehen.
Gewalt ist immer eine Machtdemonstration, ob das Gewalt in der Ehe oder in der Öffentlichkeit ist. Die Frage ist, warum derlei Machtdemonstrationen in immer mehr gesellschaftliche Bereiche eindringen. Wilhelm Heitmeyer, Soziologe und Gewaltforscher an der Universität Bielefeld, mahnt zur Vorsicht beim Umgang mit dem Phänomen. Um es wissenschaftlich objektiv zu erfassen, müsse man beispielsweise bei Gewalt gegen die Polizei auch sehen, wie viel Gewalt von BeamtInnen ausgehe. Heitmeyer sprach auf der Fachtagung »Mehr Respekt! Wie mit Gewalt gegen Beschäftigte umgehen?« in Berlin, zu der der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ein- geladen hatte. Schwerpunkt lag auf der Situation im öffentlichen Dienst, doch auch im Handel sind Beschäftigte mit dem Problem konfrontiert. »Die Arbeit an der Kasse oder im Verkauf ist fordernd und manche Kunden lassen ihre Aggressionen an Beschäftigten aus«, sagte ver.di-Sprecherin Eva Völpel auf »nd«-Anfrage. Genaue Zahlen liegen der Gewerkschaft dazu aber nicht vor.
Die Hauptursache für die Zunahme von Angriffen sieht der Gewaltforscher Heitmeyer in sozialen Desintegrationsprozessen: »Die Menschen stehen immer stärker unter Druck, der Kapitalismus greift in immer mehr gesellschaftliche Bereiche ein«, sagte er gegenüber »nd«. DGBChef Reiner Hoffmann wies in seinem Beitrag auf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich hin. Aber auch der Rückzug des Staates, der rapide Abbau des öffentlichen Dienstes trage seinen Teil dazu bei, dass es zu Entfremdungen komme.
Zu der Fachtagung mit knapp 200 überwiegend Personalratsmitglie- dern und GewerkschaftssekretärInnen waren auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) gekommen. »Es gibt kein Gesetz, das zu gegenseitigem Respekt verpflichtet«, sagte de Maizière. Die Frage sei,
Die Hauptursache für die Zunahme von Angriffen sieht der Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer in sozialen Desintegrationsprozessen.
wie man in einer Gesellschaft immer wieder soziale Normen aushandeln und festigen kann. Videoüberwachung, Bodycams, Strafverschärfungen sind das Ergebnis; letztlich Maßnahmen, die aus Sicht der KritikerInnen, die Gesellschaft immer restriktiver und weniger freiheitlich er- scheinen lassen. Es ist ein zweischneidiges Schwert.
Denn zugleich ist es dramatisch, wenn Stellwerkern der Deutschen Bahn nach Dienstschluss aufgelauert wird, weil Menschen sich über Verspätungen aufregen. Das berichtete Marco Rafolt von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft. Es ist der Job von Gewerkschaften, Maßnahmen zu veranlassen und von der Politik einzufordern, dass ihre Mitglieder sicher zur Arbeit und wieder nach Hause kommen. Dazu gehören neben Gesetzesverschärfungen aber auch Deeskalationstrainings oder Selbstverteidigungskurse.
Doren Sibernik, Berliner Vorsitzende der Erziehungsgewerkschaft GEW, erzählte von einem Fall, in dem eine Lehrerin sich über den respektlosen Ton und wiederholte Beleidigungen von SchülerInnen beklagt hatte. In der Aufarbeitung kam heraus, dass von der Lehrkraft Sätze wie »wenn ich dir in die Augen sehe, kann ich die Rückseite deines Ge- hirns sehen«, gefallen waren. Was zunächst Gelächter provozierte, deutet aber auf die Breite des Problems hin. Innen- und Justizpolitik können darauf nur begrenzt Antworten geben. Arbeits- und Sozial-, Bildungs- oder FamilienministerInnen waren jedoch zu der Fachtagung über Gewalt einmal mehr nicht eingeladen. Dabei wären sie besser in der Lage, Maßnahmen zur Ursachenbekämpfung zu entwickeln. Dem Schaffner dürfte Prävention wiederum ziemlich egal sein, wenn er bei einer Fahrscheinkontrolle auf einmal eine Faust im Gesicht hat. »Das Innen- und Justizministerium stehen ganz am Ende der Kette«, sagte Heitmeyer, »aber sie müssen auch immer wieder die sozialen Normen befestigen.«
Der DGB will mit der Veranstaltung vor allem darauf hinweisen, dass die Missstände in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben. »Wir können nicht länger die Augen verschließen«, mahnte DGBChef Hoffmann gegenüber